27 - Auf den Wassern (1)

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Blau über ihm, Blau um ihn herum. Einzig mit seinen Füßen stand Pat auf den braun-grauen Brettern der kleinen Kogge, die beträchtlich schaukelnd, seit Tagen, über das endlose Blau unter ihnen schipperte. Und obwohl die Sonne hoch über ihren Köpfen stand, fröstelte ihn der unbarmherzige Wind, welcher ihr Schiff unaufhaltsam in die richtige Richtung blies.

„Die Schildkröte" lautete der Name jenes Schiffes, welches unter der Flagge Pirmas segelte, die wehrlos an der Spitze des einzigen Mastes vom Wind umhergeweht wurde.

Der blutige Speer mit dem schwarzen Kopf an der Spitze, war erst seit der roten Rebellion als Bestandteil auf dem rosaroten Fetzen zu sehen und eine Anspielung auf den Pfahl, auf den Palu Venua den Kopf Hernak Sek'Moduns gespießt hatte. Noch in der folgenden Nacht wurde der hölzerne Spieß mitsamt dem Kopf des Oberbefehlshabers der namunschen Armee, von einem Unbekannten entwendet. Der Schädel war seitdem nie wieder aufgetaucht, einzig der blutgetränkte Pfahl lag außerhalb der Stadt am Wegesrand, halb verborgen in einem Weizenfeld.

Der rote Odo hatte ihm erzählt, dass sich seitdem etliche Legenden um den Dieb rankten.

So stellen die vielen unterschiedlichen Geschichten diesen wahlweise als überlebenden namunschen Soldaten, als ostländischen Zauberer oder gar als einen finsteren Dämon dar, der mitsamt seiner Brut in Diensten des Mutterpriesters stand und den Kopf letztlich gar hinauf in den Mutterschoß geschickt haben soll.

„Der Kopf seines Bruders hätte eigentlich auf diesen Spieß gehört", fiel Jullen ihnen ins Gespräch.

„Der Krieg ist Vergangenheit. Was hätte sein können, ist von keinerlei Bedeutung", beschwichtigte Odo die kurze, aufbrausende Bemerkung des Jungen mit den langen, schwarzen Haaren, welche er zum Schutz vor den tosenden Winden, mit einer Kordel hinter seinem Kopf zusammengebunden hatte. Odo Lanzkamp, in seiner unaufgeregten Art, neigte selten zu überschwänglichen Gefühlen, gab sich zumeist distanziert, lag mit seinen Kommentaren und Einschätzungen aber beinahe immer richtig.

Pat war sich sicher, dass genau diese Eigenschaft dafür gesorgt hatte, dass dieser nun zu seinen Reisegefährten zählte.

Und er selbst? Nun, das war noch immer ein großes Rätsel für ihn. Sicher, er war der beste Schwertkämpfer und Bogenschütze unter allen Rekruten, die noch dem Aufruf des alten Regenten gefolgt waren. Nicht nur seine Ausbilder Grauwasser und Wolvau hatten ihm dies mehr als einmal bestätigt. Und doch war er kein echter Soldat der Stadtwache, durfte er schließlich nie seinen Treueeid ablegen.

Seine Freunde Rott, Ben, Temu, Ruker und Tesso, mit denen er seit seinem Aufbruch nach Venhaven, nicht mehr gesprochen hatte, sollten ihm dies mittlerweile voraus haben.
Ein wenig störte ihn diese Tatsache dann schon, auch wenn er es nach außen hin nicht zugeben mochte. Dennoch hoffte er darauf, dass ihr Hauptmann ihm möglicherweise noch während ihrer Reise seinen Eid abnehmen würde. Er besaß die Macht dies zu tun. Es konnte doch schließlich nicht in seinem Interesse sein, mit einem formellen Rekruten zu reisen. Irgendwann musste er das doch einsehen.

Venhaven war nun jedenfalls nicht mehr das Ziel, was bezüglich ihres Ablegehafens auch keinen Sinn machen würde. Die Schildkröte segelte gen Osten, was wohl darauf schließen ließ, dass sie eine der ostländischen Hafenstädte ansteuerten. „Krieg" war nach wie vor der einzige Anhaltspunkt, den sie ihrem Hauptmann Mendo Warigna bezüglich ihrer finalen Destination zu entlocken imstande waren.

Schon recht früh hatte Pat an Namun gedacht, doch welchen Sinn würde es machen, mit fünf Mann auf den feindlichen Kontinent überzusetzen?

Der alte Söldner Rekard Amwaldt wollte sich hingegen gar nicht an Spekulationen beteiligen: „Soll mich der Wind doch auf die hinterste der tausend Inseln verschlagen. Was zu tun ist, wird getan werden."

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