47 - Feindesland (2)

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„Dort!", rief der junge Ganter und deutete aufgeregt in Richtung Nordwesten. Lena stockte der Atem, als sich etwas Hellglühendes nahe des äußersten Feuerturms gen Himmel erhob. Für einen halben Herzschlag hatte sie den alten Geschichten Rukers Glauben geschenkt, sie für wahr befunden. Ein brennender Mann, auf einem brennenden Pferd, der sich in den Nachthimmel erhob. Ein Feuerreiter, der durch die Lüfte und über das Meer zu ihnen geritten käme, um sie allesamt mit seiner Flammenlanze zu durchbohren.

Dann jedoch sah sie, dass die Form nicht zu einem Reiter passte. Ein Ball aus Feuer leuchtete stattdessen dort am Himmel, wurde größer und größer und ging schließlich, in rasantem Tempo, zwischen zweier ihrer Schiffe nieder, wo er auf der Wasseroberfläche einschlug und riesige Fontänen in den Himmel aufsteigen ließ, die gar die Masten ihrer Schiffe überragten und schließlich einen kleinen Regen über den Besatzungen niedergehen ließ.

„Ein Katapult?", Kal Zigel wandte sich aufgebracht an den Tai, „Ihr habt gesagt, dass wir ihre Verteidigungswaffen mit unserem schnellen Angriff auf die Südmauer unter Schutt und Asche begraben würden. Wieso schießen diese Hunde dann trotzdem auf uns?"

„Ein kleines Ärgernis", kommentierte der Tai trocken, „außerhalb unserer Reichweite. Die Kapitäne kennen den Plan, wie auch Ihr ihn kennt, werter Zigel."

„Aber, aber das bedeutet", stammelte ihr Oberhaupt der Waffen.

Er wusste, wie auch die Regentin zu seiner Rechten, was es bedeutete und ließ den Satz daher unvollendet.

Das kleine Ärgernis wuchs in seinem Ausmaß jedoch rasch an, denn weitere jener Feuerbälle schossen gen Himmel - einer, zwei, vier, sechs, acht – und gingen über ihren Schiffen nieder wie gigantische Hagelkörner. Während die meisten wirkungslos zischend auf dem schwarzen Wasser einschlugen, traf eines der Geschosse sein Ziel. Die ostländische Galeere ‚Weißer Schwan' erwischte es am Bug. Zersplitterndes Holz spritzte, unter lautem Getose, durch die Luft. Das Heck des Schiffes erhob sich leicht in die Lüfte, als die zerfetzte Bugseite anschließend, in rasantem Tempo, mit Wasser volllief. Teile der Besatzung sprangen auch hier über Bord und tauchten in das salzige Meer ein, ehe das Schiff seinen Hintern wie eine gründelnde Ente in die Lüfte erhob und schließlich in Gänze vom Meer verschluckt wurde. Männer paddelten unbeholfen im schwarzen Wasser, schrien um Hilfe. Manche retteten sich auf herumtreibende Planken, andere kämpften nur so lange an der Oberfläche, bis die Kraft sie verließ. Das Schwesternschiff ‚Schwarzer Schwan' versuchte derweil verzweifelt Überlebende mithilfe der langen Ruder aus ihrer misslichen Lage zu retten. Viele schafften es nicht.

„Meine Regentin", wandte sich Zigel an sie, noch während das Schauspiel in vollem Gange war, „ihr habt den Westländischen versprochen, dass Ihr keine Männer gegen die Reiter ins Feld führen würdet."

Sie wusste, was sie gesagt hatte. Dazu benötigte sie keinen ihrer Berater.

„Ich sagte, ich würde es nicht wagen, werter Zigel."

Sie deutete auf die Stelle in der Ferne, wo das weiße Schwanenschiff gesunken war: „Wenn ich es aber nicht wage, wenn wir nicht schnell handeln, werden wir noch mehr Schiffe oder, schlimmer noch, diese Schlacht verlieren. Der Notfallplan war für einen Notfall gedacht. Jetzt muss er greifen."

Sie musste die Feuerreiter besiegen. Ihre Streitkraft zu Lande zu eliminieren wäre nicht nur wichtig für den weiteren Verlauf ihres Krieges, nein, sie würden zudem ein deutliches Zeichen an den Hohepriester und den Lumpenkönig senden. Wecke den Zorn Venuas und du wirst dafür bestraft.

„Wollt Ihr diese Schlacht verlieren?", fragte sie ihn in herausforderndem Ton.

Der breite Mann schüttelte energisch den Kopf: „Nein, das möchte ich nicht. Das...das werden wir nicht. Wir werden die Katapultnester der Hundereiter ausräuchern, meine Regentin. Unsere Männer sind nicht umsonst die besten Soldaten, die die Welt je gesehen hat."

SchöpferzornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt