Die Regeln werden gebrochen

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Daryl und Jesus wussten beide, dass es zwecklos war, zu versuchen, Samantha aufzuwecken. Trotzdem versuchte der Armbrustschütze immer wieder, sie wach zu kriegen. Jesus sah kopfschüttelnd und schluchzend zu Boden. Als er Daryl ansah, war dessen Gesicht tränenüberströmt. Dann trat plötzlich ein entschlossener Ausdruck in seine rot geränderten Augen. Er legte Samantha rücklings auf den Boden und hockte sich neben sie. Dann brachte er seine Hände in Position und begann damit, rhythmisch ihr Brustbein nach unten zu drücken.

Jesus wusste, dass es sinnlos war, und tief in seinem Herzen war sich auch Daryl der Tatsache bewusst, dass eine Herzdruckmassage Samantha nicht zurückholen konnte. Doch der Armbrustschütze konnte sie nicht kampflos gehen lassen und Jesus wusste das, also ließ er ihn gewähren. Es hatte beinahe etwas Hypnotisches dabei zuzusehen, wie Daryl immer und immer wieder Samanthas Brustkorb eindrückte. Nach einigen Minuten fing er auch damit an, sie in regelmäßigen Abständen zu beatmen.

Als schon etwa zwanzig Minuten vergangen waren, hatte die Entschlossenheit in Daryls Augen noch keinen Funken ihrer Intensität verloren. Jesus allerdings wollte versuchen, ihm Einhalt zu gebieten. Der Armbrustschütze musste sie gehen lassen. Er konnte sie nicht zurückholen.

„Daryl", begann Jesus vorsichtig und achtete darauf, seine Stimme so ruhig wie möglich zu halten und wählte seine Worte mit Bedacht, „ich weiß, wie schwer das für dich sein muss. Aber du musst sie gehen lassen. Du kannst nichts für sie tun. Niemand kann das."

Der Fährtenleser zeigte keinerlei Reaktion auf seine Worte. Jesus war sich nicht sicher, ob er ihn lediglich ignorierte, oder ob er ihn in seinem Wahn tatsächlich nicht mehr wahrnahm. Da glitt Jesus' Hand zum Holster an seiner Hüfte, in dem sein Messer ruhte und er atmete tief durch.

„Samantha hat mich gebeten, zu verhindern, dass sie wiederkehrt, wenn...", fuhr Jesus mit gepresster Stimme fort, doch Daryl ließ ihn nicht ausreden.

„Wenn du ihr damit zu nahe kommst", spie Daryl ihm bedrohlich leise entgegen, ohne ihn dabei anzusehen, „dann schwör ich, dass dieses Scheißding in der nächsten Sekunde in deiner Birne steckt."

Jesus verzieh Daryl diese Aussage noch in dem Moment, in dem er sie ausgesprochen hatte. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, welche Qualen er in diesem Augenblick durchmachen musste. Also ließ er den Fährtenleser auch weiterhin gewähren und zog sich wieder ein Stück zurück.

Die Zeit kroch dahin und einige weitere Momente vergingen, in denen Daryl Samantha abwechselnd beatmete und den Brustkorb eindrückte. Als er sie gerade wieder beatmete, zog er seinen Kopf plötzlich hektisch zurück und löste seine Lippen von ihren. Der Kopf der jungen Frau bewegte sich daraufhin zur Seite. Jesus sog scharf Luft ein, während Daryl erstarrte. Noch einmal bewegte sich ihr Kopf und Jesus ließ seine Hand wie automatisch zu seinem Messer gleiten. Dann allerdings hielt er inne. Die hellen Augenbrauen Samanthas zogen sich leicht zusammen. Beide Männer musterten sie mit vor Verwunderung und Misstrauen weit aufgerissenen Augen, während diese sich leicht regte.

Daryl fing sich als erster wieder. Er legte seine Hand auf ihren Brustkorb, um herauszufinden, ob ihr Herz wieder schlug, dann strich er ihr mit der anderen über die Wange und beugte sich wieder zu ihr hinab, flüsterte ihren Namen. Seine Stimme war unsicher und hoffnungsvoll zugleich. Samantha stieß einen unverständlichen Laut aus und Jesus wurde von Grauen erfüllt. Daryl sprach sie erneut an. Samanthas Augen bewegten sich hinter den geschlossenen Lidern und schließlich begannen letztere zu flattern. Doch sie öffneten die Augen nicht.

Dann hörten die Männer Samanthas Stimme erneut. Keiner von ihnen konnte es glauben, bis sie es schließlich noch einmal sagte.

„Daryl", flüsterte Samantha kraftlos.

Ein Neuanfang unter Beißern - Daryl DixonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt