38 - Der Narr der Regentin (1)

10 2 0
                                    

Jetzt war es ihm klar geworden. Der Grund für die seit Tagen andauernde schlechte Laune des alten Bohns saß mit ihnen an der großen Frühstückstafel inmitten der Mauern des Palastes. Sein fruchtiger Wohlgeruch, welcher ihn stets umgab, wurde heute Morgen jedoch von den köstlichen Düften überlagert, die das Essen vor ihnen verströmte.

„Greift zu, ihr seht hungrig aus", hatte die Regentin seinen seltsamen Zimmerbewohner und ihn aufgefordert und dabei gelächelt. Di hatte Lena Venua schon lange nicht mehr aufrichtig lächeln gesehen. Heute Morgen wirkte es zumindest nicht so kalt und unehrlich wie sonst immer.

Ihrer Aufforderung nachzukommen, war indes gar nicht so leicht, denn sie hatte üppig auftischen lassen. Von Obst über Süßspeisen bis hin zu frischem Gemüse, Fisch und Brot und Käse in allerlei Variationen.

Als Di erfahren hatte, dass die Regentin ihre beiden Berater Krug und Bohns eingeladen hatte, zusammen mit ihr und dem Tai zu frühstücken, da hatte er noch nicht daran geglaubt, dass der mürrische alte Mann gleich beide seiner Augen dazu auserkiesen würde.

Weshalb ihnen überhaupt diese Ehre zuteil wurde, den Tisch mit der Regentin teilen zu dürfen, war Di im Moment jedenfalls völlig egal. Viel zu sehr war er damit beschäftigt, sich zwischen Kuchen und süßen Klößen zu entscheiden. Oder sollte er doch lieber zuerst einen herzhaften Kanten Brot und ein Stück Käse verspeisen und sich das Beste bis zum Schluss aufheben? Er entschied sich für den Kuchen.

„Und Ihr, werter Bohns? Habt Ihr keinen Appetit?", wandte sich Lena Venua an ihr, von dessen beiden Augen eingerahmtes, Ratsmitglied. Gunnet Bohns hatte seine Fleischpastete noch nicht angerührt, welche Thuma ihm auf den Teller geladen hatte. Stattdessen hatte er gedankenversunken mit seiner silbernen Gabel herumhantiert, die er nun wieder beiseitelegte.

„Der Letzte, der zu dieser Zeit, an diesem Tisch, mit Euch speisen durfte", brachte er wieder mit aller ihm nur möglicher Höflichkeit in seiner Stimme vor, „ist nicht länger ein Teil Eures erlesenen Beraterkreises. Daher seht Ihr mir sicherlich nach, dass ich mir die Frage stelle, weshalb mir nun dieselbe Ehre zuteil wird."

Hennis Krug stoppte ebenso abrupt den genussvollen Verzehr eines gebratenen Kapauns, wie auch Di plötzlich ganz Ohr war und sich nicht einmal mehr traute, sein Stückchen Honigkuchen fertig zu kauen. Er kannte diese Form der ‚Höflichkeit' des blinden Alten nur zu gut.

„Donte Herwet ist nun der Stadtverwalter in Venhaven", sprach der Tai, welcher sich einen Schluck aus einem goldenen Kelch gönnte, „und er war mitnichten das letzte Ratsmitglied an diesem Tisch."

„Na dann scheint ja alles in Butter", gab sich der blinde Mann daraufhin beinahe spöttisch gegenüber dem Antwortenden.

„Ich verstehe, dass Ihr möglicherweise besorgt seid", gab sich die Regentin umgehend versöhnlich gegenüber ihrem misstrauischen Gast, „aber ich kann Euch beruhigen, werter Bohns. Ich möchte lediglich mit Euch, wie auch unserem ehrenwerten Hennis Krug, gemeinsam speisen. Meine Dankbarkeit zeigen für den steten Rat und die unermüdliche Unterstützung, die man mir immer wieder gewährt. Es gibt keinen Hintergedanken, wenn das Eure Sorge sein sollte."

Di kaute weiter, musterte dabei, während der unangenehmen Stille, die Anwesenden genau.

Die Regentin, in einem blauen Kleid, die Haare offen tragend, saß aufrecht vor ihrem Teller und aß von den gebackenen, mit Zimt bestäubten Pfirsichen, welche Di ebenfalls bereits ins Auge gefasst hatte. Der Tai, in einen etwas helleren blauen Umhang gekleidet, mit weißen und gelben Federn gespickt, saß, wie es sein neues Amt so mit sich brachte, direkt neben seiner Regentin und tupfte sich jedes Mal, mit einem seidenen Tuch, seinen übertrieben großen Schnauzbart trocken, wenn er wieder einmal an seinem Kelch genippt hatte. Immer wieder suchte er den Augenkontakt mit seiner Sitznachbarin und lächelte fröhlich, wenn diese ihn erwiderte.

SchöpferzornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt