32 - Das Messer (3)

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Zeit, welche Di nutzte, um sich weiter in „Die Gründung Hochklipps" einzulesen. Die westlichste Stadt der Westlande. Einst ein Fischerdorf, gegründet von einem namenlosen Mann, später beherrscht von der Familie Wallsar, die ihre Residenz in die namensgebenden Felswände Hochklipps hauen ließen. Ein wundersames Bauwerk, an dem hunderte von Steinmetze und sonstige Arbeiter angeblich ein ganzes Menschenleben lang gearbeitet hatten. Vielleicht würde Di sich die Wallsar-Residenz irgendwann einmal mit eigenen Augen ansehen, dachte er sich. Die mit dünnen Linien aufgemalten Zeichnungen jedenfalls, konnten, las man den in lobpreisenden Worten verfassten Text dazu, nicht annähernd den tatsächlichen Glanz und die Brillanz des Bauwerks wiedergeben.

Vielleicht würde er ja, nach seiner Zeit als Soldat der Regentin, als großer, angesehener Händler bis nach Hochklipp reisen. Nicht mit Eselskarren, gesteuert von Fitz Grün und Donte Draben, schließlich wären die Wege dorthin keine engen Pfade. Mit einem großen Schiff, welches er sich von seinen Ersparnissen kaufen würde, käme er stattdessen in Hochklipp an. Vielleicht könnte er als freier Händler zwischen den Ostlanden und den Westlanden segeln. So gelänge er zu dem Glück die ganze Welt zu sehen, wenn er denn mal durch die nördlichen Gewässer, mal durch die Südlichen, den Kontinent umrundete.

Er erinnerte sich daran, wie er Suki immer von seiner Welt erzählt hatte und wie sie ihn daraufhin ein jedes Mal wissen ließ, dass sie sich die Bilder, die dazu in ihrem Kopf entstanden, doch einmal vor ihren eigenen Augen wünschte.

Ein Wunsch, den nun weder der eine Gott, noch das alte Volk im Nebel würden je erfüllen können.

Die folgenden Tage bestanden erneut aus langweiligen Zusammenkünften im Ratssaal des Palastes, auf die er den immer schlechter gelaunten Gunnet Bohns begleiten musste. Gespräche über Münzen und Schiffe bestimmten die Stunden. Dabei musste Di die immergleichen Beobachtungen machen: Eine freudlose Regentin und ein gelangweilter Tai. Ein müde und rastlos wirkender Gurravo Shrink, sowie ein freudestrahlender Dymen Steinfurt. Der Mann mit dem Narbengesicht und den drei geflochtenen Bartzöpfen, hielt immer wieder lange Monologe über seine unzähligen Schiffe. Lange Ausschweifungen, die einzig die Regentin zu interessieren schien.

Und dann war da natürlich noch der verrückte Hennis Krug, der Di mittlerweile immer weniger verrückt vorkam. Einmal hatte dieser ihn sogar auf das Buch angesprochen, welches er gerade las.

„Die Länder hinter den Ländern", rezitierte dieser freudig lächelnd den, in großen geschnörkelten Lettern geschriebenen, Titel auf dem schwarzen Ledereinband.

Der buckelige Mann trug an diesem Tag ein purpurfarbenes Gewand, sowie eine Kopfbedeckung in der gleichen Farbe. Er wirkte sehr gepflegt und roch nach Blumen, wenn auch nicht so stark und übertrieben, wie der Tai, den man, selbst mit geschlossenen Augen, auf mehrere Meter Entfernung bereits wahrnahm.

„Torre Gumber war ein wahrhaft außergewöhnlicher Mensch. Womöglich der größte Abenteurer, der je gelebt hat", wusste er, „seine Überlegungen zu einer Welt hinter dem Ende der Welt, sind aber sicherlich nur niedergeschriebener Wunschtraum. Interessant und faszinierend zu lesen, wohl wahr, aber nur der Fantasie eines Mannes entsprungen."

Krug lies sein gesundes Auge von dem Buchtitel hoch zu Di wandern: „Wer hat dir das Lesen beigebracht, mein Junge?"

„Mein Vater", antwortete Di sogleich und musste aufpassen, dass er sein Kinn dabei nicht allzu stolz in die Lüfte erhob. Der edelste Schmuck, den man tragen kann, sei schließlich Bescheidenheit.

„Du bist Dieke Brahmen, nicht wahr? Es tut mir aufrichtig Leid, was deinem Vater zugestoßen ist."

Di wusste nicht so recht, wie er dem Mann seine Dankbarkeit zeigen sollte, nickte daher nur etwas zögerlich, dabei den Blick gesenkt haltend. Woher aber kannte Hennis Krug seinen Vater? Kal Brahmen jedenfalls hatte nie etwas von einem halbblinden, verrückten Mann erzählt, zumindest nicht, dass er sich daran erinnern konnte. Ohne dass eine Frage dazu formuliert wurde, lieferte Krug aber schon die Antwort: „Ich saß damals im Rat und hatte noch zwei gesunde Augen, als uns Kunde von einem jungen Mann zugetragen wurde, der auf Einlass in den Untergrund pochte. Wir vermuteten zunächst einen Scherz gelangweilter Eingangswächter."

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