38 - Der Narr der Regentin (2)

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Die beiden Söldner schienen wieder einmal über ihre Vorräte hergefallen zu sein, wie ein mehrköpfiges, ausgehungertes Wolfsrudel es getan hätte. So musste sich Di schon wieder frischen Schinken, Kartoffeln und Eier auf seiner Einkaufsliste notieren. Genug, um zwei-, vielleicht dreimal in die Händlerstadt aufbrechen zu müssen.

Für gewöhnlich genoss er seinen Gang zum Einkaufen, doch heute Morgen schwirrten ihm derart viele Gedanken im Kopf umher, dass er sich nur halbherzig an den vielerlei Eindrücken laben konnte, die ihn umgaben. Der alte Buchhändler auf seinem weißen Stuhl, der einer lauschenden Menge aus einem seiner zahlreichen Exemplare vorlas, raubte Di normalerweise immer einige Minuten seiner Zeit, die er damit verbrachte, dessen sanfter, rauchiger Stimme zu lauschen.

Heute vermischten sich die Worte, in seinem Kopf, mit der Stimme Tai Fisis, der, wie er sagte, in Yaznark für Di Verwendung hätte. Einen „intelligenten Knaben" hatte er ihn genannt.

Ob der Buchhändler über namunsche Literatur verfügte, wie der Tai ihm ans Herz gelegt hatte?

Eine Schattengestalt in der Form Thumas stellte sich vor seine Gedanken über die ostländische Hauptstadt.

„Das kann ich nicht zulassen", flüsterte sie in jener, beinahe fremden Stimme. Viele Briefe, ein Messer, Pakys Gesicht. Alles vermischte sich zu einem ungenießbaren Eintopf.

Di zuckte zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.

Als er erschrocken herumwirbelte, blickte er in ein gesundes und ein totes Auge, welche beide zu Hennis Krug gehörten.

„Bücher scheinen wirklich eine Leidenschaft von dir zu sein, mein Junge", lächelte er ihn fröhlich an.

Di fiel zunächst keine Antwort ein, weshalb er den halbblinden Gelehrten nur anstarrte.

Der alte Mann trug einen kleinen Sack bei sich, den er wohl gerade erworben hatte und welcher den würzigen Duft von frischen Kräutern verströmte.

„Wenn du möchtest, und ich dich nicht bei irgendwelchen Erledigungen störe, dann zeige ich dir mal etwas, das dich sicherlich interessieren wird. Du musst mir aber versprechen, dass du es dem alten Griesgram Bohns nicht verrätst."

Ohne zu lange zu überlegen oder gar zu zögern, stimmte Di ihm kopfnickend zu.

„Fein", erwiderte Krug freudestrahlend, „dann folge mir bitte, junger Mann."

Auf seinen knorrigen Gehstock gestützt, ging der Mann voraus. Ihr Weg führte sie, anders als Di erwartet hatte, nicht zurück in den goldenen Ring, sondern in einen Teil der Stadt, den man schlicht als ‚die Ziegelei' bezeichnete, zurückzuführen auf die zahlreichen Häuser aus Back- und Klinkerstein.

Ein ebensolches, unscheinbares Backsteinhäuschen entpuppte sich als Zuhause des alten Mannes.

Von dessen Türschwelle aus konnte man direkt auf die Türme des Palastes blicken, die sich wie kleine Titanfäuste gen Himmel reckten.

Di hätte nicht erwartet, dass ein Berater der Regentin neben einer Taverne lebte, aber so war das wohl bei scheinbaren Narren.

Krug verschnaufte kurz, halb erschöpft auf seinen Stock gestützt, ehe er einen großen, silbernen Schlüssel in das Schloss der, in frischem Purpurrot erstrahlenden, Türe steckte und seinen Begleiter hereinbat.

In dem kleinen, hellen Räumchen roch es nach frischem Holz. Von einem runden Tisch und zwei Stühlen sowie einem großen Wandschrank, alle Möbelstücke augenscheinlich nagelneu, ging der angenehme Duft aus. Krug warf den Sack mit den Kräutern auf den Tisch und setzte sich auf einen der Stühle nieder. Di blieb derweil stehen, blickte in dem, ansonsten spärlich eingerichteten, Raum umher. Es gab zwei Türen, welche in die wohl einzigen beiden weiteren Räume führten. Beide waren sie verschlossen.

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