Kapitel 57

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Ragnar hätte schallend losgelacht, wenn er sich nicht gerade in einem Kampf auf Leben und Tod befunden hätte. Während er hin und her huschte und alle tötete, die sich näherten, sah er aus den Augenwinkeln, wie sich Henry und sein Freund Huxley in der Menge fanden. Der Anblick war wirklich urkomisch. Der drollige Lord in seiner viel zu engen Rüstung, rollte fast auf seinen Freund zu, der ihm mit ausgebreiteten Armen entgegeneilte. Die beiden fielen sich in die Arme wie ein verliebtes Pärchen und redeten so schnell aufeinander ein, dass der eine den anderen nicht verstand. Die Mundwinkel von Ragnar zuckten, während er um die beiden herum sprintete und jeglichen Feind von ihnen fernzuhalten versuchte. In ihrer Euphorie nahmen die beiden das gar nicht wahr, sie schienen vergessen zu haben, dass sie sich mitten auf einem Schlachtfeld befanden.
"Warum musste ich auf dein kommen so lange warten?", schimpfte Henry und was auch immer Huxley antwortete, Ragnar konnte es nicht hören.
"Was ist mit Marian?", fragte Henry.
"Sorge dich nicht. Sie ist in Sicherheit", antwortete Huxley und Henry machte riesige Augen als er sah, wie sich hinter Huxley ein Riese von Krieger aufbaute und mit dem Schwert ausholte. Doch bevor Huxley getroffen werden konnte, wurde der Feind von einem vorbeirennenden Ragnar geköpft. Verdattert sah Henry seinem Schwiegersohn nach. So sah er auch, wie sich dieser plötzlich Hegvaldr und Halvdan gegenüber sah. Die beiden gingen sofort auf Ragnar los.
"Ich will deren Köpfe rollen sehen", fauchte Henry und wollte zu Ragnar eilen, doch da wurden er und Huxley von mehreren Feinden umringt, die sofort den Angriff eröffnete. Henry, der genau wusste, dass Huxley nicht sonderlich gut mit dem Schwert umgehen konnte und ein besserer Stratege war als Kämpfer, schubste seinen Freund aus der Angriffszone. Er selbst entkam den hieben mit einem raschen ducken und einem schwindelerregenden Dreh zur Seite. So schnell er konnte, zog er sein Schwert und ging dann selbst in den Angriff über. Huxley, der einige Meter davon gestolpert war, zog nun ebenfalls sein Schwert und wollte seinem Freund zur Hilfe kommen. Doch wie befürchtet, fuchtelte er mit seinem Schwert nur ziellos herum.
"Ich schaffe das auch alleine. Geh und hilf dem Bastard da hinten", rief Henry und nickte zu Ragnar, der gerade ernste Probleme hatte. Huxley nickte und eilte zu dem Ragan, der nicht in der Lage war einen Angriff zu starten und pausenlos die Hiebe von Hegvaldr und seinem Sohn parieren musste. Zusammen schienen die beiden viel mutiger geworden zu sein und sie waren verbissen darauf aus Ragnar zu köpfen. Erst als Huxley, wild mit seinem Schwert fuchtelnd, zwischen sie und ihrem Ziel auftauchte, mussten sie zurückweichen. Ragnar nutzte diesen Moment, um wieder zu Atem zu kommen.
"Übernimmt den alten. Halvdan gehört mir", rief Ragnar dann. Huxley nickte und preschte auf Hegvaldr zu. Dieser lachte nur spöttisch und wich den schlechten hieben des Lords aus.
"Gut, dann lass uns von mir aus etwas spielen", spottete Hegvaldr und verschwand mit Huxley in der Menge. Halvdan sah seinem Vater fluchend nach, ehe er zu Ragnar blickte. Dieser entdeckte just in diesen Moment den Ring, der an einer Kette um Halvdans Hals baumelte. Ragnar war sich sofort bewusst, dass dies der Ring von Marian war. Entschlossen zielte er mit seinem Schwert auf Halvdan.
"Den Ring, gib ihn mir", befahl er.
"Nur über meine Leiche", zischte Halvdan.
"Das lässt sich einrichten", knurrte Ragnar und stürzte auf Halvdan zu. Dieser zog es, ohne die Hilfe seines Vaters jedoch vor, lieber die Flucht zu ergreifen.
"Du entkommst mir nicht", rief Ragnar und er jagte seinem Erzfeind quer durch die Massen an Kämpfenden hinterher.

Die braun weiß gefleckte Stute sträubte sich energisch gegen seine Reiterin, als diese sie unweit des tobenden Schlachtfeldes zum Stillstand zwingen wollte.
"Ruhig, meine schöne, ruhig", flehte Marian und tätschelte den strammen Hals des Tieres. Die Stute war von dem Lärm der Schlacht sichtlich verängstigt, aber begann Marian schließlich zu gehorchen. Nun, wo das Tier unter Kontrolle war, setzte sich Marian aufrecht im Sattel auf und spähte zu der Schlacht, die nur wenige hundert Meter von ihr entfernt tobte. Obwohl es Nacht war, hatte sie einen guten Blick auf das Geschehen. Einige Lagerfeuer brannten noch und hier und dort hatten die Flammen sich auch über das Gras hergemacht. Was sie sah, entsetzte sie sehr. Denn das Feld war mit Blut und Leichen überseht, während eine gewaltige Masse an Kriegern einander mit dem tödlichen Eisen traktierten. Obwohl sie wusste, dass es nicht gut war hier zu verweilen, konnte sie kaum ihren Blick abwenden. Sie wusste, irgendwo dort, war ihr Mann. Doch so sehr sie auch suchte, es war ihr nicht möglich, ihn in der Masse ausfindig zu machen. Aber selbst wenn sie ihn entdeckt hätte, was hätte sie schon tun können? Ein Schaudern durchfuhr ihren Körper und sie spürte, wie ihr die Tränen liefen. Es brach ihr fast das Herz, als sie die Stute von der Schlacht abwendete.
"Ich muss zu dieser Höhle", ermahnte sie sich und rückte ihren Helm zurecht. Er war etwas zu groß für sie und drohte ihr immer wieder vom Kopf zu fallen. Doch etwas Besseres hatte sie nicht finden können. Ihre Tarnung als schmächtiger Knabe war ihrer Meinung nach dennoch perfekt. Die Männerhose, die sie trug, war recht bequem, nur leider ebenfalls zu groß, sodass diese nur mit der Hilfe eines Gürtels an Ort und Stelle gehalten wurde. Tief atmete sie ein und aus, während sie versuchte, ihre schmerzenden Glieder nicht zu beachten. Tat sie hier wirklich das richtige? Zweifel nagten schwer an ihr. Doch nun war die Höhle nicht mehr allzu weit entfernt und an Rückzug war nicht mehr zu denken. Der Lärm der Schlacht lockte sie, noch einmal einen Blick zu riskieren. Der Schock traf sie mit heftiger Wucht, als sie dabei zufällig ihren Vater entdeckte. Sie erkannte ihn trotz der Entfernung und dem Chaos um ihn herum, sofort. Er war von mehreren Feinden umringt und obwohl er sich tapfer zu wehren schien, brach er immer wieder erschöpft in die Knie. Dieser Anblick schaltete ihren Verstand völlig aus. Nur noch das verlangen kennend ihren Vater zu retten, gab sie ihrer Stute die Sporen. Das Tier wieherte und preschte dann auf die Schlacht zu. Die Sekunden, bis sie die Massen erreichte, schienen sich in die Ewigkeit zu ziehen. Doch dann erreichte sie das blutige Feld und preschte mitten hinein. Viele Krieger wurden von ihrer Stute einfach nieder gerannt. Unaufhaltsam steuerte Marian das Tier auf ihren Vater zu und realisierte nicht, in welche Gefahr sie sich und ihr ungeborenes brachte. Blind war sie und fokussierte sich nur noch auf ihren Vater. Doch dann, als nur noch wenige Meter sie von ihrem Vater trennten, traf sie etwas Großes heftig an der Seite. Ein lauter Schmerzensschrei entfuhr ihr und die Stute bäumte sich wiehernd auf. Benommen von dem wuchtigen Wurfgeschoss, schaffte es Marian nicht, sich auf dem Sattel zu halten. Sie stürzte zu Boden, wo sie unsanft aufschlug und keuchend liegenblieb. Verzweifelt rang sie um ihr Bewusstsein und nachdem sie diesen Kampf gewonnen hatte, griff sie sich sofort an ihren Bauch. Erst die Angst um ihr Kind ließ ihr bewusst werden, dass sie mitten in die Schlacht geritten war. Sie fluchte und ärgerte sich, dass sie so dumm gewesen war. Betend, dass ihrem Ungeborenen nichts geschehen war, setzte sie sich auf und blickte umher. Dabei entdeckte sie einen großen bärtigen Krieger, der gerade grinsend sein Holzschild aufhob, mit dem er nach ihr geworfen hatte.
"Jünglinge zu töten, macht am meisten Spaß. Sie schreien so schön", sagte er und richtete sein blutbesudeltes Schwert auf sie. Marian erschauderte und kroch entsetzt vor ihm zurück. Weit kam sie jedoch nicht und stieß gegen eine Leiche. Mehrmals musste sie würgen, schaffte es aber, nicht völlig durchzudrehen. Mit zitternden Händen nahm sie sich das Schwert des Toten und kam auf die Beine. Wissend, dass sie vermutlich keine Chance gegen ihren Angreifer haben wurde, aber bereit, alles zu versuchen, um sich und ihr Kind zu schützen, stellte sie sich ihm dennoch entgegen.
"Denk an das, was Ragnar dich gelehrt hat", dachte sie und im nächsten Moment fand sie sich in einem Kampf auf Leben und Tod wieder.

Ragnar war es endlich gelungen, den fliehenden Halvdan einzuholen. Nahe der Feste, brachte er ihn mit einem wuchtigen Tritt in die Kniekehlen zu Boden. Knurrend wie ein wildes Tier, drehte er den am Boden liegenden auf den Rücken.
"Ich wusste schon immer, dass du ein Feigling bist", spottete er.
"Lieber ein Feigling als von Maden zerfressen zu werden", erwiderte Halvdan, der schwer atmend am Boden lag. Ragnar schnaufte und packte den Ring. Er zog so heftig daran, dass die Kette um Halvdans Hals zerriss. Rasch ließ Ragnar den Ring in einer seiner Taschen verschwinden, während er sein Schwert dicht an Halvdans kehle hielt.
"So einfach werde ich dich nicht sterben lassen", drohte Ragnar, denn er wollte, dass dieser Mann auf das übelste leiden würde. Ein gefährliches Grinsen zauberte sich auf seine Lippen.
"Was soll ich dir als erstes Abtrennen, Bastard?", fragte er.
"Wenn du mich tötest, wirst du nie erfahren, wo Fifilla ist", antwortete Halvdan und er lachte schallend los, als Ragnar jegliche Gesichtszüge entglitten.
"Soll das heißen, sie lebt?", fragte er erschrocken. Die Antwort von Halvdan ging in einem lauten Schrei unter, der Ragnar heftig zusammenzucken ließ. Alles in ihm verkrampfte sich, denn es war eindeutig der Schmerzensschrei einer Frau gewesen. Sofort war Halvdan für ihn vergessen. Ragnar ließ ihn einfach achtlos am Boden liegen und sah sich panisch suchend um. Sein Herz trommelte so schnell, dass er kaum noch Atmen konnte.
"Das ist nicht möglich. Das kann nicht SIE sein", keuchte er und hoffte, sich den Schrei nur eingebildet zu haben. Sein Blick streifte im nächsten Moment einen schmächtigen Knaben, der sich gerade Wacker, einem riesigen Krieger stellte.
"Das kann doch nicht ...", keuchte er und sein Blick fuhr ruckartig zu dem Burschen zurück. Den ersten wuchtigen Hieben des Kriegers konnte der Junge ausweichen. Dabei versuchte er immer wieder selber einen Treffer zu landen, – vergeblich. Ragnar verlor jegliche Farbe im Gesicht als ihm bewusst wurde, dass ihm diese Kampfart sehr bekannt vorkam. Diese Bewegungen und dieser Körper waren eindeutig!
"Dieses verdammte Weib bringt mich noch um", schrie er donnernd los, als ihm voller Schrecken dämmerte, dass der Knabe seine Frau war.




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