Kapitel 18

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Marian konnte kaum Atmen und sah Ragnar mit Schreckensweiten Augen an. Sie wollte nicht glauben, was eben geschehen war. Ihre schlimmsten Befürchtungen waren wahr geworden. Halvdan hatte seine Schwäche schneller durchschaut als allen lieb war. Es gab keinen Zweifel daran, dass Ragnar, sollte er das Duell annehmen, verlieren würde. War dies sein Ende, würde er sterben? Rawena löste sich als Erstes aus ihrer Starre und eilte zu Ragnar. Vorsichtig krempelte sie seinen Ärmel empor und besah sich den Verband. Kein Blut war darauf zu sehen, was bedeutete, dass die Naht unter dem Druck von Halvdan nicht geplatzt war.
"Geh jetzt", sagte Ragnar, der seinen Schmerz überwunden hatte. Da Rawena wusste, dass sie damit gemeint war, gehorchte sie ohne zu zögern.
"Wirst du diese feige Herausforderung annehmen?", fragte Marian.
"Es wäre feige, täte ich es nicht", antwortete er und bejahte somit. Das steigerte die Sorge von Marian. Ein Teil in ihr wollte, dass er vor diesen Kampf floh und sich in Sicherheit brachte. Aber das wäre nicht der Ragnar den sie bisher kennengelernt hatte. Warum hatte sie solche Angst um ihn? Sie wusste, solange die beiden Clans hier waren, brauchten sie Ragnar und sie redete sich ein, dass dies der Grund für ihre Ängste war.
"In meinen Augen hat Halvdan keinen Stolz. Wie kann er es wagen, einen Verwundeten zum Kampf zu fordern", schimpfte sie.
"Solange er seine Ziele erreichen kann, würde er sogar in Scheiße baden", erwiderte Ragnar und auch wenn er äußerlich ruhig wirkte, sah sie in seinen Augen, dass es nicht so war.
"Du wirst sterben, wenn du den Kampf annimmst", sagte sie.
"Nein, wie ich ihn einschätze, wird er mich nicht während des Duells töten", meinte Ragnar und näherte sich mit erschreckend langsamen Schritten dem Bett.
"Aber nur für den Fall, dass er es doch tun sollte ...", flüsterte er und ergriff ihr Kinn. Ihre Augen weiteten sich, als er sich zu ihr nieder beugte. Sie ahnte, was er vorhatte, doch sie hielt ihn nicht auf. Wie in Trance schloss sie ihre Lider, während ihre zitternden Lippen seinen Kuss empfingen. Es war ein heißer und verlangender Kuss. Ragnar plünderte ihren Mund ohne Erbarmen und nicht ein einziges Mal kam ihr der Gedanke, ihn zu stoppen. Sein wilder Ansturm fegte all ihre Sorgen hinfort und erfüllte sie mit Gefühlen, die sie verwirrten. Erst als beiden der Atem auszugehen drohte, ließ er von ihr ab.
"Werde rasch gesund, denn eine lange Reise steht dir bevor", flüsterte er, machte kehrt und verließ das Gemach mit hastigen Schritten. Mit glühenden Wangen sah sie ihm nach und brauchte einige Augenblicke, bis sie wieder bei Verstand war.
"Eine Reise?".

Marian wartete die ganze Nacht darauf, dass Ragnar zurückkehrte. Doch er kam nicht. Der Morgen jedoch schon. Nicht lange, nachdem die Sonne aufgegangen war, hallte ein lautes Trommeln durch die Festung. Marian ahnte, dass dies den Beginn des Kampfes einläutete. Sie konnte nicht weiterhin im Bett verweilen. Sie musste mit eigenen Augen sehen, was passierte. Entschlossen erhob sie sich. Sie taumelte dabei etwas, denn ihr Körper war noch immer geschwächt. Gepeinigt von der Furcht verließ sie mit zittrigen Gliedern das Gemach und machte sich auf den Weg zur Eingangshalle. Oberhalb der Treppe hielt sie inne und besah sich erschrocken das dortige Schauspiel. Die Halle war bis zum Bersten mit Menschen gefüllt. Selbst die Frauen hatten sich versammelt, um zu sehen, was passierte. Nur ein großer Kreis in der Mitte der Halle war frei und dort standen sich Ragnar und Halvdan gegenüber. Marian erschauderte. Erneut ertönte das Trommeln. Sie sah einige Männer, die mit ihren Händen auf runden Gefäßen schlugen und dabei die dröhnenden Geräusche verursachten. Kaum war das Trommeln verklungen, traten zwei Männer in den Kreis und reichten den Kämpfern jeweils ein Schwert. Halvdan nahm seines an sich und blickte dabei spottend zu Ragnar. Marian stockte der Atem als Ragnar nach dem Schwert griff und es an sich nahm. Es schien auf den ersten Blick keine Probleme zu geben und kurz huschten Halvdan sichtliche Zweifel über das Gesicht. Doch Marian erkannte, welche Schmerzen Ragnar litt. Schweiß trat ihm auf die Stirn und sein Arm begann unkontrolliert zu zittern. Allein seinem Willen war es zu verdanken, dass er das Schwert halten konnte. Schwingen konnte er es aber wohl kaum. Doch zu sehen, wie mutig er sich dieser ausweglosen Situation stellte, entfachte ihre Bewunderung. Sie ahnte, wäre er nicht ihr Feind, hätte sie sich schon in ihn verliebt. Dieser Gedanke brachte sie zum Stutzen. Ihr Herzschlag drohte fast zu eskalieren. Nein, wie dumm sie doch war. Sie war bereits ..., - ein kurzer Aufschrei entfloh ihr als ein erneutes Trommeln ertönte und sich Halvdan auf Ragnar stürzte. Fassungslos und ihre Gedanken von eben vergessend, musste sie mit ansehen, wie Ragnar versuchte den Angriff von Halvdan zu parieren. Die beiden Schwerter prallten mit heftiger Wucht aufeinander. Ragnar stöhnte vor Schmerz, ehe ihm das Schwert aus den Händen glitt und krachend zu Boden fiel.
"Nein, heb es wieder auf", flehte Marian innerlich. Halvdan vollführte einen erneuten Hieb gegen Ragnar, doch dieser konnte mit einem Sprung zur Seite ausweichen. Halvdan drängte ihn immer weiter zurück und ließ ihm keine Chance, sein Schwert zu erreichen. Es hätte ihm sowieso nicht viel genutzt. Doch dieses Wissen entmutigte Ragnar nicht, er beschloss, mit dem zu kämpfen, was er am Körper hatte. Mit gezielten Tritten, seiner starken Beine und Schlägen seiner gesunden Linken ging er auf Halvdan los. Marian hielt immer wieder den Atem an, wenn Ragnar sich an Halvdan heranwagte. Dies war stets ein heikler Moment, er schlug zu, trat zu und wich sofort wieder zurück, bevor Halvdans Schwerthieb treffen konnte.
"Du solltest einfach aufgeben", zürnte Halvdan, der sichtlich davon genervt war, dass die Sache nicht so einfach verlief, wie erhofft.
"Ich und aufgeben? Ich dachte, du würdest mich besser kennen", antwortete Ragnar. Halvdan wurde daraufhin immer gereizter und seine Hiebe bald unkontrollierter. Ragnar jedoch versuchte, Ruhe zu bewahren. Er wich zurück, hielt vor der Klinge Abstand und nutzte jede noch so kleine Gelegenheit, um sich wieder heranzupirschen. Marian bekam Hoffnung, dass er doch gewinnen könnte, doch diese wurde je zerstört als er der Menge zu nahe kam. Einer der Thorvaldsson trat ihm wuchtig in den Rücken. Ein feiger und ehrloser Angriff, der Ragnar nach vorne taumeln ließ. Die Klinge von Halvdan sauste auf ihn zu und traf. Marian stieß einen kleinen, spitzen Schrei aus. Ihr Herz raste wie verrückt und ihr ganzer Körper war voller Adrenalin. Zu ihrer Erleichterung erkannte sie schnell, dass der Treffer nicht gefährlich gewesen war. Ragnar hatte ausweichen können, sodass die Klinge lediglich seine Brust streifte, das Hemd zerschnitt und eine feine dünne Linie hinterließ, aus der etwas Blut tropfte. Dafür brach aber nun Chaos unter den Männern aus. Die Ragans waren empört über das ehrlose Einmischen und gingen auf die Thorvaldsson los. Marian war froh, dass sie oberhalb der Treppe vor den umherfliegenden Fäusten sicher war. Einer der Ragans eilte zu seinem Herrn und legte ihm ein Schwert in die Linke. Marian konnte sehen, wie er ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte. Ragnar schenkte ihm ein Lächeln, ehe er das Schwert in seiner Linken mit sichtlichen Zweifeln besah.
"Kämpfe", flüsterte Marian und faltete die Hände zu einem stummen Gebet. Als Halvdan, der sich von den Kämpfenden um sich herum nicht stören ließ, erneut auf Ragnar losging, schloss Marian hastig ihre Augen. Sie wollte nicht sehen, wie Ragnar verletzt oder gar getötet wurde. Tränen stiegen ihr in die Augen. Doch der Jubel der Ragans ließ sie schnell wieder einen Blick wagen. Ragnar wehrte Halvdans Angriffe gut mit seinem Schwert ab. Seine Hiebe waren mit der Linken zwar unkontrolliert und schwach, aber besser als nichts. Halvdan begann sein Schwert mit zwei Händen zu führen, um deutlich mehr Kraft zu benutzen. Ragnar schwitzte, sein Gesicht wirkte angespannt und sein rechter Arm hing schlaff an ihm hinab. Der Verband hatte sich bereits rot verfärbt. Doch dann, so plötzlich, dass sie nicht gesehen hatte, wie es passiert war, hatte Ragnar Halvdan plötzlich entwaffnet. Marian jubelte auf. Stöhnte aber in selben Moment fassungslos als Ragnar sein Schwert zu Boden warf.
"Was macht er denn da?", keuchte sie. Die Antwort kam prompt als er sich auf Halvdan stürzte. Beide begannen, sich nun mit den Fäusten zu bearbeiten.
"Ich kann nicht hinsehen", jammerte sie und hielt sich die Augen zu. Doch die Neugier und Spannung war einfach zu groß, sodass sie immer wieder zwischen ihren Fingern hindurch schielte. Halvdan schien ernsthaft um seinen Sieg zu bangen. Er fluchte und zürnte. Panik stand ihm in das Gesicht geschrieben. In seiner Verzweiflung begann er mit Absicht die Wunde von Ragnar zu attackieren. Marian spürte heißen Zorn darüber. Der Schmerz ließ Ragnar schwanken und auf seinem Gesicht war die Qual zu erkennen. Mit einem wuchtigen Tritt in seinen Magen beförderte Halvdan Ragnar von sich und hob sein Schwert vom Boden auf. Marian schrie, als er mit erhobenem Schwert auf Ragnar, der am Boden kniete, zu trat. NEIN! Marian hatte das Gefühl, als würde ihr jemand die Kehle zu drücken. Sie sah wie Halvdan zu einem tödlichen Stoß aus holte, doch noch bevor das Schwert Ragnar treffen konnte, brach sie vor lauter Schreck zusammen und verlor ihre Besinnung.

Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt