Kapitel 1

1.5K 83 10
                                    

In weiter Ferne grummelte der Donner, begleitet von zuckenden Blitzen, die den von düsteren Wolken verhangenen Himmel erhellten. Marian Callahan beobachtete das Unwetter von dem Fenster ihres Gemaches aus und konnte nicht umhin, ein Gefühl der Unruhe zu verspüren.
Es war so, weil sie seit einigen Tagen, eine Stimme hörte, die nie etwas anderes tat, als nach ihrem Namen zu rufen. Das erschreckende daran war, dass die Stimme körperlos schien und direkt aus dem Nichts erklang. Ihre zögerlichen Versuche, der Stimme zu Antworten, wurden stets mit Stille belohnt. Inzwischen war Marian davon überzeugt, dass sie verrückt wurde.
Diese Befürchtung war nicht unbegründet, den es war bekannt, dass die Bewohner ihrer Heimat einst in Scharen dem Wahnsinn verfallen waren. Unter anderem hatten sie körperlose Stimmen gehört. Dies war nun zwanzig Jahre her und seit ihrer damaligen Geburt hatte es aufgehört.
Könnte es sein, dass diese Krankheit zurück war und ausgerechnet sie befallen hatte? Wie sonst, sollte sie sich diese Stimme erklären? Marian hätte nichts lieber getan als Rat bei ihrem Vater zu suchen. Doch Henry Callahan, der das Land mit dem Namen Greenhill regierte, war ein weiterer Grund für ihre Unruhe.
Prüfend senkte sie ihren Blick zum Vorplatz der großen Festung, die, seit sie denken konnte, ihr Heim war. Trotz des Unwetters mühten sich dort unzählige Männer, Stämme mit spitzen Enden schräg im Erdreich zu befestigen. Inzwischen war daraus ein Schutzwall entstanden.
Alles deutete darauf hin, dass ein Kampf nahte. Marian fürchtete sich sehr davor, konnte aber leider nur Rätseln, denn niemand hatte ihr bisher erklären wollen, was all das zu bedeuten hatte. Die Banditen außer Acht lassend, die sich manchmal in ihrer Heimat herumtrieben, hatte es für Greenhill noch keine ernsthafte Bedrohung gegeben. Dass ihr Vater seinen Männern den Bau dieses Walls befohlen hatte, bedeutete jedoch, dass sich dies wohl geändert hatte.
Ein weiterer Beweis dafür war, dass es ihr nicht mehr erlaubt war, die Festung zu verlassen. Dies war zuvor noch nie geschehen. Und dann war da noch das Volk, die jeglichen Zweifel bereinigt hatten. Mitten in der Nacht waren die Menschen gekommen, um bei ihrem Herrn nach Schutz zu suchen. Eine bevorstehende Gefahr, konnte Marian daher nicht leugnen. Doch wer war der Feind und was wollte er von Greenhill?
Ihre Heimat hatte viele Strände, da es am Meer grenzte. Dann waren da noch dichte Wälder, die allerhand Wild und seltene Kräuter boten. Ein Fluss floss nahe der Festung und schlängelte sich vorbei an weite, teils hügelige Graslandschaften. In weiter Ferne war das Gebirge. Die Berge waren jedoch ein Tabu. Warum wusste sie nicht, aber ihr Vater hatte allen verboten dieses Gebiet zu betreten. Worauf davon, hatte es der Feind abgesehen?
Ein hektisches Klopfen, schreckte sie aus ihren Gedanken. Rasch eilte sie sich, die Tür zu öffnen. Sie blickte nun einem hochgewachsenen Mann entgegen. Adrian war einer der Männer, die ihrem Vater dienten. Mit seinen nach hinten frisierten blonden Haaren und den eisblauen Augen, strahlte er eine gewisse Strenge aus. Wenn die Situation es verlangte, konnte er dies auch sein. In der Regel war er jedoch recht humorvoll und sagte zu einem guten Essen und einer Feier niemals nein. Doch heute war, wie so vieles, alles anders. Adrian war sichtlich von Unruhe ergriffen und konnte seine Sorgen nur schwer verbergen.
"Verzeiht die Störung, My Lady, euer Vater will euch dringend sprechen".
Marian nickte ihm zu und hoffte, sie würde endlich erfahren, was hier vor sich ging. Mehr als nur Nervös, lief sie Adrian hinterher, als er sie bat, ihm zu folgen. Marian schluckte schwer, als sie kurz darauf die gewaltige Eingangshalle erreichten, die vor lauter Menschen beinahe barst. Sie sah, wie sich die Bauern bewaffneten, ehe sie sich von Frauen und Kindern unter Tränen verabschiedeten. Dies steigerte ihre Sorgen. Welche Bedrohung auch immer nahte, sie musste gewaltig sein, wenn ihr Vater selbst die Bauern zum Kampfe rief.
Ihr Herz raste, als sie Adrian durch die Massen folgte. Sie sah überall die verzweifelten Gesichter verängstigter Menschen. Manche beteten, andere weinten. Der Schrecken war der Vorbote der nahenden Bedrohung. Erst vor einer gewaltigen, zweiteiligen Tür hielt Adrian inne. Dahinter befand sich der Thronsaal, der auch als Festsaal diente. Ihr Vater schien dort auf sie zu warten, denn Adrian verneigte sich vor ihr und ging dann rasch davon. Zitternd ballte sie ihre Hände zu Fäusten und ließ ihren Blick durch die Massen schweifen. Eines war sicher, ihr Vater würde nichts Gutes zu berichten haben. Tief atmete sie ein und aus, ehe sie die Tür öffnete und den Thronsaal betrat.
Dies war, ihrer Meinung nach, der prächtigste Raum in der gesamten Festung. Geschmückt war er mit Gemälden und wertvollen Wandteppichen. Zu ihrer linken und auch zur rechten, gab es lange Tische und passende Bänke dazu. An ihnen wurde täglich gespeist und es gab Platz für mehr als hundert Gäste. Von der Türe aus, führte ein Teppich durch die Mitte des Saals und endete an einer drei stufigen Erhöhung. Dort standen zwei prächtige, mit Gold verzierte Stühle. Der größere diente ihrem Vater als Thron, der kleinere daneben, war der ihre. Marian schluckte schwer als sie ihren Vater in seinem Thron sitzend erblickte. Er schien tief in seinen Gedanken versunken und bemerkte sie nicht. Besorgt sah sie, wie seine Stirn in tiefen Falten lag. Kurz zögerte sie, ehe sie raschen Schrittes zu ihm eilte. Erst als sie sich in ihrem Stuhl niederließ, wurde er ihrer gewahr.
"Krieg steht uns bevor, mein Kind", sagte er und Marian sah ihre Befürchtungen bestätigt. Dass er ihr diese Bedrohung endlich anvertraute, bedeutete wohl, dass der Feind näher war als allen lieb ist. Marian brauchte einige Augenblicke, ehe sie sprechen konnte. Die Angst war beinahe lähmend.
"Wer ist es, Vater? Wer wagt es, unser Land zu bedrohen?".
Henry seufzte schwer, ehe er sie fragte, ob ihr die Namen Ragan und Thorvaldsson ein Begriff seien. Marian musste verneinend ihren Kopf schütteln. Sie wusste nicht viel von dem, was außerhalb ihrer Heimat geschah. Ihr Vater gab immerhin sein Bestes, um unschöne Dinge von ihr fernzuhalten und Greenhill verließ sie nur selten. Tat sie es doch, dann meistens nur für einen Besuch bei König Huxley. Dieser war der beste Freund ihres Vaters und regierte das Land, das direkt an Greenhill grenzte.
"In letzter Zeit häufen sich die Überfalle auf Siedlungen in Küstennähe. Die Namen Ragan und Thorvaldsson werden damit in Verbindung gebracht. Es gibt nicht viel, was man über sie weiß. Eigentlich so gut wie gar nichts. Doch es wird vermutet, dass die Namen für zwei Clans stehen, von denen man glaubt, sie würden einem Volk angehören, das im fernen Norden lebt", sprach ihr Vater und Marian horchte auf.
"Der Norden, bist du dir da sicher?".
Ihr Vater nickte und Marian legte ihre Stirn grübelnd in Falten. Sie hatte einmal gehört, wie jemand erzählt hatte, dass der Norden nicht bewohnbar wäre. Das Land sei zu wild und die Wälder und Moore von einer Verdorbenheit befallen. Was genau damit gemeint war, wusste sie jedoch nicht. Rasch schüttelte sie ihren Kopf, denn es war unsinnig über so etwas nachzudenken. Die nahende Gefahr blieb, egal, ob sie aus dem Norden kam oder nicht.
"Und diese beiden Clans, sind sie es, die uns bedrohen?"
Ihr Vater nickte, begleitet von einem schweren Seufzen.
"Warum glaubst du das?".
"Vor genau zwei Tagen, häuften sich die Berichte, dass Fremde gesichtet wurden. An der östlichen Küste sollen mehrere Schiffe vor Anker liegen. Ich schickte ein paar Männer los, um die Sache zu überprüfen. Aber nur einer kehrte zu mir zurück. Er berichtete mir, dass die Schiffe die Flagge der Thorvaldsson tragen. Damit ist deren Anwesenheit schon einmal bestätigt und wir sollten beten, dass der Clan der Ragan nicht noch dazu stoßen", erklärte ihr Vater. Marian faltete ihre Hände im Schoss zusammen, ein verzweifelter Versuch, das Zittern zu unterbinden.
"Das ist noch nicht alles, mein Kind. Dieser Mann kehrte nur aus einem Grund lebendig hierher zurück. Der Clan, angeführt von den Thorvaldsson wollte uns wissen lassen, dass sie in der folgenden Nacht unser Land erobern werden", sprach ihr Vater und Marian keuchte entsetzt auf. Panik kroch in jeden Winkel ihres Körpers, es war früher Nachmittag, die kommende Nacht nur noch wenige Stunden fern.
"Haben wir eine Chance?".
Wieder seufzte ihr Vater schwer.
"Wir wissen nicht, wie viele Gegner uns erwarten werden. Ich habe gute Männer verloren in dem Versuch, es herauszufinden. Unser Feind tötete alle. Es wäre unsinnig, noch weitere zu Schicken, denn wir werden jeden hier an unserer Seite brauchen. Ich will ehrlich zu dir sein, ich fürchte, der Sieg wird schwer zu erkämpfen sein. Nichts lieber würde ich daher tun, als dich fortzuschicken. Doch ich bin mir inzwischen sicher, dass unsere Feinde uns beobachten. Die Gefahr, dass sie dich töten oder gar entführen, ist eindeutig zu Hoch", antwortete er und nun verstand Marian, weshalb sie die Festung nicht mehr verlassen durfte.
"Wenn es so weit ist, werden du und alle anderen, die kein Schwert führen können, sich in der Festung verschanzen. Ich versichere dir, mein Kind, ich werde tun, was ich kann, um dich zu beschützen", sprach er und legte seine Hand auf die ihre. Marian schluckte schwer. Sie fürchtete sich nicht um ihr eigenes Wohl, sondern um das ihres Vaters. Es gab Geschichten über ihn, in denen er als grandioser Krieger beschrieben wurde. Doch seine vergangenen Schlachten liegen Jahre zurück und er war nicht mehr der Jüngste. Noch dazu bot jeder Kampf, egal welchen Ausmaßes, Risiken. Eine flüchtige Unachtsamkeit und man verlor sein Leben. Marian wünschte, sie könnte ein Schwert führen und an der Seite ihres Vaters kämpfen. Doch dies war den Frauen verboten.
"Nur für den Fall, dass ich scheitern sollte, habe ich bereits einen Boten zu Huxley geschickt. Wie ich ihn kenne, wird er seine gesamte Armee mobilisieren und hier einmarschieren", sagte er, aber Marian machte dies nicht gerade große Hoffnung. Bei schnellem Ritt würde der Bote ganze drei Tage brauchen. Huxley würde es nicht schaffen, seine Armee innerhalb eines Tages marschbereit zu machen. Dann kam noch der Rückweg, der bei so viel Mann vermutlich deutlich länger dauerte. Sie würden mit Hilfe in unter einer Woche nicht rechnen können. Bis Huxley kam, waren sie vielleicht alle schon Tod. Noch dazu war fraglich, dass der Bote sein Ziel erreichte. Was, wenn die Feinde ihn abgefangen hatten?Sie löste sich von diesen düsteren Gedanken, als ihr Vater sich zu ihr beugte und ihr einen zarten Kuss auf die Stirn drückte. Unter Tränen schloss sie ihre Augen und genoss diese zärtliche Geste. Wenn das schlimmste eintraf und sie Verloren, könnte dies der letzte friedvolle Moment mit ihrem Vater sein. Diese Vorstellung erschütterte sie sehr und sie betete, dass sie siegreich sein würden.

Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt