28 - Glut und Feuer (1)

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Erleichtert, da entkräftigt, warf sie sich gegen das weiche Efeu, welches die vor ihr liegende Seitenwand jener Hütte überzog, in der einst stets die Gäste ihres Vaters genächtigt hatten.

Zumindest vermutete sie, dass das Ende ihres Ganges weich abgefedert wurde, denn so hatte sie den Efeu schließlich in Erinnerung gehabt. Auch wenn sie keine Erinnerung daran besaß, so war es doch Boko, der ehemalige Kaymo, gewesen, der sie dem Tod entrissen hatte. Wieder einmal, wie sie sich fast schon etwas beschämt eingestehen musste, war er ihr zur Rettung geeilt. Selbst wenn man ihr noch ein weiteres Leben schenken würde, so bestünde vermutlich niemals mehr die Gelegenheit sich dafür angemessen zu revanchieren.

Auf ihrem Gesicht, halb vergraben in der grünen Wand, kitzelten sie die einzelnen Blätter. Dieses Mal war es keine Einbildung, da war sie sich sicher. Sie konnte den Efeu spüren, wie er sie an der Nase kitzelte, wie sich ein Niesen zwischen ihren Augen zusammenbraute.

Wie von einer unsichtbaren Macht bewegt, wurde ihr Körper zurückgerissen. Das Grün, soeben noch dicht vor ihren Augen, entfernte sich immer weiter von ihrem Gesicht.

Boko hatte sie gepackt und wieder aufgerichtet. Sie sah es, als sie kurzerhand über ihre Schulter zurückblickte. Doch verspürte sie währenddessen nichts, wie sie sich enttäuscht eingestehen musste. Der feste Griff des stark gealterten Mannes war wie stehende Luft, wie der Nebel über ihnen. Präsent, aber nicht körperlich wahrnehmbar.

Schlaff und kraftlos lag sie in seinem Arm, blickte ihm unweigerlich in sein Gesicht, auf dem sich seine ernste, harte Miene abzeichnete. Die Lippen schmal wie zwei dünne Baumfasern, die Augen glasig und müde. Er wirkte ausgemergelt, so als würde er nicht genug essen. Oder gar so, als wäre er in rasantem Tempo gealtert.

Er fuhr ihr mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand durchs Gesicht, unter ihren Augen entlang. Wischte er ihre Tränen beiseite? Falls ja, konnte Suki nicht einmal sagen, ob es denn nun Tränen der Freude darüber waren, dass sie es endlich geschafft hatte mehr als fünf Schritte alleine, ohne Hilfe, zu gehen? Oder waren es Tränen der Traurigkeit, weil sie immer noch von der Taubheit gepeinigt wurde, die sie seit jenem verhängnisvollen Zeitpunkt heimsuchte, damals als der Nebel nach ihr rief. Es schien eine kleine Ewigkeit her zu sein.

Dabei konnte sie sich noch genau an das Mahl erinnern, dass Matto ihnen aufgetischt hatte. Fisch, gebettet auf Blättern von sogenanntem Blaukraut, gefüllt mit einer Paste aus getrockneten Früchten und zerriebenen Wurzeln. Genau einer Portion hatte er jedoch die hochgiftige purpurne Ranke zugefügt. In den alten Zeiten diente jene, aus sämtlichen Siedlungen verbannte Pflanze, der Vollstreckung der Höchststrafe. Sie brachte den Tod.

Just dieser hätte auch jemand von ihnen ereilen sollen. Man war sich einig, dass die Ranke für ihren Onkel Peseo bestimmt gewesen war.

In seiner Unaufmerksamkeit hatte Matto zugelassen, dass Aneka ihrer Nichte den vergifteten Fisch vorsetzte.

Noch immer gab sich Sukis Tante selbst die Schuld dafür und war seitdem kaum mehr in der Lage sich in ihrer Nähe aufzuhalten, ohne in Tränen auszubrechen.

Boko sprach sogar von Schwächeanfällen, die die rundliche Frau manches Mal gar aus heiterem Himmel erlitt, wenn sie nur daran dachte, was sie getan hatte.

Zu gerne hätte Suki ihrer Tante mitgeteilt, dass sie keinerlei Schuld träfe, doch auch das war seither ein großes Problem, welches sie plagte. Ihre Zunge fühlte sich die meiste Zeit über an, wie ein Klumpen Erde, der schwer in ihrem Mund lag.

Das Sprechen fiel ihr daher schwer und wenn sie doch einmal Worte in die Welt entließ, konnte sie sie teilweise selbst nicht verstehen.

Boko jedoch verstand immer, was sie wollte. Er war überhaupt der Einzige, der diese neue Situation so nahm, wie sie war. Der Einzige, der Suki nicht mit überbordendem Mitleid übergoss. Obwohl er so hart wie Stein wirkte und freudlos durch die Welt schritt, so war er doch derjenige, der die größte Hoffnung in ihrer Gegenwart verbreitete.

SchöpferzornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt