23 - Mutter Marika (1)

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Am Schlimmsten war der finale Tritt. Zuvor hatten ihn die Attacken der anderen Jungen, die Fausthiebe und Fußtritte, auf die Brust, in die Rippen und an den Beinen getroffen. Eine Faust flog ihm schmerzhaft mitten ins Gesicht, was ihn für einen kurzen Moment die Orientierung kostete.

All jene Schmerzen waren jedoch wie verflogen, als einer der Angreifer ihm zum Abschluss seinen Fußspann mit voller Wucht in den Bauch rammte.

Wie ein nasser Sack ging Di anschließend zu Boden. Als ihm im Zuge des heftigen Trittes die Luft wegblieb, war es, als befände er sich in einem dichten Nebel, bestehend aus den verschiedensten Bildern voller Farben und Lichtblitze, begleitet von einem monotonen Pfeifen, was sich schlussendlich im Geschmack von Blut auflöste.

Das man ihn im Weggehen, nachdem man endlich von ihm abgelassen hatte, noch als „reicher Abschaum" beschimpfte, realisierte er erst in der Nachbetrachtung.

Er spuckte auf den schmutzigen Boden der kleinen Sackgasse aus, in der er lag. Zunächst registrierte er, frei jeglicher Emotion, lediglich etwas auffällig Helles in der ausgespeiten, blutigen Masse, ehe ihm klar wurde, dass es sich um ein Stück Zahn handeln musste.

Wichtiger war ihm jedoch im Moment, endlich wieder richtig Luft holen zu können, seine Lungen zu füllen und wieder auszuatmen.

Es dauerte schrecklich lange, bis es wieder einigermaßen vernünftig mit dem Atmen klappte. Und schon kehrte der Schmerz zurück, durchfuhr ihn wie ein Feuer, welches sich von seiner blutenden Lippe bis in seine Beine fras.

Weshalb hatten sie das getan? Bereitwillig war er doch auf die Forderung seiner Angreifer eingegangen und hatte ihnen seine Schuhe überlassen. Nun lag er da, mit nackten Füßen, und wusste, dass ihn dafür auch noch ein Donnerwetter seines Arbeitgebers erwartete. Der alte Gunnet Bohns würde kein Mitleid zeigen. Er mochte die Güte besessen haben, Di bei sich aufzunehmen, doch mittlerweile zweifelte er daran, dass der blinde Mann ohne die Fürsprache der Regentin ebenfalls so gütig gewesen wäre. Er machte auch kein Geheimnis daraus, dass er Thuma, sein neues Auge, welches kaum sprach, soviel mehr wertschätzte als Di.

Einzig die Bücher des alten Mannes waren ihm noch als Freunde geblieben. Paky hatte sich ohne ein Wort davongestohlen, Gekk Bauwer ebenso. Die Hoffnung Maus jemals in dieser riesigen Stadt zu finden, tendierte ebenfalls gegen Null. Und Suki? Seine Suki?

Alte Bilder aus seinem Kopf vermischten sich mit seinen Schmerzen und auch wenn er es tunlichst vermeiden wollte, kam er nicht umhin laut aufzuschluchzen. Als die Tränen schließlich einmal flossen, konnte er ihnen letztlich keinen Einhalt mehr gebieten.

„Was hast du?", hörte er plötzlich eine Stimme, die ihn aufschreckte. Er blickte in die Gesichter zweier Kinder, die über ihm standen und auf ihn herabblickten. Ein sommersprossiger Junge mit wildem, hellbraunem Haar und ein junges Mädchen, welches seine goldblonde Haarpracht größtenteils unter einem verblichenen Kopftuch verbarg. Sie war es gewesen, die sich nach ihm erkundigt hatte.

Sofort wischte sich Di die Tränen aus den Augen. Er hatte noch nicht richtig damit angefangen, da drehte sich das Mädchen auch schon flugs zu dem älteren Jungen um, kniff diesem in die Seite und forderte in einem regelrechten Befehlston: „Hol Mama!"

Obwohl sie ihm nur bis knapp über die Schulter reichte, tat der Junge wie geheißen, rannte ohne zu zögern aus der Sackgasse hinaus und verschwand hinter der nächsten Ecke.

„Die Kili-Bande?", fragte das Mädchen und wischte Di mit einer raschen Handbewegung das Blut von der Wange. So schnell, dass dieser zunächst gar nicht reagieren konnte. Sogleich wich er allerdings zurück, richtete sich auf und schaute verdutzt in ihre beiden verschiedenfarbigen Augen. Während ihr Rechtes hellblau funkelte, war es ein schmutziges braun-grün in welches das Linke eingefärbt war.

SchöpferzornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt