Verpasste Chancen

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Daryl konnte Sam nicht mehr sehen. Sie war vermutlich auf die Suche nach Connie und Magna gegangen. Noch einige Male rief er ihren Namen, doch es war zwecklos. Ihm blieb keine Wahl, er musste da runter und sie holen. Aber Daryl kam gar nicht erst dazu, noch einmal hinunterzuklettern. Jerry und Aaron packten ihn und zerrten ihn von dem Loch weg und den Hügel hinab. Er wehrte sich und verlangte, dass sie ihn losließen, doch das brachte nichts. Sie hielten ihn eisern fest und brachten ihn immer weiter vom Ausgang weg.

Als Daryl es endlich geschafft hatte, sich ihrem Griff zu entwinden, erschütterte eine weitere Explosion den Boden, doch diese war um ein Vielfaches gewaltiger als die erste, die Carol ausgelöst hatte, nachdem sie mit einer Stange Dynamit die Horde hatte erledigen wollen. Schutt und Steine wurden meterhoch in die Luft geschleudert. Daryl erstarrte. Als sich die dichte Staubwolke etwas gelichtet hatte, blickte er zu dem Ort, wo sich der Ausgang zuvor noch befunden hatte.

„Nein!", brüllte er.

Er lief los und erklomm den Hügel. Der Ausgang war verschüttet und er versuchte die Steine und Felsbrocken mit bloßen Händen beiseitezuräumen. Aaron gesellte sich zu ihm, doch er hielt inne. Hinter ihnen weinte Kelly, die von Jerry getröstet wurde. Doch Daryl war noch nicht bereit aufzugeben. Er räumte immer mehr Steine beiseite. Aaron sagte mehrmals seinen Namen, doch er hörte nicht auf.

„Dafür brauchen wir eine Woche", stellte Aaron fest.

„Dann hilf mir doch!", schrie Daryl.

„Es geht nicht", rief nun Kelly, „die Explosion wird Flüsterer und Beißer im Umkreis von hundert Meilen anlocken. Und dann wollen wir nicht an diesem Berg in die Enge getrieben werden. Wir werden sie niemals retten können, wenn wir tot sind."

Daryl stiegen die Tränen in die Augen und seine Unterlippe begann zu zittern. Aaron streckte ihm seine Hand entgegen, um ihm von den Felsbrocken herunterzuhelfen.

„Bitte", sagte er und sah ihn flehend an.

Zögernd ergriff er sie und kletterte nach unten. Er ging an Kelly und Jerry vorbei. Als er Carol sah, die ihn mit Tränen in den Augen und völlig von Staub bedeckt flehend ansah, kochte die Wut in ihm hoch. Sie schluchzte und er beschleunigte seine Schritte, um schnell an ihr vorbeizukommen. Er hob abwehrend seine Hand, in der Hoffnung, dass sie ihn dann nicht ansprechen würde, doch den Gefallen tat sie ihm nicht. Sie hielt ihn zurück und ließ ihn nicht weitergehen.

„Na los! Sprich es schon aus, ich verdiene es", schluchzte sie, „sag es mir einfach ins Gesicht. Du hattest mit allem Recht, jetzt sag es schon!"

Daryl starrte Carol lediglich an, während tausende von Gedanken durch seinen Kopf rasten, einer schmerzhafter als der andere. Doch er sagte kein Wort. Stattdessen versuchte er ein weiteres Mal an Carol vorbeizukommen, doch abermals hielt sie ihn auf. Sie stemmte ihre Hände gegen seinen Rumpf und er schlug diese grob weg, als ob sie ihn verbrennen würden.

„Du hast Samantha meinetwegen verloren, meinetwegen ist sie jetzt tot, bitte sag es einfach", fuhr Carol weinend fort.

Erneut traten Daryl die Tränen in die Augen und er konnte seine Unterlippe nur mit Mühe daran hindern zu zittern. Carol schluchzte immer bitterlicher und sie raufte sich mit beiden Händen die Haare, während sie weinte.

„Nur wegen mir müssen eure Kinder nun ohne Mutter aufwachsen. Bitte sag es!"

Mit ihren Worten streute Carol noch mehr Salz in Daryls klaffende Wunde. Immer wieder flehte sie Daryl an, doch er verweigerte ihr eine Antwort. Stattdessen nahm er sich für einen Moment zusammen und drehte sich zu den anderen um.

„Geht und sagt den anderen, wir haben die Horde gefunden", presste er mit brüchiger Stimme hervor.

Dann ging er an Carol vorbei auf den Wald zu.

Ein Neuanfang unter Beißern - Daryl DixonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt