30 - Die weiße Stadt (2)

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Plötzliches Fackellicht und Stimmen ließen Pats Herz für einen kurzen Moment schneller schlagen und auch Jullen stoppte augenblicklich sein Tun. Fremdzüngiges Gebrabbel, es klang aufgeregt, drang an ihre Ohren. In die Länge gezogene Schatten huschten daraufhin im Feuerschien an den Wänden der gegenüberliegenden Häuser an ihnen vorbei. Fünf, sechs, sieben, acht. Es wurden immer mehr Menschen, die die Kieselsteinstraße mit unbekanntem Ziel entlang zogen. Das bislang als Aufregung gedeutete Getuschel und Geflüster klang nun eher amüsiert, denn aufgewühlt. Doch was konnte sie zu später Stunde, wo es hier des Nachts, soweit sie beurteilen konnten, doch eher sehr ruhig zuging, derart umtreiben?

Sie könnten es herausfinden, dachte er sich. Dazu müssten sie nur diesem Wurm aus Menschen folgen, wohin auch immer dieser sich bewegte. Wieso auch nicht? Noch vier Tage lang könnte er von seinem Trockenfleisch zehren. Wenn er seine Rationen noch weiter verkleinerte, ließe sich der Zeitraum vielleicht sogar noch einmal auf fünf, sechs oder gar sieben Tage strecken. Doch dann?

Bereuen würde er es, wenn er sterben sollte, ohne zu wissen wohin diese Menschenmenge marschierte.

Wer, bei dem einen Gott, sollte sie im Mondschein, wenn sie ihre Kapuzen trugen, schon enttarnen?

Es dauerte seine Zeit, bis er Jullen dazu überreden konnte, ihn zu begleiten. Pat konnte nicht sagen, ob es Angst war, die ihn zunächst zögern ließ. Seine Ausreden, von wegen, er habe keine Lust, er sei müde oder die Befehle Warignas, welche er als weiteren Grund anführte, wirkten jedenfalls nicht sehr überzeugend. Was galten Warignas Befehle eigentlich noch? Sie waren Deserteure in den Augen der Stadtwache. Mendo Warigna war hier also bestenfalls noch der Hauptmann seines eigenen Pissschlauches.

Am Ende gab Jullen doch klein bei und schloss sich ihm an.

Kaum das die weißen Steinchen der schmalen Gasse unter seinen Stiefeln knirschten, überfiel Pat das Unbehagen, welches ihm noch vor wenigen Augenblicken völlig abgegangen war. Da zu ihrer Linken bereits der nächste Schwall Menschen, Männer wie Frauen, auf sie zukam, blieb ihnen nur noch, dem Flackern des Feuerschiens der vorausgegangenen Gruppe zu folgen. Die Kapuzen bis knapp über die Augen, den Kragen über die Nasenspitze gezogen, versteckten sie ihre Gesichter so gut es ging. Sie sprachen kein Wort. Ihre Sprache, redete sich Pat ein, war das Einzige, das sie hier bei Nacht hätte verraten können. Die vielen Stimmen im Nacken klangen aggressiv und somit bedrohlich. War es aber doch die normale Sprache der Surmeser. Selbst die Kinder, die ihnen am ersten Tag begegnet waren, hatten so miteinander gesprochen. Oder war dies nur ein Trug in Pats Erinnerung? Schon bald wusste er jedenfalls nicht mehr so recht, wo genau sie sich gerade befanden, geschweige denn wohin sie ihr Weg überhaupt führte.

Die vorauseilende Menschengruppe, genauer gesagt deren Fackeln, schienen wirr und sinnlos an Wegkreuzungen abzubiegen. Mal konnte Pat in der Ferne die zwei Türme des weißen Gartens im Schein des Mondes erkennen und wie sie sich auf diese zubewegten. Doch nur kurz darauf lagen sie wieder in ihrem Rücken und ihr Weg führte von ihnen weg.

Es dürfte mittlerweile mehr als schwierig geworden sein, wieder zurückzufinden, auch wenn er sich einzureden versuchte, dass dies schon kein Problem darstellte. Man könne ja schließlich einfach den Menschen, denen man gefolgt war, wieder zurückfolgen.

Die Gassen wurden breiter, das Knirschen unter ihren Füßen wich langsam dem dumpfen Hall ihrer Absätze auf den nun befestigten Straßen, in welche die Kieselsteinwege mündeten. Es waren doch tatsächlich weniger ihre Kapuzenmäntel, wie Pat zunächst noch befürchtet hatte, als vielmehr ihr Schuhwerk, welches sie inmitten der vielen barfüßigen oder bestenfalls sandalentragenden Bewohner des Armenviertels auffallen ließ, wie zwei Huren in der venurischen Kaserne.

Um sie herum nahmen die Menschenmassen zu. Aus beinahe jeder noch so kleinen Gasse kommend, schlossen sie sich ihnen auf ihrem unbestimmten Weg an. Nicht nur, hauptsächlich alte, Männer und Frauen, auch Kinder huschten aufgewühlt, aber keineswegs ängstlich, zwischen den vielen Beinen umher. Doch auch sie sprachen, wenn überhaupt, nur leise miteinander, nicht wie sonst, wenn die Sonne anstelle des Mondes hoch am Himmel stand.

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