Kapitel 26

561 57 10
                                    

Marian dachte über das nach, was Fjorleif gesagt hatte und fragte sich, ob sich zwischen ihnen etwas ändern würde, wenn die Ältere von ihren Gefühlen wüsste. Während sie Fjorleif aus dem Wald hinaus folgte, versuchte sie sich vorzustellen, wie es wohl sein würde, wenn sie sich ihren Gefühlen ergeben würde. Wäre es möglich, dass sie mit Ragnar glücklich werden könnte? Bestand auch nur eine kleine Chance, dass er ihre Gefühle erwiderte? Dass sie mehr für ihn war, als all die anderen Frauen? Marian riss sich von diesen Fragen los und verspürte eine starke Sehnsucht in ihrem Herzen. Ein Teil von ihr wollte alles riskieren. Schwer seufzte sie und blickte zur Burg, die in der Ferne zu erspähen war. Könnte sie diesen Ort jemals als ihr Zuhause ansehen?
"Worüber denke ich da nach, ich sollte damit aufhören und es mir nicht noch schwerer machen", flüsterte sie und wurde sich der prächtigen Wiese voller bunter Blumen vor ihr gewahr. Fjorleif kniete inmitten dieses Blumenfeldes und pflückte einige Blüten. Marian trat neben sie und musterte die Ältere. Fjorleif schien dies zu spüren und hob ihren Blick. Eine Zeitlang sahen sich die beiden schweigend an und jede fragte sich, was die andere über einen dachte. Doch dann wandte Fjorleif den Blick ab und zupfte weiterhin die Blüten. Marian seufzte schwer und begann ihr dabei zu Helfen.
"Wozu sind diese Blüten gut?", wollte Marian wissen.
"Daraus stelle ich meine Farbe her", antwortete Fjorleif ihr.
"Du malst wohl gerne", stellte Marian fest.
"Es beruhigt mein Gemüt", gab Fjorleif zu.
"Scheint wohl nicht immer zu funktionieren", flüsterte Marian.
"Was willst du mir damit sagen?".
"Dass du ziemlich unentspannt bist", meinte Marian. Fjorleif schien etwas Böses sagen zu wollen, doch die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie ein Wiehern hörten. Ihr Blick flog an Marian vorbei und ihre Augen weiteten sich.
"Nimm die Beine in die Hand und kehre zur Burg zurück", sagte Fjorleif und erhob sich. Marian bemerkte, dass ihre ganze Haltung bis zum Bersten angespannt war und sie kampfbereit ihren Dolch in einer Hand hielt. Böses ahnend, spähte Marian hinter sich und sah drei Reiter nahen. Sie waren schwer bewaffnet und trugen lange Mäntel. Um ihren Hälsen lagen rote Schals die sie tief in ihre Gesichter gezogen hatten. So konnte man nur die Augen sehen. Doch Fjorleif schien genau zu wissen, mit wem sie es hier zu tun hatte. Ihr Verhalten wies darauf hin, dass dies keine Freunde waren.
"Lauf, ich werde dir einen Vorsprung verschaffen", sagte Fjorleif.
"Ich weiß zwar nicht genau, was los ist, aber ich lasse euch hier nicht alleine", wehrte Marian ab. Die Ältere schien etwas erwidern zu wollen, doch da hielten die drei Reiter ihre Pferde, nur wenige Schritte von ihnen entfernt.
"Lange nicht gesehen, Fjorleif", sagte der Reiter in der Mitte.
"Wie könnt ihr es wagen, euch frei und ungeniert in unserem Land zu bewegen? Hat euch euer Herr nicht gesagt, dass ihr nicht mehr Willkommen seid?", fragte Fjorleif.
"Doch, das ist mir durchaus zu Ohren gekommen", sagte der Reiter.
"Dann verschwindet von hier", schrie Fjorleif und Marian zuckte zusammen.
"Aber, aber. Warum bist du immer so unhöflich?", fragte der Mittlere.
"Ich schlitze dir die Kehle auf wen du dich nicht endlich verpisst", schrie Fjorleif und Marian glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Der Reiter lehnte sich etwas im Sattel vor und betrachtete Fjorleif mit einem stechenden Blick.
"Du spuckst ganz schön große Töne, hast du keine Angst, dass deine Tochter für deine Launen bestraft wird?", fragte er und der Schock war Fjorleif anzusehen. Marian war verwirrt. Hatte Ragnar etwa eine Schwester? Tränen brannten in den Augen der Älteren.
"Denkt ihr wirklich, ich bin dumm? Denkt ihr nicht, ich weiß, dass sie Tod ist? Selbst Ragnar weiß es, auch wenn er es nicht ganz wahrhaben will. Ihr werdet für alles büßen. Der Tod wird über euch alle kommen und sobald ich weiß, was ihr meiner Fifilla angetan habt, wird mein Zorn selbst im Jenseits über auch hinwegwehen wie ein wilder Wirbelsturm", kreischte Fjorleif und ihre Wut war wirklich furchteinflößend. Die drei Reiter sagten nichts, sondern blickten nun zu Marian, die sichtlich erschauderte.
"Hör auf mit deinem Gezeter altes Weib und sag uns, ist dies Marian. Die Frau, von der alle reden? Die Frau, die Ragnar heiraten will?", fragte der mittlere Reiter. Marian staunte nicht schlecht, als sich Fjorleif vor ihr aufbaute.
"Das ist sie".
"Verstehe, es stimmt also. Sie ist eine Schönheit", sagte der Reiter und gab seinen Begleitern ein Zeichen. Als sie von ihren Pferden stiegen, spannte sich Marian an.
"Nichtsdestotrotz, wird sie hier und jetzt Sterben und ihr altes Weib werdet als Geisel mit uns kommen", sagte der mittlere Reiter. Fjorleif wirbelte zu Marian herum.
"Renn, verdammt, lauf zur Burg zurück", schrie sie. Doch Marian rührte sich nicht vom Fleck. Die Angst lähmte sie und brachte ihre Glieder zum Zittern.
"Renn um dein verdammtes Leben", schrie Fjorleif und stieß Marian so wuchtig an, dass diese rückwärts stolperte und sich gerade so vor einem Sturz bewahren konnte. Doch Marian konnte sich noch immer nicht dazu überwinden, Fjorleif ihrem Schicksal als Geisel zu überlassen. Als die beiden Männer ihre Schwerter zogen, erwachte der Kampfgeist in Marian. Rasch nahm sie ihren Dolch an sich und baute sich vor Fjorleif auf.
"Für Ragnar seid ihr viel wichtiger als ich, also werdet ihr rennen und ich verschaffe euch Zeit". Marian sah nicht, wie die Gesichtszüge von Fjorleif entglitten.
"Bist du denn verrückt geworden?", keuchte sie.
"Vielleicht, aber ich werde die Mutter des Mannes schützen, den ich Liebe", sagte Marian ohne wirklich zu begreifen, was sie da sagte. Sie war voller Adrenalin. Ihr kleines Herz pumpte beinahe schmerzhaft in ihrer Brust.
"Das ist ja wirklich rührend. Was willst du mit dem Ding hier ausrichten?", fragte einer der Männer und bevor Marian etwas tun konnte, schlug er ihr den Dolch aus der Hand. Dann verpasste er ihr einen wuchtigen Tritt in den Magen. Keuchend taumelte sie zurück und brach in die Knie. Er hob sein Schwert für einen tödlichen Hieb, doch da stürzte Fjorleif an ihr vorbei und trat dem Mann in seine Weichteile. Jammernd ließ er sein Schwert fallen und fasste sich keuchend an den Schritt.
"Ihr werdet dieses Kind nicht anrühren", fauchte Fjorleif, nahm das Schwert an sich und köpfte den Mann mit einem einzigen gezielten Hieb. Marian musste sich übergeben. Sie wusste nicht, ob es an dem Tritt lag oder an dem Kopf, der nun an ihr vorbeirollte.
"Du verdammte Hure. Gut, töte sie beide", schrie der mittlere Reiter und der andere Mann ging auf Fjorleif los. Sich immer wieder übergebend sah Marian, wie sich die Ältere wacker gegen ihn schlug. Flink wie ein Wiesel wich sie den tödlichen Hieben aus. Dann bohrte sie ihr Schwert dem Mann tief in die Brust. Er röchelte und sank Tod zu Boden. Noch bevor Fjorleif das Schwert aus ihm ziehen konnte, war der mittlere vom Pferd gestiegen und bei ihr. Er überrumpelte sie und schaffte es, sie zu entwaffnen und in die Knie zu zwingen. Dabei rutschte sein Schal hinab. Der Hass der in seinen Zügen lag, war nun erkennbar. Keuchend kam Marian wieder auf die Beine, als sie sah, wie er Fjorleif einen tödlichen Hieb mit dem kalten Eisen geben wollte. Rasch sammelte sie ihren Dolch auf und sprang ihm von hinten auf den Rücken. Ohne Nachzudenken stach sie mit dem Dolch zu. Sie durchbohrte seine Schulter und er brüllte vor Zorn. Dann zog sie ihm die Klinge mitten durch das Gesicht und sein gellender Schmerzensschrei hallte bis in weite Ferne. Wütend griff er hinter sich, bekam sie an den Haaren zu fassen, beugte sich nach vorne und zog so heftig an ihr, dass sie über ihn hinwegflog und mit dem Rücken voran am Boden aufschlug. Entsetzt sah sie in sein Gesicht, das nun blut überlaufen war. Im nächsten Moment trat er ihr in das Gesicht. Marian schrie und wäre beinahe ohnmächtig geworden. Doch sie schaffte es, dagegen anzukämpfen. Der Mann hob sein Schwert, doch er hielt mitten in der Bewegung inne. Sein Blick flog mit Schrecken in die Ferne. Dann plötzlich wirbelte er herum, stieg auf sein Pferd und galoppierte im wilden Ritt davon. Keuchend rollte sich Marian auf den Bauch und sah sich nach Fjorleif um. Die Ältere kauerte nicht unweit von ihr und sah ihr fassungslos entgegen.
"Alles in Ordnung?", fragte Marian und schmeckte dabei ihr eigenes Blut. Erschrocken zuckten die beiden Frauen zusammen, als mehrere Reiter an ihnen vorbei preschten und die Verfolgung des fliehenden Aufnahmen. Nur einer von ihnen brachte sein Pferd zum Halten. Es war Lucian. Mit Schreckensweiten Augen besah er sich die Situation. Als er Marian in das Gesicht blickte, wurde er kreidebleich.
"Das wird ungemütlich werden", sagte er und stieg hastig vom Pferd. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass es Fjorleif gut ging, kam er zu Marian und besah sich ihr Gesicht genauer.
"Ich scheiße mir jetzt schon in die Hosen, wenn ich an Ragnar denke", hörte sie ihn flüstern und erlaubte ihm, ihr auf die Beine zu helfen. Ihr Gesicht sah wohl genauso schlimm aus, wie es sich anfühlte.
"Ihr könnt von Glück reden, dass wir euer Geschrei hörten", sagte er und besah sich die beiden Toten. Fjorleif erhob sich, doch sie sagte kein Wort. Marian musste sich erneut Übergeben, als Lucian den abgetrennten Kopf mit seinem Fuß umdrehte, um das Gesicht zu sehen.
"Wer waren die?", fragte er. Fjorleif zeigte in die Ferne, wo die Reiter verschwunden waren.
"Das war Gunnar, die rechte Hand von Hegvaldr", sagte sie und Marian wurde Bleich. Sie hatten es hier also mit den Thorvaldsson zu tun gehabt?

Nervös ließ Marian ihren Blick durch die große Halle schweifen. Sie saß zusammen mit Fjorleif auf der letzten von vier Stufen, die zu einem massiven Sitz führten. Dies war wohl der Sitz von Ragnar. Sein Thron. Es war das erste Mal, dass sich Marian in dieser Halle befand. Sie hatte nicht gewusst, dass es diese gab. Dies war wohl der Ort, wo Ragnar seine Pläne mit den Männern besprach oder sich die Sorgen und Wünsche seines Volkes anhörte. Ihre Finger nestelten unruhig an ihrem Kleid herum. Die Stimmung war ziemlich angespannt. Mehrere Männer hatten sich hier versammelt und ihre Gesichter waren Eisig. Lucian lief nervös auf und ab. Es wurde voller Furcht auf die Rückkehr von Ragnar gewartet. Marian schielte zu Fjorleif. Diese saß stumm neben ihr und ließ sich nicht anmerken, was sie fühlte und dachte. Marian fragte sich, was es mit dieser Fifilla auf sich hatte. Doch ihr war klar, dass der Zeitpunkt, um Fragen zu stellen sehr ungünstig war.
"Hier, wisch dir das Gesicht ab", meinte Ashildr, die mit einem feuchten Tuch zu Marian kam.
"Das Blut wegzuwischen wird seinen Zorn nicht mildern", brach Fjorleif ihr Schweigen. Marian schluckte schwer. Meinte sie damit Ragnar?
"Er kommt", rief ein Mann, der aufgeschreckt in die Halle gestürmt kam.
"Gut, wappnen wir uns für seinen Zorn", meinte Lucian und Marian hatte ihn noch nie so Bleich gesehen.





Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt