36 - Die blaue Palu (2)

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Bezüglich ihrer nächsten Entscheidung, die sie zu überbringen gedachte, zweifelte sie ebenso wenig, wie ihr Großvater oder gar ihr Vater es getan hätten. Auch wenn sie es überhaupt nicht mochte, so spürte sie den Drang das Kleid anzulegen, welches sie bereits zum Empfang ihrer beiden Schwerter getragen hatte. Sie bürstete ihre Haare, trug Zitronen- und Minzduft auf und ging, in Begleitung von Linhard und Frix, durch die langen, kühlen Flure der Ostseite des Palastes, schritt am langen Arm vorbei, stieg in die oberen Geschosse hinauf, bis sie vor der schlichten Eichentüre stehen blieb, welche in die geräumigen Gemächer des vorerst letzten Mitglieds ihrer Beraterschaft führte, mit dem sie heute noch unter vier Augen zu sprechen gedachte.

Sie klopfte zweimal mit ihren Fingerknöcheln gegen das glatte Holz und musste sich einen Augenblick gedulden, ehe Tai Fisi ihr die Tür öffnete.

Er trug ein orangefarbenes Gewand mit weißen und gelben Federn bestückt.

Obwohl sie ihn noch nie zuvor besucht, sich nicht einmal bei ihm angekündigt hatte, lag nicht der Hauch einer Spur von Überraschung im Gesicht des Mannes. Hocherfreut lächelte er sie an, während seine beiden Goldzähne funkelten: „Meine Regentin, welch eine Ehre Euch an diesem wunderschönen Morgen begrüßen zu dürfen. Wenn es Euch beliebt, so tretet doch ein."

Er trat einen Schritt beiseite, um Lena mit einer schwungvollen Handbewegung hereinzubitten.

Sie wies ihre Begleiter an, vor der Tür zu warten und kam Fisis Bitte nach.

In der Stube stand ein großes Bett, in dem ohne weiteres vier Personen Platz zur Nachtruhe hätten finden können. Die grasgrüne Decke, wie auch die unzähligen, bunten Kissen waren bereits aufgeschüttelt und wieder fein säuberlich hergerichtet worden. Auf dem kleinen Nachttischchen, neben dem Schlafplatz, stand ein Tablett mit den Resten eines Frühstücks. Einige wenige Früchte, ein Pfirsich, vier Pflaumen und ein halber Apfel, ein kleines Schneidemesser, sowie eine leere Karaffe, in der sich augenscheinlich noch ein Bodensatz mit Milch befand.

Der weiße Steinboden war beinahe vollständig bedeckt von ostländischen Teppichen, die Jessel Schooke eigens für ihre Gäste aus Yaznark hatte auslegen lassen.

Ein geräumiger Eichenholzschrank stand neben einem großen runden Fenster, das einen Blick in den Innenhof gewährte. Die schweren, violetten Vorhänge waren beidseitig aufgezogen und ließen so das Sonnenlicht herein. Ein Schreibtisch samt Hocker, auf dem ein Stapel leeres Pergament sowie Federkiel und ein halbvolles Tintenfässchen standen, fanden ihren Platz auf der anderen Seite des Fensters. Gegenüber dem Bett ein großer offener Kamin, welchem ein leichter Aschegeruch zu entnehmen war. Doch vordergründig roch es in den Gemächern des Tais nach seinen Duftwässerchen. Wie ein Korb voller Obst, in einem Beet aus wohlduftenden Blumen, nach einem Regenschauer.

Er offerierte ihr einen Platz auf dem Bett: „Tut mir leid, dass ich Euch keinen angemessenen Platz zum Sitzen anbieten kann, aber so wunderbar dieses Gemach auch sein mag, einen bequemen Stuhl sucht man hier drin vergebens."

Er lachte amüsiert auf, was auch Lena dazu brachte in sein freudiges Gelächter einzustimmen.

„Ich sollte mich entschuldigen nicht für eine passende Sitzgelegenheit gesorgt zu haben", entgegnete sie und setzte sich auf die weiche Matratze nieder, während der Tai sich den kleinen Hocker vor seinem Schreibtisch zurechtrückte und seinerseits Platz nahm. Elegant schlug er die Beine übereinander. Sein Blick wurde ernst: „Bedauerlich, dass wir, an diesem schönen Morgen, auch mit unserem Lachen nicht den Kummer vertreiben können, der uns alle umgibt."

Herwet und Garns hatten es nicht aus eigenen Stücken zum Thema gemacht. Sie sprachen nicht über Bollet, so als wollten sie verdrängen, was geschehen war. Vielmehr hatten sich die beiden, durch die Vier-Augen-Gespräche mit ihrer Regentin, wohl persönliche Vorteile erhofft. Immerhin den Bären hatte sie, in dieser Hinsicht, vorerst glücklich machen können.

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