Auf der Jagd

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Seit dem Ausbruch war etwa ein Jahr vergangen, ein Jahr, in dem sich Samantha die ganze Zeit über in den Wäldern Georgias versteckt und dort fortan auf sich allein gestellt gelebt hatte. Nachdem sie nur wenige Tage nach dem Ausbruch auf eine Gruppe von Leuten getroffen war und dies sehr unangenehm geendet hatte, hatte sie es tunlichst vermieden, den Weg anderer Menschen zu kreuzen. Dies hatte auch den Vorteil, dass sie auf niemanden aufpassen, auf niemanden Rücksicht nehmen und sich nach niemandem richten musste. Die Momente der Einsamkeit kamen jedoch immer häufiger über sie, nun da sie schon seit so vielen Monaten nicht mehr mit jemandem gesprochen hatte.

Dass Samantha überlebt hatte, war wohl einer der glücklichsten Zufälle, die man sich vorstellen konnte. Als sie ein kleines Kind gewesen war, hatte ihr ihr Vater das Bogenschießen beigebracht und es war ihre liebste Freizeitbeschäftigung geblieben, bis sie fünfundzwanzig gewesen war, also bis zum Ausbruch. An ihrer Arbeitsstelle war eine neue Kollegin eingestellt worden, mit der sich Samantha sofort gut verstanden hatte. Es hatte sich auch herausgestellt, dass diese ebenso gerne Bogenschießen ging, wie auch Samantha. Als das Chaos Überhand nahm, war die junge Frau gerade mit ihrem Wagen auf dem Weg zum Schießstand gewesen, ihr Compoundbogen hatte mit zwei Köchern voll mit Pfeilen auf dem Rücksitz gelegen.

Damit hatte sie sich durchschlagen und verteidigen können. Damit hatte sie überlebt. Um jedoch auch für den Nahkampf ausgerüstet zu sein, hatte Samantha ein Waffengeschäft geplündert und sich dort zwei Macheten genommen, die nun an beiden Seiten ihrer Hüften in einem Holster an ihrem Gürtel ruhten.

Im Moment war sie auf Beutejagd. Dazu streifte sie jedoch nicht durch die Wälder, sondern lauerte im Geäst eines Baumes. Samantha wartete oft stundenlang, bis sie etwas erlegen konnte. In den Bäumen war sie sicher, denn die Verwesenden konnten nicht klettern und sie so hoch über ihnen auch nicht wittern. Da sie keinen Lärm machte, wurden sie auch nicht davon angelockt. Obwohl sie außer Gefahr war, erledigte sie trotzdem jede Gruppe Verwesender, die an ihr vorbeiging, sofern es nicht mehr als fünfzig waren, denn sie hatte nur vierzig Pfeile und mehr als zehn der Verwesenden konnte sie mit ihren Macheten nicht erledigen. Selbst wenn sie es geschafft hätte, sie wollte das Risiko nicht eingehen. So etwas war allerdings erst vier Mal vorgekommen, sonst legte sie sich nur mit kleineren Herden an.

Während sie so an den Baumstamm gelehnt in die Ferne schaute und den Geräuschen des Waldes lauschte, hörte sie plötzlich ein leises Knacken zu ihrer Linken. Lautlos zog sie einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn in die Bogensehne, bereit um zu spannen. Konzentriert starrte sie in die Richtung, aus der das Knacken der Äste und das Rascheln des Laubes kamen. Samantha rechnete mit einem Reh, doch stattdessen näherte sich ein Mann. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, sie hatte schon seit Monaten keinen anderen Menschen mehr gesehen.

Der Mann trug eine Armbrust in seinen Händen, er schien ebenso auf der Jagd zu sein wie sie selbst. Sein dunkelbraunes Haar reichte ihm bis zum Kinn und er trug eine ärmellose Weste, was Samantha einen Blick auf seine muskulösen Arme gewährte. Offensichtlich war er ein erfahrener Schütze, nicht umsonst war ihm Armfreiheit wichtig. Das jedoch machte ihn nur noch gefährlicher. Wie erstarrt hockte Samantha auf dem Ast, den Pfeil im Bogen, und verfolgte den Unbekannten mit den Augen. Er jedoch bemerkte sie gar nicht, er starrte die ganze Zeit über auf den Boden, er verfolgte wohl eine Fährte.

Samantha wagte kaum zu atmen und biss sich auf die Lippe, als der Mann unter ihrem Baum kurz innehielt. Hatte er etwa ihre Fährte verfolgt? Langsam spannte sie den Bogen und nahm ihn ins Visier. Dann jedoch setzte er seinen Weg ohne hochzublicken fort und Samantha senkte den Bogen wieder. Dennoch verfolgte sie jede seiner Bewegungen weiterhin mit all ihrer Aufmerksamkeit. Nachdem er weitergegangen war, fiel ihr Blick auf seinen Rücken und sie grinste kaum merklich, als sie die aufgenähten Engelsflügel auf seiner Bikerweste erspähte.

Ein Neuanfang unter Beißern - Daryl DixonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt