Kapitel 64

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Überwältigt stand Marian auf dem Schlachtfeld und beobachtete das Chaos um sich herum. Nun das Blut und Flammenmeer aus nächster Nähe zu sehen, war erschreckend. Es trieb ihr die Tränen in die Augen. Warum haben so viele sterben müssen? Marian fühlte sich schlecht, doch sie wusste, dass es nicht mehr zu ändern war. Ein paar ihrer Feinde tummelten sich noch in der Nähe, doch Marian verspürte keine Furcht, denn mit Arokh an ihrer Seite war sie sicher.
Zaghaft machte sie einige Schritte und hörte das dunkle grollen von Arokh. Sie spürte, wie er sie mit seinen goldenen Augen wachsam im Blick behielt. Schließlich entdeckte sie Lucian und eilte rasch zu ihm. Der Arme schien unter Schock zu stehen und starrte die Flammen an, die an ihm züngelten, aber ihn nicht verletzten. Selbst seine Kleidung war unbeschadet. Man sah ihm an, dass er das nicht begreifen konnte und seine Gedanken wild um sich schlugen. Als Marian ihn erreichte und an der Schulter berührte, erschrak er so sehr, dass er einen spitzen Schrei ausstieß und vor ihr zurückschreckte.
"Ich brenne", schrie er, als er sie erkannte.
"Ich weiß, aber das tust du nicht wirklich", versuchte sie ihn zu beruhigen.
"Welche Zauber sind hier am Werk?", fragte Lucian und war erschreckend nahe an einer Hysterie.
"Das erkläre ich dir, aber bitte beruhige dich und drehe nicht durch", bat Marian, doch leider flog sein Blick in jenem Moment auf den Drachen, der sich nur wenige Meter hinter ihnen befand. Lucian stieß ein merkwürdiges Geräusch aus, ehe sich seine Augen verdrehten und er rücklings umkippte. Marian ging erschrocken sicher, dass er sich bei dem Sturz nicht verletzt hatte.
"Er ist nur bewusstlos. War wohl alles etwas zu viel für ihn", grollte Arokh und Marian war sich sicher, den Drachen leise Lachen zu hören. Sie seufzte schwer und hoffte, dass alle anderen nicht auch noch umkippen würden. Suchend blickte sie zu den Hügeln, abseits der Schlacht. Irgendwo dort hatte sie Ragnar und ihren Vater gesehen, doch dort konnte sie niemanden mehr entdeckten. Stattdessen jedoch erblickte sie Lord Huxley, nicht unweit von sich. Der Arme wälzte sich am Boden und versuchte alles, um die Flammen loszuwerden. Sie wollte zu ihm eilen und ihm helfen, doch da entdeckte sie ihren Vater. Er kam wie ein Berserker über das Schlachtfeld gerannt, stieß jeden beiseite, der ihm im Wege stand und hatte, deutlich in seinem Gesicht geschrieben, große Furcht. Seine panischen Augen fixierten sie. Noch nie zuvor hatte Marian ihren Vater so schnell rennen sehen. Es erstaunte sie, dass er dazu überhaupt noch in der Lage war.
Für einen kurzen Moment setzte ihr Herz aus, als sie hinter ihm Ragnar entdeckte. Er bot dasselbe Bild wie ihr Vater, nur dass sein Blick sehr furchteinflößend war. Ihr Mann stand kurz vor einer Panikattacke und schien gleichzeitig ziemlich zornig zu sein.
"Oje, das kann ja heiter werden", nuschelte Marian und überlegte, wie sie ihnen die Sache mit Arokh erklären sollte. Beide Männer hatten ihre Waffen gezogen und gingen wohl davon aus, gegen das Ungetüm kämpfen zu müssen. Dass ihre Vermutung richtig war, bezeugte ihr Vater, denn als er sie erreichte, schob er sie ziemlich panisch hinter sich und hob das Schwert gegen Arokh.
"Renn, mein Kind, verdammt renn um dein Leben", rief Henry.
"Aber Papa ...", wollte Marian protestieren, brach jedoch ab, als Ragnar sie erreichte.
"Bist du denn völlig verrückt geworden, Frau? Wieso, bei allen Göttern, kommst du hier mit einem Drachen angeflogen? Willst du, dass ich an Herzversagen sterbe?", schrie er sie an.
"Nun es ist so ...", begann sie, doch er ließ sie nicht ausreden. Schwungvoll zog er sie zu sich heran, legte schützend einen Arm um ihren Leib und blickte Arokh wild entschlossen entgegen. Er war sich zwar sicher, nicht lange gegen dieses Monster bestehen zu können, doch er war bereit sein Bestes zu versuchen.
"Bitte, ihr müsst euch beruhigen, es ist so ...", begann Marian, doch wieder wurde sie unterbrochen, als Arokh mit seinem Schwanz peitschte und dabei eine Handvoll von Halvdans Männern, die zu nahe waren, im hohen Bogen davon schleuderte. Marian sah, wie ihr Mann noch bleicher wurde. Sein ganzer Körper spannte sich an. Die Hand, mit der er sein Schwert hielt, zitterte. Noch nie hatte sie ihn in solch einer Furcht gesehen. Dennoch blieb er mutig, genau wie ihr Vater, der Arokh nicht aus den Augen ließ.
"Also gut, bring sie hier weg, schnell, ich verschaffe euch etwas Zeit", rief Henry und seine Stimme klang vor Panik ganz anders als sonst. Marian wollte etwas sagen, doch da hob Ragnar sie empor und warf sie sich über die Schultern. Er wollte tatsächlich mit ihr das Weite suchen. Doch da stampfte Arokh mit seinen kräftigen Pranken auf den Boden auf und verursachte ein kleines Beben. Dieses brachte jegliches Feuer zum Erlöschen und sorgte dafür, dass Ragnar wie zu Stein erstarrt innehielt. Marian nutzte diese Chance, schaffte es sich von ihrem Mann zu lösen und eilte zu Arokh zurück.
"Um Himmelswillen, geh weg von diesem Vieh", rief ihr Vater.
"Nun beruhigt euch bitte. Arokh ist ein Freund", erwiderte Marian.
"Wer ist Arokh?", wollte Henry wissen. Marian zeigte zu dem Drachen. Ihr Vater stieß ein komisches Geräusch aus, ehe er sich fassungslos an Ragnar wandte und ihn mit einem Stoß in die Rippen aus seiner Starre löste.
"Meine Tochter hat den Verstand verloren und hält dieses Monster für einen Freund. Bring sie schnell weg von hier, aber denke bloß nicht, dass ich dich als ihren Mann dulde. Diese Situation lässt mir nur keine andere Wahl", sagte er und Ragnar nickte.
"Wie bitte, du hältst mich für verrückt, Vater?", rief Marian empört und erschrak im nächsten Moment als Ragnar sich ihr näherte und den Drachen hinter ihr gefährlich anknurrte. Er klang dabei wie ein wildes Tier und er machte selbst Marian damit Angst. Arokh jedoch schien das sehr amüsant zu finden, denn der Drache begann grollend zu lachen.
"Mutig, wirklich sehr mutig. Ich sehe es in deinen Augen, du bist bereit gegen mich zu kämpfen, obwohl du weißt, dass du verlieren würdest", grollte Arokh und als seine Stimme über das Feld hallte, erreichte das Chaos seinen Höhepunkt. Einen sprechenden Drachen sah man nicht alle Tage und viele hatten ihre Probleme damit, dieses Ereignis zu verarbeiten. Nicht wenige taten es Lucian gleich und verloren vor Schreck ihre Besinnung. Ragnar und Henry waren vor Entsetzten wie erstarrt und diesen Umstand nutzte Marian nun. Hastig und so schnell sie konnte, begann sie ihnen im groben zu berichten, wie sie Arokh befreit hatte und dass er ein Verbündeter war. Ihre Geschichte zog viele Neugierige an, doch sie blieben alle im sicheren Abstand zu dem Drachen, während sie ihre Ohren spitzten. Doch erst, nachdem sie mehrmals energisch versichert hatte, dass Arokh ein Freund war, schien man ihr endlich Glauben zu schenken. Sie sah, wie ihr Mann erleichtert aufatmete. Die Anspannung löste sich von ihm.
"Den Göttern sei Dank, ich war schon sehr verzweifelt und wusste beim besten Willen nicht, wie ich gegen dieses Vieh kämpfen soll", hörte sie ihn flüstern. Doch dann plötzlich sah er auf und funkelte sie mit zornigem Blick an.
"Oje", entfuhr es Marian.
"Ich bin ja froh, dass der Drache nicht unser Feind ist, aber bist du denn von allen guten Geistern verlassen, Frau? Wieso bist du in diese Höhle gegangen, dort hätte dir alles Mögliche passieren können! Verdammt nochmal, warum kannst du denn nie auf das hören, was ich dir sage. Du machst mich fertig, Marian", rief er und schnaufte aufgebracht.
"Es tut mir leid", nuschelte sie.
"Sie ist genau wie ihre Mutter. Nie hören sie auf einen", schimpfte nun auch ihr Vater.
"Es tut mir leid", nuschelte Marian erneut.
"Ich sollte dich vielleicht wie früher in Ketten legen", knurrte Ragnar.
"Das wagst du nicht", keuchte Marian und eilte rasch zu ihm.
"Ich mache dir wirklich nicht mit Absicht solche Sorgen", meinte sie und noch bevor Ragnar darauf etwas erwidern konnte, fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn stürmisch. Sofort war aller Zorn aus Ragnar gewichen. Wie ein ausgehungerter, begann er ihren Kuss zu erwidern und presste sie verlangend an sich.
"AUSEINANDER!", schrie Henry und drängte sich energisch zwischen die beiden, sodass sie voneinander ablassen mussten.
"Noch habe ich dir meine Tochter nicht überlassen", knurrte Henry und bedachte Ragnar mit mörderischen Blicken.
"Was auch immer du sagst, die werden sowieso nicht auf dich hören", meinte Huxley, der, seitdem die Flammen erloschen waren, das ganze schweigend beobachtet hatte.
"Da hat das Dickerchen recht, Marian ist meine Frau und es ist mir egal, was ihr Vater davon hält", sagte Ragnar und Marian schmerzten fast die Ohren, als ihr Vater ziemlich lautstark schimpfte. Die wildesten und schlimmsten Beleidigungen, die sie jemals gehört hatte, halten über das Feld.
"Wie wäre es, wenn wir uns alle mal etwas beruhigen, seht euch doch mal um. Wir haben gewonnen", sagte Huxley. Aber Henry hörte ihm gar nicht zu. Ragnar ignorierte den Wutanfall des alten Callahan und ließ seinen Blick prüfend schweifen. Erleichtert war er, dass sie wirklich gewonnen hatten. Der Fluch war laut Marian gebrochen und die Macht der Thorvaldsson geschwunden. Bei dem Gedanken an Halvdan, fluchte Ragnar jedoch, denn er rief sich in Erinnerung, dass er den Schweinehund zurückgelassen hatte.
Er hoffte nun, dass der Bastard nicht entkommen war. Aber selbst wenn, der Herr der Ragan schwor sich, dass er nicht eher ruhen würde, bis Halvdan einen grausamen Tod gestorben war.
"Papa, es reicht jetzt", rief Marian plötzlich und in ihrer Stimme schwang eine Strenge mit, die Ragnar verblüffte und den alten Callahan sofort zum Schweigen brachte.
"Natürlich ist es mir nicht egal, ob wir deinen Segen bekommen oder nicht, aber ich liebe diesen Mann und wenn du mich vor die Wahl stellst, werde ich mich für ihn entscheiden. Ich hoffe aber von ganzem Herzen, dass du ein Einsehen hast und ihn akzeptierst. Sieh dich doch einmal um Papa, ohne ihn und seine tapferen Krieger würden wir nicht hier als Sieger stehen! Ich erwarte keine sofortige Einsicht, aber gebe ihm doch zumindest eine Chance", sagte sie und ihr Vater schien von ihren Worten ziemlich erschrocken zu sein.
"Aber er ...", begann Henry, stockte und grummelte dann etwas Unverständliches.
"Jetzt gib dir schon einen Ruck", schnaufte Huxley und stieß seinen Freund in die Rippen.
"Jetzt stellst du dich auch schon gegen mich?", keuchte Henry.
"Sieh dir die beiden doch an, die kannst du nicht trennen", meinte Huxley und zeigte auf Ragnar, der seine Frau gerade mit innigen Blicken regelrecht anhimmelte. Henry schnaubte aufgebracht und schien sehr mit sich zu ringen, ehe er frustriert seine Schultern hängen ließ.
"Na schön, ich mache euch einen Vorschlag. Ich bin bereit, ihn vorerst zu dulden, wenn ihr bis zur Geburt eures Kindes hierbleibt. Aber, – ich gebe euch nicht meinen Segen, diesen wird sich Ragnar erst noch verdienen müssen", sagte Henry und Marian fiel ihren Vater sofort freudig um den Hals. Sie wusste, wie schwer ihrem Vater dies gefallen war und auch wenn sein Segen noch auf sich warten ließ, war dies mehr als sie zu hoffen gewagt hatte.
"Wenn du ihn erst einmal richtig kennengelernt hast, wirst du ihn mögen", versicherte Marian ihrem Vater. Dieser sah sie jedoch deutlich zweifelnd an. Glücklich wandte sich Marian zu ihrem Mann herum und das rettete ihr das Leben. Denn just in dem Moment sauste ein Pfeil dicht an ihrem Kopf vorbei und blieb hinter ihr im Boden stecken. Es ging so schnell, dass Marian es gar nicht wirklich wahrgenommen hatte und sich wunderte, warum plötzlich alle so aufgeschreckt reagierten. Ihr Mann hatte sie sofort an sich gezogen und blickte hastig suchend umher. Ihr Vater, Huxley und einige andere Männer, die in der Nähe waren, schienen auch etwas zu suchen. Ein dunkles Knurren drang aus der Kehle ihres Mannes und als sie seinem Blick folgte, entdeckte sie Halvdan. Dieser verhasste Mistkerl bot einen ziemlich jämmerlichen Anblick und zum Laufen schien er nicht mehr fähig zu sein. Kriechend hatte er sich von dem Hügel, wo er zurückgelassen worden war, zum Feld geschleppt.
Dort hatte er sich Pfeil und Bogen von einem toten Krieger genommen und beschlossen, Marian mit sich in das Verderben zu reißen. Verzweiflung war ihm anzusehen, als er erkannte, dass er sie verfehlt hatte. Er wusste, damit hatte er jegliche seiner Chancen verwirkt. Die Krieger der Ragan waren zornig, ihr Herr noch mehr. In Stücke hätten sie ihn gerissen, wenn sich Arokh nicht plötzlich in die Lüfte erhoben und alle Blicke auf sich gezogen hätte. Ein zufriedenes Lächeln bildete sich auf Ragnars Lippen, als er erkannte, was der Drache vorhatte. Marian sah ihren Mann erschrocken an, als er seine Hände an ihre Ohren hielt und seine Lippen die Worte, – schau nicht hin, formten. Marian gehorchte und beobachtete ihren Mann, der Halvdan beim Sterben zusah. Was auch immer Arokh tat, die Schreie von Halvdan waren schrecklich und voller Pein. Marian erschauderte und auch wenn Ragnar es zu verhindern versuchte, konnte sie die Todesschreie deutlich hören. Ragnar lächelte, während er sah, wie sein Erzfeind in Stücke gerissen und von dem Drachen verspeist wurde. Dies war ein Tod, der ihn durchaus zufrieden stimmte.


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