Anschuldigungen

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Einen Monat später waren sie alle mit dem Wiederaufbau der Brücke beschäftigt. Sie hatten eine Aufgabe, waren beschäftigt, und endlich waren Samantha und Daryl nicht mehr im Sanctuary gefangen. Dieser Umstand hatte dazu geführt, dass sie beide sich nicht mehr gestritten hatten. Ihr Verhältnis war immer noch angespannt und wenn sie miteinander sprachen, dann waren die Gespräche stets unangenehm und gezwungen. Sie beide hatten Angst davor, etwas Falsches zu sagen, und die Situation damit wieder eskalierte. Doch immerhin brüllten sie einander nicht mehr an. Daryl hatte Recht gehabt – das Sanctuary hatte ihnen nicht gut getan.

Sie hatten ihr Lager im Wald aufgeschlagen. Überall standen Zelte, in denen sie momentan wohnten. Samantha konnte gar nicht sagen, wann sie sich das letzte Mal irgendwo so wohl gefühlt hatte. Sie hatte es vermisst, unter freiem Himmel zu schlafen. Die Sicherheitsmaßnahmen waren gut und es gab keinerlei Zwischenfälle mit Beißern. Auch das Klima im Lager war gut, sie zogen alle an einem Strang, das schweißte sie als eine Gemeinschaft zusammen.

Es war so, wie Rick und Maggie es ausgehandelt hatten – die meisten Arbeiter an der Brücke waren Leute vom Sanctuary. Unter ihnen war auch Justin. Er hatte sein Zelt in der Nähe von Samanthas aufgeschlagen und war schon am ersten Abend auf sie zugekommen, um sich dafür zu entschuldigen, ihr zu nahe getreten zu sein. Mit keinem Wort erwähnte er, dass sie nach Hilltop gegangen war, ohne sich zu verabschieden. Er schien es verstanden zu haben.

Es entstand eine angenehme Routine. Die meisten Abende verbrachte Samantha mit anderen am Lagerfeuer. Daryl zog sich meistens zurück, sodass sie noch mehr Zeit denn je mit Justin verbrachte. Jesus war in Hilltop, weshalb Samantha ihn kaum sah. Das machte sie traurig, doch sie konnte es nicht ändern. So hatte sie immerhin einen Freund im Camp, mit dem sie sich unterhalten konnte.

Jeden Tag arbeiteten sie an der Brücke und die Fortschritte waren mehr als offensichtlich. Gerade stand Samantha neben einem der Steher und nagelte ein Brett zur Stabilisation daran. Justin arbeitete am selben Steher. Nur zwei Meter von ihr entfernt legten Daryl und Aaron einen Baumstamm in eine Lücke am Boden. Daryl klemmte sich dabei leicht den Finger ein, beschwerte sich allerdings nicht, er schüttelte nur seine Hand aus. Bevor sie anfingen den Stamm mit Nägeln zu fixieren, begann Aaron von Gracie zu erzählen.

„Also, ich seh' nach dem Nickerchen nach ihr, heb' sie hoch und ihre Windel ist einfach über mir explodiert", erklärte Aaron.

Der Gedanke war amüsant, doch Samantha entrang er nicht einmal ein schwaches Lächeln. Eine schwache Brise zog auf und wehte ihr das nun schulterlange karamellblonde Haar ins Gesicht. Es war immer noch eigenartig, dass ihre Haare so kurz waren und sie hatte sich nach wie vor nicht daran gewöhnt, sie offen zu tragen. Doch nach allem was war, hatte sie etwas verändern wollen. Da sie ihr Haar schon hatte abschneiden müssen, konnte sie es nun ebenso gut offen tragen. Es war ohnehin nicht mehr lang genug, als dass es sie beim Bogenschießen stören könnte.

„Klingt nach Spaß", meinte Daryl abwesend.

„Ja und wie. Wirst du sehen", antwortete Aaron.

Daryl zuckte daraufhin zusammen und sah Aaron mit einem undefinierbaren Blick an.

„Was?", fragte Aaron, der es nun mal nicht besser wusste, und als er fortfuhr, sagte er weiterhin die falschen Dinge, „du wärst ein toller Dad."

Samantha hatte inne gehalten. Es war ein Stich ins Herz, den sie spürte und erst verkraften musste. Die junge Frau sah in Daryls Richtung und plötzlich begegnete er ihrem Blick. In seinen Augen konnte sie sehen, dass er wusste, dass sie Aarons Worte gehört hatte. Für einen Moment sahen sie einander an, dann wandten sie beide den Blick ab. Justin hatte von alledem nichts mitbekommen und die junge Frau war dankbar dafür.

Ein Neuanfang unter Beißern - Daryl DixonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt