09 - Die letzten Flammen (3)

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Als man ihr Bett anzündete, hatte Suki nur noch mehr geweint, gezappelt und um sich getreten. Sie hatte damals noch nicht verstanden, dass ihre Mutter zu ihren Ahnen auffahren und für immer mit ihnen über die Menschen wachen würde.

Nun wurde ihr klar, dass ihre Eltern, nach all dieser Zeit, endlich wieder vereint sein würden und es war der erste echte Trost, den sie fand und finden sollte.

Ihre letzten Tränen waren längst getrocknet, als sie sich endlich wieder von ihrem Schlafplatz erhob. Ihre Beine waren im ersten Moment noch ein wenig zittrig, der linke Fuß schmerzte gar noch immer. Doch zwei, drei Schritte später war das Schwächegefühl wieder verschwunden, die Schmerzen erträglich geworden. Nach ihrem Traum fühlte sie sich besser, befreiter. Sie entledigte sich des langen Hemdes, welches man ihr angelegt hatte und zog sich wieder ihren Lendenschurz sowie den, ebenfalls aus Wühlerfell bestehenden, Büstenhalter an. Ihre wilde, lange Mähne bändigte sie mit einer sehr elastischen und starken Faser des Galgengewächses, einer der wichtigsten Nutzpflanzen der Menschen des Untergrunds. Der lange Zopf, der ihr bis knapp oberhalb ihres Pos reichte, war bei Weitem nicht so schön und aufwendig hergerichtet wie zur großen Verkündung, doch dem maß sie ohnehin wenig Bedeutung zu. Sollten sie doch denken, was sie wollten, dachte sich Suki. Das einzige was sie im Moment begehrte, war bei ihrem Vater zu sein, wenn er in den Nebel aufstieg.

Sie öffnete die Tür zu ihrer Hütte, trat hinaus und begab sich langsamen Schrittes in Richtung des großen Platzes. Anders als in ihrem Traum, waren die meisten Hütten verschlossen. Man konnte das Gerede und Geflüster der Tiere aus allen Richtungen hören: Zirpen und Fiepen, Summen und Quaken. Außer dem Nebel schwebte allerdings noch etwas anderes über der Siedlung, nämlich ein wahrhaft spürbarer Schleier der Traurigkeit und Fassungslosigkeit. Suki musste sich anstrengen, ihre positiven Gedanken dominieren zu lassen. Sie wollte nicht wieder all die vielen negativen und hochgradig egoistischen Gedanken denken. Ihre Eltern in Kürze im Nebel vereint. Das war ihr glücklicher Hauptgedanke. Zudem hatte ihr Vater keine Schmerzen gehabt, als sein Leben ein jähes Ende fand, redete sie sich ein. Wenn man von der Tatsache seiner Ermordung absah, war es der bestmögliche, da rasche Tod, gewesen. Er musste jedenfalls nicht leiden. Die Worte hallten makaberen Klanges in ihrem Kopf, doch hatte sie auch schon von furchtbar grausamen Toden erzählt bekommen.

Von Männern, die in der Tesekovi-Zone von mannshohen Pflanzen verschlungen worden waren und anschließend, über Tage von diesen, bei lebendigem Leibe, ausgesaugt wurden. Unter dem alten Kayken Tomok wurden die, Menschenfresser genannten, Pflanzen zuerst ihrem Recht der Existenz beraubt und anschließend in einer groß angelegten Aktion, allesamt vernichtet. In den lubyrischen Mooren soll es jedoch immer noch welche von ihnen geben, erzählte man sich. Doch nicht sie waren der Grund, weshalb das kleine Volk der Lubyra diesen Ort mied. Die schwarzen Wasser mit ihren darin lebenden Seelensaugern, waren der wahre Grund. So sollen die Narren, die zu nahe an die Wasser herantraten von den seltsamen Wesen, die ihnen inne wohnten, unter Wasser gezogen werden, um dort einen langsamen, qualvollen Tod zu sterben, ohne je zu den Ahnen aufsteigen zu können, da nichts mehr blieb, was verbrannt werden konnte.

Doch das waren nur die Geschichten, die sie gehört hatte und über die die Meinungen, bezüglich des Wahrheitsgehalts, teilweise weit auseinander gingen.

Suki erinnerte sich allerdings an einen alten Mann, der keinesfalls in die Welt der abenteuerlichen Geschichten eingeordnet werden konnte. Ganz einfach aus dem Grund, weil sie sich noch immer an sein lautes und stundenlanges Wehklagen erinnerte.

Damals war sie noch ein wenig jünger gewesen. Man hatte sie, auch wenn ihre Neugierde immens gewesen war, nicht in des alten Mannes Hütte vorgelassen. Unzählige Menschen waren dort versammelt gewesen und versuchten seine Schmerzen zu lindern oder ihn gänzlich davon zu befreien. Suki hatte damals keinen Schlaf gefunden. Je mehr Zeit verstrich, desto schlimmer wurde das Wehklagen, welches ihr irgendwann nur noch „Schmerzen im Kopf" bereitet hatte, wie sie ihrem Vater damals erzählte.

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