32 - Das Messer (2)

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„Kannst du denn lesen?", stellte Di die Gegenfrage und aufgrund der etwas zögerlichen Antwort, schloss er daraus, dass dem nicht der Fall war, formulierte also seine Frage neu: „Nein, nicht lesen. Weißt du denn, wie Lettern aussehen? Diese Dinger, die in den Büchern stehen."

Maus nickte eifrig: „Natürlich kenne ich diese Lettern-Dinger. Es ergibt für mich nur leider keinen Sinn, wie manche Menschen daraus Wörter machen können."

„Pass auf", forderte Di erneut die Konzentration des Jungen, der sichtlich überrascht war, als dieser sich plötzlich an ihm vorbeischob, vor dem nächstgelegenen Dreckhaufen auf dem Boden in die Knie ging und mit seinem Finger passend die beiden Namen ‚Rekard' und ‚Mulwig' hineinschrieb.

Direkt darunter malte er verschiedene Zeichen, die keinen Sinn ergaben, sich jedoch in Größe und Länge der Wörter nicht von den Zeilen darüber unterschieden.

„Welches davon sind Wörter aus unserer Sprache?", wollte er schließlich von Maus wissen, der ohne zu Zögern auf die Namen von Gunnet Bohns' Leibwächtern zeigte.

Zumindest in seinem Inneren atmete Di erleichtert auf.

„Ich möchte, dass du Papierrollen, Pergamentfetzen, Briefe, alles was du findest und tragen kannst, mitgehen lässt", erklärte er Maus, während er seinen schmutzigen Finger an seiner Hose abwischte.

Er deutete schließlich damit auf den Dreckhaufen zu seinen Füßen: „Alles, was du siehst, das nicht in unserer Sprache verfasst ist, möchte ich haben."

Maus nickte, auch wenn er augenscheinlich den Sinn dahinter nicht verstand. Das jedoch war Di egal. Das zustimmende Nicken war alles, was er sich erhofft hatte. Beinahe hätte er dem einen Gott dafür danken wollen, doch bezweifelte er, dass dieser bei Derartigem seine Finger im Spiel haben würde.

„Ich biete dir im Übrigen zehn Silbermünzen im Tausch dafür", verkündete Di und es belustigte ihn gar ein wenig, als er im Anschluss die herunterklappende Kinnlade des rotschopfigen Jungen sah.

„Dafür würde ich sogar im goldenen Ring tätig werden", scherzte er.

„Du sollst sogar im goldenen Ring tätig werden", kehrte Di rasch den Witz in Ernsthaftigkeit um.

Er erklärte dem Jungen bis in das kleinste Detail genau, welches Haus er dabei im Sinn hatte. Unweigerlich musste er dabei auch wieder an Paky denken.

Maus, der mittlerweile sogar vergessen hatte seinen Apfel zu essen, willigte immer noch euphorisiert, ein und versprach Di binnen einer Woche mit seinem Papier zurückzukehren. Hierher in das Waisenhaus Mutter Marikas. Er benötige dafür ein wenig Zeit, lautete seine Erklärung, schließlich müsse er sich doch zunächst einen Eindruck vor Ort verschaffen. In dieser Gegend der Stadt kenne er sich nicht sehr gut aus und dort wäre es für ihn auch kaum möglich sich tagsüber ungesehen zu bewegen.

Das war ein Problem, wie Di begriff. Nachts könne er sein Vorhaben unmöglich umsetzen, was er Maus auch erklärte. Erste Zweifel machten sich daraufhin auf dem Gesicht des Jungen breit, doch die Aussicht auf zehn Silbermünzen schienen zu verlockend für ihn zu sein, als das er Dis Wunsch abschlagen konnte. Selbst wenn Maus hier laute Zweifel angemeldet hätte, so wäre es für Di doch kein Problem gewesen den Preis zu erhöhen.

Wie hatte sein Vater doch einmal gesagt: „Manchmal muss ein Mann bereit sein an seine persönliche Schmerzgrenze zu gehen, wenn er etwas unbedingt möchte."

Bestimmt hatte Kal Brahmen damit aber nicht sagen wollen, dass man jemanden gegen Geld bestehlen lassen solle. Es musste jedoch sein, war Di überzeugt.
Immerhin war sein Vorhaben bei Weitem nicht so schlimm, wie das, was Fuchs getan hatte. Er konnte nur hoffen, dass der Zorn des einen Gottes auf den stummen Jungen nicht allzu schlimm ausfiel.

SchöpferzornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt