Totgeglaubte

269 9 4
                                    

Seit dem Schneesturm waren acht Monate vergangen. Rosita hatte ihre Tochter Coco zur Welt gebracht, als der Schnee vor fünf Monaten geschmolzen war. Samantha hatte gleich nach der Schneeballschlacht entbunden. Daryl hatte mit seiner Vermutung richtig gelegen. Dennoch war etwas passiert, mit dem niemand gerechnet hatte. Samantha hatte nicht nur einen Sohn geboren, sondern zwei. In Gedenken an Jesus hatten sie die Jungs Paul und Rovia genannt. Seit deren Geburt hatten Samantha und Daryl alle Hände voll zu tun. Die Zwillinge hielten sie ganz schön auf Trab. Dazu bedurften auch Janice und Annabeth ihrer Aufmerksamkeit. Hätten die beiden nicht auch noch die Hilfe von Lydia und einem Mädchen aus Alexandria namens Jenna gehabt, so wären sie wahrscheinlich maßlos überfordert gewesen.

Da sich ihre Familie nun derartig vergrößert hatte, hatten sie ein ganzes Haus zur Verfügung gestellt bekommen. Dort lebten sie nun gemeinsam mit Lydia und waren so beschäftigt, dass sie kaum mitbekamen, was in Alexandria vorging. Nur am Rande hatten sie mitbekommen, dass jemand Neues, ein Arzt, nun in ihrer Kolonie lebte. Für Siddiq war das wahrscheinlich ein großer Segen. Da er nun ebenfalls Vater war, war er sicherlich dankbar dafür, Hilfe mit der Patientenversorgung in Alexandria zu haben.

Die ersten Monate mit den Zwillingen waren hart gewesen, doch langsam schien es besser zu werden. Sie wachten nachts nicht mehr so häufig auf und so bekamen Samantha und Daryl wieder etwas mehr Schlaf. Samantha hatte nun auch zum ersten Mal wieder die Gelegenheit nach draußen zu gehen und jagen zu können. Sie streifte gerade durch den Wald westlich von Alexandria. Da Daryl nicht begeistert von der Idee gewesen war, dass Samantha allein nach draußen ging, hatte sie ihm versprochen, sich nur in dem Gebiet aufzuhalten, wo möglichst wenige Beißer unterwegs waren. Unglücklicherweise lebten hier aber auch nur wenige Tiere, weshalb sie kaum Spuren fand und schon gar keine frischen.

Auf ihrer Suche entfernte sie sich immer weiter von Alexandria. So weit war sie noch nie draußen gewesen, jedenfalls nicht in dieser Richtung. Sie war vor Tagesanbruch losgegangen, und nun war es sicherlich schon spät am Vormittag, wenn sie zur Sonne hochblickte. Es war Zeit zurückzukehren, damit sie nicht zu lange weg war und Daryl sich Sorgen um sie machte. Doch Samantha wollte noch etwa eine Meile nach Spuren suchen, bevor sie nachhause aufbrach.

Als Samantha schon kurz davor war, wieder umzukehren, sah sie an einem Bach eine Spur. Sie war höchstens eine Stunde alt, aber nicht von einem Tier. Es waren schöne Abdrücke von Schuhen, jedoch keine schlurfenden, wie von Beißern. Hier war jemand vorbeigekommen. Sie war hier weit außerhalb von Alphas Gebiet, also konnte es kein Flüsterer sein. Samantha musste dieser Spur nachgehen, es konnte jemand sein, der ihre Hilfe brauchte. Jemand der sich ihrer oder einen anderen Gemeinschaft anschließen könnte. Doch nur weil sie nur eine Spur gesehen hatte, musste das nicht heißen, dass es sich nur um einen Menschen handelte. Es konnte auch eine ganze Gruppe sein. Sie musste also vorsichtig sein.

Nach kurzem Zögern packte Samantha den Pfeil in der Sehne fester und folgte den Spuren, achtete noch mehr als zuvor darauf, keine Geräusche im Wald zu machen. Sie musste nicht weit gehen, bis ihr der Geruch eines Feuers in die Nase stieg. Wer immer am Bach gewesen war, sein Lager war nicht mehr weit entfernt. Samantha spannte den Bogen mehr und ging weiter. Als sie das Lager schließlich erblickte, war sie überrascht. Nur ein Mann saß am Feuer und grillte ein Kaninchen.

Samantha atmete einmal tief durch und näherte sich dem Mann dann. Sie senkte den Bogen, ließ den Pfeil jedoch schussbereit in der Sehne liegen. Als er sie hörte sah er sich um und beäugte sie misstrauisch. Der Mann war etwas größer als sie, hatte kurz geschorenes Haar und ein rohes Gesicht, auf dessen Kinn helle Bartstoppeln sprossen. Seine Nase war ihm bestimmt schon mehrere Male gebrochen worden. Er sah die junge Frau mit einem belustigten Ausdruck in den blauen Augen an und verzog die schmalen Lippen zu einem einseitigen Lächeln. Er war breit und sehnig gebaut. An seinem rechten Arm trug er eine Prothese, in der ein langes Messer steckte, mit dem er sich verteidigen konnte. Samantha achtete nicht weiter darauf, schließlich war er nicht der erste Mann mit Prothese, dem Samantha seit der Apokalypse begegnet war.

Ein Neuanfang unter Beißern - Daryl DixonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt