08 - Zeit der Dämmerung (1)

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Die Fußstapfen seines Vaters waren riesig, sein Schatten endlos lang. Das Feuer der Begeisterung, das er entfacht und welches den ganzen Kontinent ergriffen hatte, brannte auch Jahre nach seinem Tod noch hell. Den Namen seines Erzeugers trug er, Palu Venua, doch in allem anderen unterschieden sich die beiden Männer wie Tag und Nacht.

Der rote Palu war ein Heißsporn gewesen, impulsiv, furchtlos, stark, extravertiert und ein großer Redner. Kurzum, der geborene Anführer. Jenes angeborene Talent brachte er zur Perfektion. Er formte aus vielen Menschengruppen der freien Städte und Bezirke ein Volk, ließ es seine Ketten der Obrigkeit sprengen, und führte es gegen die Anhänger des falschen Gottes zum Sieg. Dadurch war er unsterblich geworden. Das neue große Reich trug fortan seinen Familiennamen und er selbst war, spätestens an dem Tag des feststehenden Triumphes, zur lebenden Legende geworden.

Der schwarze Palu hingegen war besonnen, ruhig, kein Mann großer Worte und handelte stets durchdacht und wohlüberlegt. Für viele war er daher nur der Verwalter des großen Erbes. Kein schillernder Held, der erhobenen Schwertes, an der Spitze eines Heeres, in den Krieg marschierte und für die große Sache blutete. Durch den allerorts herrschenden Frieden bot sich selbstredend auch gar keine Gelegenheit hierzu. Fortan mussten als die großen Vorbilder der heranwachsenden Burschen dann auch andere Männer herhalten. Spielten diese Krieg, verkörperten sie die Helden der Schlachten, wie seinen Vater oder den ‚Bullen' Norfried Baum aus Tanndorf, ‚Eisenkiefer' Bertel Strietkamp oder die ‚menschliche Axt' Curtos Feller. Manchmal nahmen die Jungen aber auch die Rolle der Schwertkampflegende Frenk Kluping ein, einem Vetter des Gründers der Stadt Klupingen, der einer alten Legende nach, sein Heimatdorf im Alleingang gegen eine Räuberbande, bestehend aus hundert Mann, verteidigt hatte. Niemand wäre jedenfalls auf die Idee gekommen den aktuellen Regenten in einem Atemzug mit diesen außerordentlichen Kriegern zu nennen. Nur durch Mord und Totschlag schien man in dieser Welt zum Held zu taugen. Friedensverwalter, die ohne Blutvergießen auskamen, waren schlichtweg langweilig.

Er hatte sich immer danach gesehnt ein so großer Held zu werden, wie sein Vater. Doch schon früh war ihm klar geworden, dass er nicht einmal annähernd diese Größe erreichen würde. Vater hatte dennoch stets betont, wie stolz er auf ihn sei.

Doch waren dies nicht vielleicht nur notwendige Lügen von ihm gewesen, um sich selbst nicht eingestehen zu müssen, welch eine fleischgewordene Enttäuschung seinen Lenden entstammte?

Nie konnte Palu seinem Vater in den gemeinsamen Übungskämpfen mit dem Schwert einen ebenbürtigen Kampf liefern. Nie konnte er seine Pfeile präziser platzieren als dieser. Zu keinem Zeitpunkt war er so stark und wild gewesen, wie der rote Palu zu Zeiten seiner Jugend. Selbst zu Pferd war sein alter Herr sicherer im Sattel und zügiger unterwegs.

Der schwarze Palu kam vollends nach seiner Mutter, Hanalka Venua. Er hatte ihre kristallblauen Augen geerbt, ihre Nase, ihren Mund, sogar ihre Lachfalten. Und natürlich die schwarzen Haare, wenn auch teilweise noch der Rotstich seines Vaters durchschien, welcher immerhin den optischen Beweis lieferte, dass er letztlich doch der Sohn des ersten Palu Venua war. Man konnte es also nicht leugnen.

Doch nicht nur die äußerlichen Eigenschaften teilte er zu einem Großteil mit ihr, auch die nachdenkliche Natur seiner Mutter war auf ihn übergegangen. Sie war daher das perfekte Gegenstück zu ihrem Gatten gewesen, der die meisten seiner Entscheidungen stets aus dem Bauch heraus zu treffen gedachte. Sie jedenfalls war der Grund, weshalb er in nahezu jeder Schlacht über sich hinauswachsen konnte, wie er seinem Sohn, mehr als einmal, erklärt hatte.

„Egal welchen Anteil man mir am Gewinn dieses Krieges zugestehen möchte, zur Hälfte gehört er deiner Mutter", waren seine Worte gewesen.

Der einstmalige Anführer der roten Rebellen hatte in seinen letzten Lebensjahren körperlich stark abgebaut und traute sich, ob seiner Gebrechlichkeit, nicht mehr unter die Augen der Menschen, die ihn doch so sehr vergötterten.

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