33 - Die Mission der Söhne (3)

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Erst im hohen Alter, nachdem er alle seine Vettern und gar deren Söhne überlebt hatte, war Millot Menk bereit oder vielleicht eher gezwungen gewesen, eine Frau zu ehelichen und seine Erbfolge selbst zu regeln. Viele der alten Männer Rinkens, die alten Saufköpfe im Besonderen, kommentierten diese Tatsache gerne mit einer seltsamen Mischung aus Anerkennung und Spott. Erstere dafür, dass er „in seinem Alter" überhaupt noch Kinder zu zeugen in der Lage war, die Häme für die Art und Weise, wie er dies wohl angestellt habe. Böse Zungen behaupteten zunächst sogar, Millot Menk wäre nicht der Vater seiner vorgeblichen vier Kinder, doch mit zunehmenden Alter und sich mehr und mehr herauskristallisierender Ähnlichkeit zwischen dem Vater und den Söhnen, vertrat diese Meinung schließlich niemand mehr. Außer vielleicht noch ebenjene Schwachsinnige, deren Ansichten, trotz aller Aufgeschlossenheit, wenig bis nichts zählten.

Trotz seiner ausschweifenden Gedanken, fand er sämtliche Straßen, die er beschritt, jegliche Gassen, in die er abbog, menschenleer vor. Es wirkte so, als hätten sich sämtliche Bewohner der Stadt in ihre Häuser zurückgezogen, um dort in kompletter Stille zu verharren. Beinahe so, wie aufgeschreckte Tierchen, die sich vor einem hungrigen Wolf versteckten und darauf warteten, dass sich dessen Witterung verlor und die von ihm ausgehende Gefahr mit ihr.

War er etwa der Wolf?

Am gespenstischsten wirkte auf ihn der angrenzende, wie leer gefegte Marktplatz. Dort, wo um diese Zeit eigentlich das größte Gedränge herrschen sollte. Direkt nach seiner Ankunft in Venuris hatte Pat die Straßen der Hauptstadt mit menschlichen Venen verglichen, durch die, statt Blut, eine Schar von Menschen gepumpt wurde. Der Marktplatz im Zentrum der Stadt war somit sicherlich als dessen Herz zu bezeichnen. Würde er jenes Bild nun auf diesen Ort hier übertragen, dann musste diese Stadt schon vor einiger Zeit gestorben sein.

Doch auch hier fanden sich keine Spuren eines Kampfes oder einer eiligen Flucht. Was also war passiert?

Lag es an seinem Traum? Schließlich war es unmöglich, dass er, der soeben noch in Surme, auf einem anderen Kontinent, stand, nun an solch einem Ort sein konnte. Er war gefallen, doch wohin?

Als er die große hölzerne Bühne erblickte, die inmitten einer freien Fläche, hinter einem riesigen Brunnen auftauchte, erinnerte er sich sofort an die Hinrichtung der vier Befreier, der er beiwohnen musste. Leise heulten die Schreie der Brennenden wieder in seinem Kopf auf. Sie verursachten stechende Schmerzen, wie kleine Nagetiere, die sich, auf der Suche nach Freiheit, durch sein Hirn wühlten.

Er beschloss, sich die Konstruktion aus der Nähe anzusehen. Noch von Weitem war ihm aufgefallen, dass hier die vier großen Pfähle fehlten, die die Möglichkeit boten, vier zu Richtende anzubinden. War es am Ende gar kein Ort, wo eine Hinrichtung hätte durchgeführt werden sollen?

Verwundert hielt er inne, als er das Mädchen mit den langen, roten Haaren auf den Brettern sitzen sah. Helles Eichenholz, auf dem deutliche Spuren von Blut zu sehen war. Ein regelrechtes Gemälde aus getrocknetem Blut. Blass-, bis dunkelrote Kreise, die ineinanderliefen und schließlich wie unzählige, miteinander verhakte, Kettenglieder wirkten. Inmitten einer frischen Lache des klebrigen Saftes, saß jenes Mädchen, das Gesicht zwischen den angewinkelten Beinen versteckt. Das feuerrote Haar fiel wie ein Wasserfall ihren Rücken hinab und berührte dort die Bretter, auf denen sie saß. Sie trug ein schmutziges Gewand. Es mochte vielleicht einmal weiß gewesen sein, doch nun war es voller Dreck und Blut. Die Haut an ihren doch recht dünnen Armen und Beinen war so weiß, dass es ihn beinahe blendete. Er mochte sie ansprechen, doch seine Zunge war wie gelähmt. Und jetzt erkannte er sie. Anbritt. Es war Anbritt, das Mädchen aus Berwinkel. Tochter des Wirtes des ‚Nimmerleeren Fasses'. Er hatte sie diese eine Nacht geliebt, die er in ihrem kleinen Dorf verbringen musste. Seither konnte er ihren Geruch nicht vergessen, wenngleich er sich eigentlich gar nicht mehr so richtig erinnerte, wie denn genau sie gerochen hatte. Er wusste nur noch, dass er dieses eine Mal, nach langer Enthaltsamkeit durch seine Zeit in Venuris, so sehr genossen hatte.

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