09 - Die letzten Flammen (2)

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Als Suki das letzte Mal, begleitet von mehreren Bewohnern ihrer Siedlung, sowie von Ketho und Arjom aus der Leibgarde ihres Vaters, zu Besuch im alten Bett gewesen war, gab sich Aneka überschwänglich begeistert sie bei sich begrüßen zu dürfen und wäre beinahe in Tränen ausgebrochen, als sie feststellen musste, dass aus dem kleinen Mädchen beinahe eine Frau geworden war. Suki konnte nicht anders, als ihre Tante gern zu haben, auch wenn sie einen manchmal mit ihrer Liebe schier erdrückte. Ihr Onkel hingegen befand sich zum damaligen Zeitpunkt auf Hornbockjagd, auf der die Jäger tief in die ewigen Berge vordrangen und oftmals eine lange Zeit nicht zurückkehrten, bis sie einige der ebenso scheuen, wie schlauen Tiere erlegen konnten.

Er hatte sich dennoch kaum verändert, auch wenn es nun schon weitaus länger zurücklag, seit sie ihn das letzte Mal sehen konnte. Damals, als sie noch kleines Mädchen gewesen war.

Noch immer zierten die buschigen, grauen Augenbrauen seine eng stehenden, zusammengekniffen, dunkelgrünen Augen und tiefe Falten seine hohe Stirn, auf der nur noch wenige, dünne graue Härchen sprossen. Doch die Haarpracht, die er seit ihrer letzten Begegnung, auf seinem Haupt eingebüßt hatte, wuchs nun in seiner unteren Gesichtshälfte, wo er, anstelle des zuvor kurzen, schwarz-grauen Bartes, ein wildes, grau-weißes Gestrüpp zur Schau trug, welches seine eingefallenen Wangen etwas verdeckte. Inmitten des Gesichts prangte die gleiche Hakennase, wie sie sein großer Bruder besessen hatte. Zudem war er mindestens einen Kopf kleiner als Pisao, dafür etwas stämmiger, im Grunde aber von eher schmaler Statur. Er trug einen kurzen Rock aus Hornbockleder, welcher bis knapp über seine Knie reichte. Den spärlich grau behaarten Oberkörper trug er, wie die meisten Männer, offen zur Schau. Auf Höhe seiner Brust baumelte ein gelbliches, gezwirbeltes Horn von der Größe des mittleren Fingers seiner Hand, eine Jagdtrophäe.

Suki war ein wenig verwundert, als Peseo sie in die Arme schloss, ihr mitfühlend über den Rücken strich und ihr sein Beileid aussprach. Ernstgemeinte Worte, wie Suki erkannte, auch wenn es ihrem Onkel sichtlich schwer fiel sie zu formulieren. Erst jetzt realisierte sie wieder den Verlust ihres Vaters, doch bemühte sie sich um Fassung. Sie wollte nicht vor allen anderen in Tränen ausbrechen. Sie war stark, die Tochter des Kayken und vor allem war sie eine erwachsene, junge Frau und kein kleines Mädchen mehr. Schnell wandte sie sich gedanklich von dem Thema ab und versuchte an ihre vorigen Gedanken anzuschließen. Nur kurz nachdem Peseo von ihr abgelassen hatte, verließ ihre ursprünglich bereits brennende Frage endlich ihren Mund.

„Was meinst du damit, dass die Erdenläufer geflohen sind? Weshalb sollten sie fliehen? Und du sprichst von Denen, die überlebt haben. Was ist passiert?"

Ihr Onkel verschränkte die Hände vor seinem Bauch und senkte seinen Blick.

„Wir gehen davon aus, dass die Erdenläufer in die Ermordung deines Vaters involviert sind", erwiderte er. Seine Antwort traf Suki wie einen Schlag gegen den Kopf. Di und sein Vater waren keine bösen Menschen. Sie mussten sich täuschen, sie mussten sich allesamt täuschen. Ihr Onkel fuhr in ruhigem Ton fort: „Zwei von ihnen haben Arjom, Seke, Genso und Ketho getötet und vermutlich auch zwei ihrer eigenen Leute, wenn man den Aussagen einiger Augenzeugen glauben darf. Doch es gibt widersprüchliche Berichte, weshalb wir uns da nicht so sicher sein können."

Bokos Männer? Allesamt tot? Der Kaymo stierte gegen die Wand hinter Suki und lies sich zu keiner Gefühlsregung hinreißen. In dieser Geschichte passte für Suki nun rein gar nichts mehr zusammen. Sie hatte einen kurzen Blick auf den Attentäter werfen können, als dieser, während der Verkündung, aus der Menschenmenge vor ihnen geschossen kam. Sie hatte kein bestimmtes Gesicht mehr vor Augen, erinnerte sich nur an Blut. Viel Blut. Doch es musste jemand aus ihrem Volk gewesen sein. Die Menschen von Oben hatten sich nicht unter ihre Leute gemischt. Wie passte das also zusammen?

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