Das Mädchen

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Nachdem sich die meisten Leute, die beim Begräbnis anwesend gewesen waren, entfernt hatten, begaben sich Samantha und Daryl in den Keller unter dem Herrenhaus zu den Zellen. Erst jetzt ließ der Armbrustschütze seinen Gefühlen freien Lauf, denn er schäumte vor Wut, das erkannte Samantha schon an seinem Gang. Die junge Frau war gespannt, wie weit er gehen würde. Als sie im Keller angekommen waren, sprang Henry von seinem Bett auf. Daryl beachtete ihn nicht und ging zu dem Mädchen ans Gitter.

„Wer seid ihr?", fragte er dann mit gefährlich leiser Stimme.

Das Mädchen, das gerade noch auf seinem Stuhl gesessen hatte, hockte sich nun auf den Boden, verkroch sich in eine Ecke. Es hatte Angst vor Daryl und das durchaus zu Recht. Als es nicht antwortete, schloss Daryl die Tür auf, warf Samantha noch einen vielsagenden Blick zu, dass sie gar nicht erst daran denken sollte mit hinein zu gehen und trat dann in die Zelle.

„Beantworte die Frage", brüllte er dann und ging auf das Mädchen zu, das ihn mit Panik in den weit aufgerissenen Augen ansah. Doch wieder antwortete es nicht, also fuhr er wieder mit leiser und todernster Stimme fort, „willst du sterben? Willst du das?"

„Daryl, was ist dein Problem?", rief Henry von seiner Zelle aus.

„Sei still!", brüllte Daryl ohne den Blick von dem dunkelhaarigen Mädchen vor sich abzuwenden, und ging dann vor ihm in die Hocke „willst du das? Da oben beerdigen sie gerade einen guten Menschen. Und sie sind bereit dich dafür fertig zu machen. Ich brauche deinen Arsch nur die Stufen hoch zu schleppen... Wie viele seid ihr?"

„Ich hab euch doch schon gesagt...", begann das Mädchen mit zitternder Stimme und wimmerte, als Daryl sie grob hochzog, am Hals packte und gegen die Gitterstäbe der Zelle drückte.

„Wie viele?", brüllte er erneut.

„Sie... sie waren zu zehnt. Glaub ich", stammelte das Mädchen, „wir tragen die Häute zum Überleben, wir haben keine Namen. Wir haben Namen, die wir aber nicht benutzen."

„Und seit wann treibt ihr euch hier rum?"

„Ich weiß es nicht... wir ziehen einfach mit... mit den Toten, weil sie... uns dank der Häute in Ruhe lassen. Sie beschützen uns, also beschützen wir sie."

„Habt ihr ein Lager? Mauern?"

„Mauern? Mauern werden euch nicht beschützen. Diese Orte hier überleben nicht. Sie haben nie überlebt. Es ist so, meine Mum und ich haben es doch erlebt. Immer und immer wieder. Ich kann mich kaum an die Welt vorher erinnern. Aber meine Mum erzählte mir von den Veränderungen und dass wir uns ändern müssen, dass wir die Toten brauchen, um uns gegenseitig zu beschützen. Wir waren nie allein."

„Warum habt ihr unsere Leute getötet?", fragte Daryl, und als das Mädchen nicht sofort antwortete, zog er blitzschnell sein Messer und hielt es ihr vors Gesicht, nur wenige Zentimeter von ihrem Auge entfernt, „rede!"

„Sie hatten immer vor, euch zu töten, okay?", wimmerte das Mädchen verzweifelt, „weil das jetzt alle so machen. Jeder der lebt, ist eine Bedrohung. Es heißt wir oder die."

„Sag mir, wie viele ihr seid."

„Ich hab doch schon..."

„Die Wahrheit", brüllte Daryl und kam ihr mit dem Messer nun noch näher.

„Es ist die Wahrheit!"

„Lüg mich nicht an!"

„Meine Mutter, nur meine Mutter. Sie ist ein guter Mensch, bitte sucht nicht nach ihr. Bitte. Sie ist nur eine Frau und ganz allein da draußen."

„Du sagtest doch eben, ihr seid nie allein."

„Sie... sie ist beim Friedhof. Sie wurde von der Gruppe getrennt, nur sie."

Ein Neuanfang unter Beißern - Daryl DixonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt