42 - Der heimatlose Junge (3)

3 1 0
                                    

Sofort wanderte Mamas Blick zu Di. Sie sprach nicht, schaute ihn nur aus ihren trüben Augen an.

Er ließ Salli stehen und schritt an die Seite der alten Frau.

„Du wirst nicht hierbleiben können, mein lieber Junge", hauchte sie ihm entgegen und sie wusste auch, da war sich Di sicher, dass sie ihm damit einen Stich ins Herz versetzte.

„Wohin soll ich gehen?", formulierte er die erste Frage unter den hunderten, die ihm in den Kopf geschossen waren.

„Marei Masu in den Blutrinnen im Südosten der Stadt", entgegnete sie ihm nach kurzer Überlegung, ehe Salli sich zwischen sie beide drängte.

„Wieso lügen die guten Männer über Di?", mochte sie wissen, während sie ihren Kopf, wie eine Taube, von einer Person zur anderen drehte.

„Sie lügen nicht", antwortete Di ihr schließlich, als er bemerkte, dass Marika ihm diese Antwort nicht abnahm.

„Aber das ist nicht schlimm, wenn jemand stiehlt, sagt Mama."

Sie wandte sich sofort an die alte Frau: „Du hast selbst gesagt, dass zum Beispiel Fuchsy früher wie ein hungriger Wolf über die Händler hergefallen ist. Der eine Gott vergibt den Hungernden und Verzweifelten."

„Salli, Kleines", redete ihre Mama beruhigend auf sie ein, „Di wird zu einer guten Freundin von mir gehen. Ihm wird nichts geschehen. Wir können ihn dort besuchen, wenn du willst."

„Oh", erwiderte sie, während ihr Gesicht leicht rosa anlief. Sie warf Di einen flüchtigen, verschämten Blick zu und ging zu ihren Freundinnen.

„Marei Masu", lenkte Marika Dis Blick wieder auf sich, „wird dich vor den neugierigen Blicken verstecken. Dir wird es an nichts mangeln."

„Wie lange soll ich mich denn verstecken?", hakte Di sofort nach.
Sein Herz klopfte aufgeregt in seiner Brust. Er wollte sich nicht, für wer weiß wie lange, in einer dunklen Kammer verkriechen, bis man ihn vielleicht vergessen würde.

Ohne zu antworten, streifte sich Marika einen hölzernen Reif vom rechten Arm und legte diesen in seine Hände.

„Zeig ihr diesen Reif, wenn du sie triffst und sie wird wissen, dass ich dich geschickt habe."

„Wo muss ich suchen? Wie erkenne ich sie?"

„Begib dich in die Blutrinnen. Sie dort zu finden, wird dir nicht sonderlich schwerfallen. Jeder Bewohner dort wird dir diesbezüglich weiterhelfen können. Du solltest heute Nacht aufbrechen, wenn unser Haus und die Stadt schlafen. Sag' es der kleinen Salli nicht. Das macht den Abschied für euch beide leichter."

Er verbrachte den ganzen Vormittag, wie auch den Nachmittag zusammen mit seiner kleinen Schwester und ihren Freundinnen. Auch Fuchs gesellte sich ab und an zu ihnen, da es draußen zu stark regnete und er keine Lust hatte nass zu werden. Als sie sich des Abends wieder in ihre Betten bequemten, wartete Di bis alle anderen eingeschlafen waren und schlüpfte schließlich aus seinem Bett. Salli und Fuchs und all die anderen Kinder schliefen tief und fest. Etwas wehmütig verabschiedete er sich still von ihnen, nahm seine wenigen Habseligkeiten an sich und ging.

Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen, damit die Holztreppe nicht allzu laut knarzte und schlich durch den laut- wie leblosen Raum, der ohne die ganzen Kinder beinahe seltsam anmutete.

Vor der grünen Türe leuchteten seine Augen noch einmal auf.

Irgendjemand hatte ein paar lederne Stiefel davor platziert. Zunächst war er sich nicht sicher, doch dann probierte er den Rechten an. Er passte wie für ihn angefertigt. So schlüpfte er auch in den linken Stiefel hinein und öffnete anschließend leise, wie auch vorsichtig die Tür.

SchöpferzornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt