44 - Die Bestien (2)

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Sie hatten sich kaum nach Dymen Steinfurt umsehen können, da begannen Männer bereits aufgeregt die Hafenglocke zu läuten. Sie wusste, was das bedeutete.

„Pünktlich, wie man sie kennt", bemerkte Fisi erfreut und machte einige eilige Schritte auf die, von Algen grün-weiß gesprenkelte, Kaimauer zu, um seinen Blick gen Westen zu richten.

Es dauerte noch eine Weile, bis auch Lena am Horizont mehrere kleine Pünktchen erkennen konnte, die bald darauf zu größeren Pünktchen heranwuchsen und schließlich, gar vom Langsamsten unter ihnen, als Palu Menks Flotte ausgemacht werden konnten. Unter den wendigen Langschiffen und den eher trägen, da riesigen Dromonen stach insbesondere die berühmte ‚Millot' aus der Menge heraus. Lena erkannte sie sofort, die schlanke Galeere mit ihren beiden roten Segeln auf denen das blaue Schwert der Westlande in jeweils gigantischem Ausmaße prangte. Gefühlt war wohl nur eine knappe Stunde vergangen, als Palu Menk, der Kapitän der ‚Millot', mit schätzungsweise fünfzig oder sechzig Ruderbooten, welche dem seinen folgten, anlandete.

Der älteste Sohn ihres Schwertes der Westlande war beinahe so groß wie sein Vater. Dabei war Menk, mit gerade einmal sechzehn Jahren, rund ein Jahr jünger als seine Regentin. Er trug feinste Stiefel und Handschuhe aus Hirschleder, ein gestepptes, zinnoberrotes Wams mit aufwändigen blauen und goldfarbenen Stickereien verziert. Um seine Schultern wehte ein silbrig-grau schimmernder Mantel. Bei seinem lockigen blonden Haar mochte er für gewöhnlich großen Wert auf ein gepflegtes Aussehen legen, doch zerzauste der Wind es ihm mit seinen salzigen, böigen Fingern. Erst bei näherem Betrachten erkannte Lena den blonden Ansatz eines Vollbarts, der farblich beinahe eins mit seiner hellen Haut bildete. Seine Augen trugen die Farbe des blauen Meeres. An einem schöneren Tag hätte sie diesen Vergleich zumindest nicht aus dem Gedächtnis herausziehen müssen. Sie hatten sich als Kinder zuletzt gesehen, damals als Hanalka Venuas jüngere Schwester und somit Lenas Großtante, Ria Fallenstein, aus dieser Welt geschieden war. Die letzte lebende Blutsverwandte aus der Linie ihres Vaters. Aus dem schmächtigen Jungen von damals, der nur noch schemenhaft in ihrer Erinnerung herumgeisterte, war nun dieser, wahrlich gutaussehende, Mann geworden, wie sie sich, beinahe etwas unangenehm berührt, eingestehen musste.

Mit einer schwungvollen Bewegung fuhr Palu Menk vor seiner Regentin auf das rechte Knie nieder. Noch immer reichte sein Kopf dabei bis auf Höhe ihrer Brust. Als er sich wieder aufrichtete, kehrte sich dies jedoch ins Gegenteil.

„Ich heiße Euch herzlichst Willkommen in Venhaven, werter Menk", begrüßte sie ihn erfreut.

„Meine Regentin", antwortete er mit männlicher Stimme und einem fröhlichen, überaus vereinnahmenden, Lächeln auf den Lippen, „Ihr adelt uns mit Eurer Anwesenheit. Ohne zu zögern bin ich Eurem Ruf gefolgt und habe Euch die westländische Flotte mitgebracht."

„Einen Teil der westländischen Flotte", bemerkte der Tai etwas schnippisch, ehe Lena etwas erwidern konnte.

„Verzeiht, werter Tai. Unsere Dromonen sind brechend voll mit Vorräten, Trinkwasser, Waffen und Belagerungsgerät. Wir sind sowohl für die Schlacht zur See als auch zu Lande bestens gewappnet. Mein Vater pflegt stets zu sagen, dass man seinem Feind niemals sofort alles entgegenwerfen sollte, was man in der Hand hat. Auch ich bin dieser Ansicht. Wir werden unsere Reserve ganz bestimmt nicht benötigen, dennoch finde ich es beruhigend sie im Ernstfall in der Hinterhand zu wissen."

„Sicher werden wir Eure Reserve nicht benötigen", lachte der Tai, „weil es ohnehin die Schiffe der Ostlande sein werden, die uns den Sieg bringen."


Lena erkannte sofort, wohin dieses Gespräch führen würde und fuhr dazwischen.

„Meine Herren, ich möchte keine Zwistigkeiten zwischen uns wissen. Wir alle sollten uns auf das Wesentliche fokussieren und uns den Tatendrang für das Schlachtfeld aufsparen."

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