Ragnar hatte recht behalten, was sie getan hatten, während sie sich gemeinsam gewaschen hatten, würde Marian gewiss niemals vergessen. Selbst jetzt, einige Stunden danach, dachte sie noch oft daran zurück. Die Erinnerungen daran reichten aus, um in ihrem Körper ein wohliges Kribbeln auszulösen und ihre Wangen zu röten. Welch ein Glück, dass nun nach und nach alle aus ihrem erholsamen Schlaf erwacht waren und Marian sich ablenken konnte, da es viel zu tun gab.
Ragnar selbst hatte sich ein paar seiner Männer geschnappt und war mit ihnen davon geritten. Sie wollten nach Geflüchteten suchen, da man glaubte, einige von ihnen würden sich in den Wäldern verstecken. Die Ragans wollten jede noch so kleine Möglichkeit eines hinterhältigen Angriffes im Keim ersticken. Marian, so wie viele andere, bezweifeln jedoch, dass sich die Geflohenen, so kurz nach dem Erscheinen eines Drachens und einer Niederlage, sich bei ihnen blicken lassen würden.
Bevor Ragnar aufgebrochen war, hatte er Lucian an die Seite von Marian gestellt und sie hatte sehr empört darauf reagiert. Sie hatte ihm gesagt, dass sie keinen Wachhund brauche, da sie hier bei ihrem Volk in Sicherheit sei.
"Er soll dich auch nicht vor ihnen, sondern vor dich selbst schützen. Du sollst dir Ruhe gönnen, aber wie ich dich kenne, wirst du nicht still sitzen und daher soll er sicher gehen, dass du es nicht übertreibst", hatte Ragnar darauf erwidert, ehe er gegangen war. Tja, das Ganze war nun vier Stunden her und natürlich hatte der Herr der Ragan recht behalten. Marian konnte nicht Ruhe bewahren und ging den anderen eifrig zur Hand. Sie überhörte die ständigen Mahnungen von Lucian, während sie half, die Zimmer zu reinigen und auf dem Boden mit Kissen und Decken zusätzliche Schlafstätten zu errichten. In der kommenden Nacht sollte keiner mehr auf harten und kalten Boden schlafen müssen.
Auch die Verletzten bekamen eine bessere und intensivere Behandlung. Selbst dort half Marian und Lucian staunte nicht schlecht, zu sehen, wie sie ohne zu Murren mehrere nässende Wunden verband. Er war sich sogar fast sicher, dass sie selbst beim Beseitigen der Leichen geholfen hätte, aber zum Glück hatten sich Huxley und seine Leute dieser Aufgabe angenommen. Verbündete waren ehrenvoll begraben oder auf See bestattet worden. Die Feinde jedoch hatte man zur Küste, fern der Feste gebracht und dort in einem gewaltigen Feuer verbrannt.
Wann immer Marian an die Opfer zu denken drohte, versuchte sie, sich auf die Lebenden zu konzentrieren. Es erwärmte Marian das Herz, einige wiedervereinte Familien zu sehen. Manche der Frauen hatten das Glück unter den befreiten Soldaten, ihre geliebten Ehemänner, Söhne, Brüder oder gar Väter wiederzufinden. Marian zauberte allen ein Strahlen in das Gesicht, indem sie ihnen versicherte, dass die in fernen Landen verschleppten Kinder wohlauf seien. Auch Lucian versicherte allen, die danach fragten, dass sobald hier Ordnung eingekehrt wäre, man umgehend ein Schiff schicken würde, um die Kinder zu holen. Die Freude und das fröhliche Lachen hallte wieder von den Wänden der Feste. Marian hätte nicht glücklicher sein können, zumal die Ragan mit offenen Armen aufgenommen worden. Viel war geschehen, doch der gemeinsame Kampf um den Sieg hatte einstige Feinde zusammengeschweißt.
"Riechst du das? Sicherlich werden die Tische gerade eingedeckt. Es wird Zeit für eine Pause, wir haben alle schon länger nichts mehr gegessen", sagte Lucian, als ein köstlicher Geruch sich in den Fluren verbreitete. Die Mägen vieler knurrten.
"Noch nicht, es gibt so viel zu tun", meinte Marian, obwohl ihr Magen ebenso knurrte.
"Wenn du mich nicht leiden kannst, dann sag es einfach", schnaubte Lucian.
"Wie bitte? Wer sagt, dass ich dich nicht mag?".
"Es scheint dir völlig egal zu sein, dass Ragnar mich umbringt", grummelte Lucian.
"Warum sollte er das tun?".
"Du weißt doch genau, wie er ist. Als er sagte, ich soll auf dich aufpassen, habe ich bereits verloren. Ist doch klar, dass, egal was ich mache, es eh falsch sein wird. Du hörst nicht auf mich, also bin ich Tod. Ich kann dich nicht mit Gewalt zur Ruhe zwingen, denn ansonsten wäre ich auch tot. Also bitte, du magst mich nicht", schimpfte Lucian und Marian sah ihn mit großen Augen an.
"Oh", machte sie und begann dann zu lachen.
"Tut mir leid, ich fürchte, was meinen Mann betrifft, hast du recht. Gut, dann lass uns was essen gehen", meinte sie und das Gesicht von Lucian erhellte sich. Als sie kurz darauf zusammen die Halle betraten, waren die Tische bereits reich eingedeckt und viele hatten sich schon an ihnen niedergelassen. An einem der Tische, nahe dem Thron, saß der alte Lord Callahan und schlug sich den Wanst voll. Marian eilte zu ihm und begrüßte ihn mit einer stürmischen Umarmung, ehe sie sich neben ihn setzte. Lucian, der es sich ihnen gegenüber bequem machte, erkannte den alten kaum wieder. Henry hatte sich gewaschen, rasiert und neu eingekleidet.
"Haben sie ein Problem?", fragte Lucian, als er einem giftigen Blick des Lords begegnete.
"Warum scharwenzelst du meiner Tochter hinterher?", fragte Henry und seine Augen weiteten sich, als Lucian laut aufheulte wie ein Wolf und dann grinsend verkündete, dass er ihr Wachhund sei. Marian rollte mit ihren Augen und flüsterte ihrem Vater zu, dass er den Rotschopf nicht ernst nehmen sollte, da dieser wohl zu oft vom Wickeltisch gefallen war.
"Das hast du jetzt nicht wirklich gesagt", meinte Lucian gespielt entsetzt.
"War wohl dreimal zu viel gefallen", nuschelte Henry und drängte seine Tochter dann zum Essen. Auch Lucian futterte sich satt und es dauerte nicht lange, bis Henry versuchte, seiner Tochter andere Männer schmackhaft zu machen, die nicht zu den Ragan gehörten.
"Hören sie mal Alter, vielleicht sollte ich sie darüber informieren, dass, selbst wenn sie ihre Tochter davon überzeugen könnten, sich einen anderen Mann zu wählen, sie meinen Freund nicht mehr loswerden wird. So wie ich Ragnar kenne, würde er alle anderen möglichen Nebenbuhler sofort töten. Glaube mir, das würde ein richtiges Blutbad geben. Er scheut vor nichts zurück, wenn es um ihre Tochter geht. Wenn seine Wut ihn übermannt hat, hackt er auch Füße ab", meinte Lucian, während er beiläufig an einem sehr knusprig aussehenden Hühnerschenkel kaute. Marian verschluckte sich an ihrem Brot, als sie an Gunnar dachte. Ihr Vater sah nicht so aus, als würde er die Worte von Lucian ernst nehmen. Vielmehr war er darüber pikiert, wie unhöflich der Rotschopf mit ihm sprach.
"Wenn es sein muss, hacke ich dem Kerl was ganz anderes ab als Füße", zischte Henry.
"Aber nicht doch, wie können sie ihrer Tochter das antun? Das gute Stück, was sie immer so zum Schreien bringt, sollten sie lieber an ihrem Mann dran lassen", witzelte Lucian und während Marian ihn schockiert ansah, blähten sich die Nasenflügel ihres Vaters vor Wut weit auf.
"Wie bitte?", grollte er.
"Ach komm schon Alter, was denkst du denn, wie sie sonst schwanger wurde? Bestimmt nicht vom Händchenhalten", stichelte der Rotschopf. Marian verpasste ihm unterhalb des Tisches einen wuchtigen Tritt gegen das Schienbein. Dies brachte ihn aber nur noch breiter zum Grinsen.
"Lass dich nicht ärgern, Vater. Lucian weiß nie, wann es Zeit ist, den Mund zu halten", sagte sie.
"Oh, ich weiß sehr wohl, wann ich es tun sollte, aber ich will es nicht", nuschelte Lucian.
"Wo sind nur die Zeiten hin, als du noch voller Unschuld warst", jammerte Henry.
"Ich bin eben kein kleines Kind mehr", brummte Marian.
"Du hättest einen besseren Mann bekommen können", knurrte Henry.
"Nun reicht es aber, Papa. Ich liebe Ragnar und daran wirst du nichts ändern können", schimpfte Marian und erschrak, als sich im nächsten Augenblick starke Hände auf ihre Schultern legten, ein heißer Atem ihren Nacken streifte und sie das Flüstern ihres Mannes vernahm, dass er sie ebenso liebte. Marian hatte keine Ahnung, wie lange er schon hinter ihr gestanden hatte, aber sie zog ihn sogleich neben sich. Henry erdolchte Ragnar mit giftigen Blicken, während er mit ansehen musste, wie seine Tochter ihrem Mann einen Teller voll machte.
"Du hast bestimmt auch noch nichts gegessen", meinte sie.
"Das mit anzusehen ist ja kaum zu ertragen", schnaubte Henry, als sie ihm dann auch noch einen Becher mit klarem Wasser fühlte. Sie umsorgte ihren Mann, so gut sie konnte.
"Neidisch?", fragte Ragnar grinsend.
"Auf dich? Niemals!", zischte Henry.
"Könntet ihr bitte damit aufhören", schimpfte Marian.
"Ich finde das herrlich, ich glaube, die Zeit hier, wird richtig witzig werden", meinte Lucian. Marian war sichtlich genervt und rollte mit ihren Augen. Als sie am anderen Ende der Halle ihre Freundin Ashildr und auch Rawena entdeckte, ließ sie die Männer alleine sitzen und eilte zu ihnen. Die beiden waren eine bessere Gesellschaft und sie begrüßten sich stürmisch, ehe sie sich ihre Erlebnisse, seit ihrem letzten Treffen, erzählten.Als Marian am nächsten Morgen erwachte, machte sich ihre Schwangerschaft ohne Erbarmen bemerkbar. Die Übelkeit war enorm. Marian war froh, dass ihr Mann bereits auf den Beinen war und nicht Zeuge wurde, wie sie sich mehrmals übergeben musste. Erst nachdem sie sich sicher war, alles erbrochen zu haben, was sich in ihr befand, verließ sie das Gemach. Im Flur entdeckte sie Lucian und Havati. Erleichtert war Marian, letzteren lebend zu sehen. Sie hatte ihm einiges zu verdanken, ohne ihn, wäre sie geschändet worden und wer weiß, was sonst noch geschehen wäre, wenn er ihr nicht zur Flucht verholfen hätte. Rasch eilte sie auf die beiden zu.
"Bei allen Göttern, - wie siehst du denn aus?", rief Lucian.
"Habt ihr einen Geist gesehen?", fragte Havati und Marian schaute beide verdutzt an, ehe sie zu der Erkenntnis kam, dass sie wohl genauso schlimm aussah, wie sie sich fühlte. Bevor sie ihnen eine Antwort oder Erklärung geben konnte, hielt sie sich die Hand vorm Mund, da sie würgen musste. Die beiden verstanden sofort, worunter sie litt und lachten.
"Ihr solltet Beigaldi bitten, euch einen Tee gegen die Übelkeit zu machen", schlug Havati vor und Marian horchte auf. Sie hatte nicht gewusst, dass der Heiler auch hier war.
"Das werde ich, Danke. Ich meine, für alles", nuschelte Marian und eilte davon.
"Ich war mit so sicher gewesen, dass mein Magen leer ist", jammert sie, als sie die Treppe zur Eingangshalle erreichte. Tatsächlich entdeckte sie dort auch Beigaldi und zu ihrer Überraschung war er in der Gesellschaft von Rawena. Sie hatten volle Weidenkörbe bei sich und waren wohl eben gerade aus den Wäldern zurückgekehrt, wo sie frische Heilkräuter gesammelt hatten. Als Marian sich ihnen näherte, hörte sie heraus, wie sich beide darum stritten, welche Behandlung für einen Wundbrand am besten sei.
"Um Himmelswillen, wie siehst du denn aus?", keuchte Rawena, als Marian die beiden erreichte.
"Ich brauche was gegen Übelkeit, und zwar schnell", jammerte Marian. Gleichzeitig griffen die beiden in ihre Körbe und hielten ihr dann zwei Büschel verschiedener Kräuter hin.
"Was soll das denn sein? Das Zeug würde sie nur müde machen, mehr nicht", schimpfte Rawena als sie das Bündel von Beigaldi erblickte.
"Schlaf ist die beste Medizin", erwiderte Beigaldi und sogleich begannen die beiden zu streiten. Genervt nahm Marian einfach beide Bündel und machte sich auf den Weg in die Küche. Dort traf sie auf Ashildr und Liane.
"Wie siehst ...", begannen beide im Chor, doch Marian hob abwinkend ihre Hand.
"Sagt es nicht, ich will es nicht nochmal hören", schnaubte sie und bat die beiden, ihr aus den Bündeln einen Tee zu brauen.Wohlig seufzte Marian, als sie, mit der warmen Tasse voller Tee in ihren Händen, die Haupthalle betrat. Der süßliche Geschmack des warmen Getränks war sehr wohltuend. Immer wieder nippte sie daran, während sie auf den Tisch zu lief, wo sie ihren Vater und Ragnar sitzen sah. Die beiden zusammen zu sehen, erwärmte Marian das Herz.
Sie wusste, ihr Vater würde es Ragnar nicht sehr leicht machen, aber sie war sich sicher, dass auch er bereits erkannt hatte, dass die Liebe zwischen ihnen echt und aufrichtig war. Die Augen der beiden Männer wurden nun groß, als sich Marian zwischen ihnen setzte und ihre Tasse abstellte.
"Eure Blicke sprechen Bände, sehe ich wirklich so schlimm aus?", fragte sie genervt.
"So weiß wie Knochen", sagte ihr Vater.
"Als hättest du jegliches Blut in dir verloren", meinte Ragnar.
"Daran bist allein du schuld", flüsterte Marian ihrem Mann zu. Er begann zu verstehen und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
"Ist es so schlimm?", fragte er dann und als sie nickte, legte er seine Hand auf ihren Bauch und streichelte ihn. Es war merkwürdig, aber es ging ihr sogleich besser. Lag es an dem Tee oder an der sanften Geste ihres Mannes?
"Aber wie kommt es, dass ich euch beide hier zusammen vorfinde?", fragte Marian.
"Ach, bilde dir nichts darauf ein. Wir haben uns nur unterhalten", wehrte Henry sofort ab.
"Dein Vater wollte unbedingt wissen, was alles geschehen ist, während er in den Kerkern gefangen war", erklärte Ragnar. Marian hoffte, dass ihr Mann nicht zu sehr ins Detail gegangen war.
"Du scheinst eine gute Figur als Herrin der Ragan gemacht zu haben", murmelte Henry.
"Ich würde dir das Land der Ragan wirklich gerne einmal zeigen, Vater".
"Nichts auf dieser Welt hätte die Macht, mich dazu zu bringen, freiwillig diesen elendigen Ort zu betreten", sagte Henry sofort aufgebracht.
"Das werden wir ja noch sehen", grummelte Marian und bemerkte, dass ihr Vater sehr an Ragnar interessiert zu sein schien. Er mühte sich dies nicht anmerken zu lassen, aber Marian kannte ihn am besten und sah es an seinen forschenden Blicken. Sie verstand ihn, denn zu vieles war passiert, um es einfach so verzeihen zu können. Ihr Vater war genauso stur wie sie. Er würde wohl noch eine Zeitlang brauchen, bis er über seinen eigenen Schatten sprang. Doch allein dass sie hier sitzen konnten, ohne dass sich die beiden die Köpfe einschlugen, machte Marian glücklich.
"Marian, komm zu mir, ich warte. Schnell, meine Zeit ist gekommen", halte es plötzlich in ihrem Kopf und ruckartig erhob sie sich.
"Was ist los?", fragte Henry.
"Arokh", rief Marian und rannte los. Kurz sahen die beiden Männer ihr verwirrt hinterher, ehe sie rasch die Verfolgung aufnahmen.
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Der Ragan Clan (1)
RomanceWährend Marian Callahan von einer körperlosen Stimme gepeinigt wird, muss sie gleichzeitig miterleben, wie boshafte Krieger in ihrer Heimat einfallen und diese an sich reißen. Schneller als ihr Lieb ist, erhebt der Anführer des Ragan Clans seinen An...