24 - Das Geschenk (2)

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Erst jetzt fiel ihr auf, dass Menks Blässe am heutigen Tage noch ungesünder wirkte, als gewöhnlich. Sein Kopf hing ein wenig vornübergekippt, wie ein schwerer Stein, während seine trüben, blauen Augen mit Mühe und Not ihren Weg zu Lenas Antlitz fanden. Ein bedauernswertes Häufchen Elend in edlen Kleidern, das war von dem großen Kriegshelden übrig geblieben.

Er räusperte sich lang und ausgiebig, ehe er ihr den Grund offenbarte, weshalb er denn erstmals das Gespräch unter vier Augen mit ihr suchte: „Zunächst möchte ich Euch beglückwünschen", begann er, nachdem er angestrengt seine Lippen befeuchtet hatte.

Beglückwünschen? Wozu? Zu ihrer Entscheidung Ante Teng als Nachfolger Tenth Barkes einzusetzen? Oder doch etwa...

„Es sind mutige Entscheidungen, Männer wie den Sohn Tai Jogoos und den alten Hennis in seinen Beraterstab zu holen. Aber gerade in Zeiten, wo jener Rat massiv an Kompetenz verloren hat, gehört nicht nur Mut, sondern auch Weitsicht dazu."

Mit seiner letzten Bemerkung bezüglich der Kompetenz war klar, worauf er anspielte und genau so dachte sie selbst ja schließlich auch. Ohne Hofken, ohne Bollet und ohne Penthuys fehlten ihr gleich drei Größen um sich herum. Natürlich hatte weder Sie noch irgendein anderer an ihrem Tisch dies je so offen ausgesprochen, wie es der alte Menk nun getan hatte.

„Wahrscheinlich haben sich die anderen selbstverliebten Taugenichtse überschlagen, als Ihr sie von Eurer Entscheidung unterrichtet habt, nicht wahr?"

Lena nickte vorsichtig. Millot Menk überraschte sie erneut. Nicht nur, dass sie zum ersten Mal seit seiner Ankunft ein vertrauliches Gespräch führten, es war insbesondere das, was er zu sagen hatte, welches sie so erstaunte. In den ersten Augenblicken fühlte es sich fast noch ein wenig falsch an, nach außen hin Zustimmung für seine ausgesprochenen Gedanken zu zeigen. Recht schnell löste sich dieses Korsett in ihr drinnen und ließ genügend Raum, um Menks Worte wirken zu lassen.

Und es fühlte sich gut an, dass es noch jemanden gab, der ihre Ansicht teilte, der sie darin bestärkte, richtig gehandelt zu haben.

„Ihr seid ganz Euer Vater", brachte er, von einem leichten Seufzen begleitet, hervor. Kein enttäuscht klingendes Seufzen, sondern eher so, als wäre es von Sehnsucht erfüllt.

Lena erinnerte sich wieder an den Satz, den sie mittlerweile untrennbar mit dem Schwert der Westlande verband: „Als ich die Nachricht seines Todes erhalten habe, fühlte es sich so an, als wäre mein bester Freund dieser Welt ein zweites Mal von uns gegangen", hatte er ihr auf der großen Palasttreppe mitgeteilt.

Menk vermisste seinen ‚besten Freund', ihren Großvater, sehr. Jeder wusste das.

Jemanden auf eine Stufe mit dem noch immer allerorts verehrten roten Palu zu setzen, war die wohl größte Ehre, die ein Millot Menk einem zuteil werden lassen konnte.

Und wer, wenn nicht ihr Vater, hatte solch eine Ehre verdient? Sie? Das implizierten seine Worte zwar, doch diese Anerkennung wies sie in Gedanken weit von sich.

„Euer Vater wusste, dass er beispielsweise Leute wie Donte Herwet oder Gurravo Shrink brauchte, weil sie die Besten waren, die ihm für ihre jeweiligen Aufgabengebiete zur Verfügung standen. Aber er wusste auch, wann er ihre Einschätzungen benötigte und was er auf ihre allerlei anderen Äußerungen geben konnte."

„Sie sagen", antwortete Lena, „dass es ein Fehler war, einen ‚Köter' wie den Tai in meinen Beraterstab zu holen. Das man ihm nicht trauen könne. Und über Hennis Krug sagen sie, dass er ein verrückter, alter Narr sei. Man hat mir angeraten, die Neubesetzungen wieder rückgängig zu machen."

Auf den ersten Blick verzog der alte Menk nur grotesk seine Miene, bis Lena auffiel, dass es eigentlich ein Lächeln sein sollte, während sein darauffolgendes Lachen kurzerhand zu einem unglücklichen Röcheln und Husten verkam.

SchöpferzornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt