Verlust

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Samantha stand noch einige Sekunden da, unfähig sich zu bewegen. Sie schüttelte den Kopf, traurig über Ricks Tod. Hätten er und Daryl doch nur sie die Beißerherde wegführen lassen. Dann wäre das hier nicht passiert. Michonne hätte nicht den Mann verloren, den sie liebt, Judith wäre nicht vaterlos, Daryl hätte noch seinen besten Freund und Bruder. Samantha lief eine Träne über die Wange.

Hölzern setzte sie sich schließlich in Bewegung und ging in jene Richtung, in der sie die anderen vermutete. Immer noch hörte sie Michonnes Schreie, die jedoch immer heiserer wurden. Ihr blieb nichts anderes übrig, als der lautstarken Verzweiflung ihrer Freundin zu folgen. Samantha war so geknickt, dass sie gar nicht hörte, wie es neben ihr im Unterholz knackte.

Sie bemerkte Jesus erst, als er nur noch zwei Meter von ihr entfernt war. Mit einem Tränenschleier, der ihre Sicht verschwimmen ließ, sah sie in seine Richtung. Als sie blinzelte, flossen die Tränen über ihre Wangen und sie sah wieder klar. Ihre Unterlippe bebte, als sie ihren besten Freund schmerzerfüllt ansah. Dann schüttelte sie den Kopf. Warum war es ausgerechnet er, dem sie begegnet war? Es war, als wollte das Schicksal ihnen beiden einen grausamen Streich spielen.

„Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte er sie und sah sie besorgt an.

„Nein", antwortete Samantha zwischen zwei Schluchzern, „ich hätte die Herde wegführen sollen, nicht Rick. Jetzt gibt's zwei Tote, statt nur einem."

Jesus sah sie irritiert an, musterte sie eindringlich.

„Was meinst du damit?", fragte er unsicher und umfasste ihre Schultern.

Er zog seine Hände zurück, als hätte er sich an ihrer Haut verbrannt und seine Augen weiteten sich. Samantha schluchzte erneut auf. Dann legte Jesus seinen Handrücken auf ihre schweißüberströmte Stirn. Da huschte die Erkenntnis über sein Gesicht und er taumelte leicht nach hinten.

„Nein...", flüsterte er.

„Es tut mir so leid", schluchzte Samantha, während sie ihr Shirt auf einer Seite hochzog und damit den Blick auf die Bisswunde über ihrem Hüftknochen preisgab, „ich hab gehofft, dass ich Rosita oder Eugene oder irgendjemand anderem begegnen würde, der dem ein Ende macht, bevor ich..."

Jesus wich einen weiteren Schritt zurück. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Seine Augen waren glasig geworden und er presste die Lippen fest aufeinander. Er versuchte, jeglichen Blickkontakt mit ihr zu vermeiden.

„Gerade du solltest das nicht mitansehen müssen", fuhr Samantha dann fort, „ich hab überlegt, ob ich einfach fortgehen soll, aber ich will keiner von denen werden. Und ohne Knarre kann ich es nicht selbst beenden. Ich brauche Hilfe dabei. Aber ich kann verstehen, wenn du's nicht machen willst. Du kannst Rosita zu mir schicken. Du musst dir das nicht ansehen."

Immer noch schwankte Jesus von einem Fuß auf den anderen. Er stützte sich an einem Baum ab, dann schlug er mit der Faust auf den Stamm ein. Zwei Tränen flossen über seine Wangen und versickerten in seinem Bart. Dann erst sah er Samantha wieder an, der inzwischen schon schwindlig geworden war. Er kam auf sie zu und nahm sie in den Arm, drückte sie fest an sich. Samantha klammerte sich an ihn, als wäre Jesus der Rettungsring, der verhinderte, dass sie ertrank.

„Ich werd dich nicht allein lassen, schon gar nicht jetzt", presste Jesus hervor und Samanthas Körper bebte unter dem Schluchzen, „komm, ich werd dich nach Hilltop bringen."

„Nein", widersprach Samantha und löste die Umarmung, „es ist erst drei Stunden her und mir ist schon schwindlig. Es geht schnell, schneller als bei allen anderen, die ich bisher so hab sterben sehen. Wir schaffen es nie dorthin. Außerdem will ich nicht, dass die anderen was davon mitbekommen."

Ein Neuanfang unter Beißern - Daryl DixonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt