Kapitel 7

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Der Tag zog langsam vorüber und Marian konnte nur erahnen, was außerhalb des Gemaches geschah. Sie zuckte immer wieder zusammen, wenn der Schrei einer Frau erklang und dann in der Ferne verstummte. Manchmal schienen sich die Männer zu streiten, es rumpelte nicht selten und oft hörte man sie erzürnt brüllen. Einerseits war sie froh, im Gemach gefangen zu sein und dem ganzen entfliehen zu können, doch andererseits fühlte sie sich ihrem Volk gegenüber schuldig. Schlimmer aber nagten die Sorgen um ihren Vater an ihr. Es hatte gut getan ihn zu sehen, doch sein Zustand war nicht der beste und seine Unterbringung ebenso. Sie dachte über das angeblich verfluchte Gold nach.
Es gab keinen Grund, die Existenz des Goldes zu bezweifeln, da ihr Vater es bestätigt hatte. Doch warum war nie darüber gesprochen worden? Warum hatte sie nichts davon gewusst? Marian glaubte nicht an Flüche, doch ihr war nicht entgangen, dass ihr Vater des Goldes wegen Furcht verspürt hatte. Vermutlich war dieser Schatz auch der Grund, weswegen das Betreten des Gebirgen verboten worden war. Sicher war sie sich, dass es dort gefährlich sein musste, aber es war sicherlich kein Fluch. Marian stellte sich vor, wie die Männer in den Bergen tödlich verunglückten. Und taten sie es nicht, so würden sie bald verschwinden, wenn sie das Gold hatten. Zumindest, wenn Ragnar sein Wort hielt.
Mit einem schweren Seufzen kämpfte sie sich unter den Decken hervor, unter denen sie sich die letzten Stunden versteckt hatte. Sicher war sie sich, dass ihr Leben nie wieder so sein würde wie vorher. Selbst wenn die beiden Clans schwanden, würde der Schrecken auf ewig in den Herzen der Überlebenden hausen. Das mächtige Grummeln ihres Magens schreckte sie auf und sie hielt sich stöhnend ihren Bauch. Der Hunger war so furchtbar, dass es schmerzte. Sie schmatzte und wurde sich nun auch ihres Durstes gewahr. Doch gerade als sie sich fragte, ob Ragnar sie langsam dahinraffen wollte, in dem er ihr jegliche Nahrung verwehrte, klopfte es an der Tür und der rothaarige Krieger trat ein. Marian spannte sich sofort an und war froh, dass sie nicht mehr Nackt war.
Doch als sie sah, dass er ein Tablett mit lauter Köstlichkeiten bei sich hatte, vergaß sie alles und sprang aus dem Bett. Erschrocken sah er sie an, als sie mit rasselnden Ketten auf ihn zu rannte, ihn das Tablett entriss und damit fröhlich zum Bett zurückkehrte. Er murmelte etwas Unverständliches und verließ das Gemach dann wieder. Mit Tränen in den Augen fiel sie über die ganzen leckeren Sachen her.

Ragnar lächelte, als Lucian zu ihm zurückkehrte und ihm erzählte, wie stürmisch Marian über das Essen hergefallen sei. Er hatte geahnt, dass sie furchtbaren Hunger leiden musste und er ärgerte sich, da er nicht schon früher daran gedacht hatte. Schwer seufzte er, ehe er seinen Blick hob und durch den Thronsaal blickte.
Es bot sich ihm beinahe derselbe Anblick wie in der vergangenen Nacht. Die Männer ließen sich von den Frauen bedienen. Er besah sich die ganzen Speisen und er war sich sicher, dass die Vorratskammern von Henry in wenigen Tagen geleert sein würden. Es würde gewiss nicht Schaden, so bald wie möglich in den Wäldern auf die Jagd zu gehen.
Nachdenklich blickte er auf die Karte nieder, die auf seinem Schoss ausgebreitet lag. Henry hatte sein Wort gehalten und mehrere Markierungen gesetzt. Ragnar plante schon Morgen, die erste Höhle mit einigen Männern zu untersuchen. Rasch flog sein Blick wieder durch den Saal. Bevor er dies tat, musste er aber einige Vorkehrungen treffen.
Im Augenblick war der Clan von Halvdan in der Überzahl und Ragnar wusste, es wäre gut dies so schnell wie möglich zu ändern. Er war nur mit zehn Mann zur Festung gekommen, doch bei seinen Schiffen warteten unzählige auf seine Befehle. Er plante, einige von ihnen hierher zu holen. Wenn er in die Berge ging, wollte er sicher sein, dass Marian gut bewacht war und der Clan von Halvdan keinen Unfug trieb.
Er winkte Ivar herbei, einen von seinen Männern und teilte ihm sein Vorhaben mit. Dieser zögerte nicht lange und machte sich trotz der einbrechenden Dunkelheit auf den Weg, um Verstärkung zu holen. Ragnar sah nun zu Halvdan, der neben ihm im kleineren Thron saß. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass die angebliche Liane eigentlich Marian, die Tochter von Henry war. Halvdan war über diese Erkenntnis sichtlich verärgert und zürnte nur noch mehr, dass Ragnar sie zu seinem Besitz gemacht hatte. Doch ihm fehlte der Mut, die Sache in einem Zweikampf zu klären. Das lag wohl daran, dass er Ragnar bereits mehrere Male herausgefordert und stets dabei verloren hatte. Halvdan wusste, er alleine kam gegen Ragnar nicht an. Er war bei jenen, die Schwächer waren als er, ein protzender Bastard, doch sobald er der unterlegene war, zog er kneifend seinen Schwanz ein. Ragnar wusste, es würde seinen Tod bedeuten, wenn er vor Halvdan jemals Schwäche zeigte oder Kränkelte. Denn dann würde Halvdan ohne zu zögern zuschlagen. Der Bastard wartete nur auf eine gute Gelegenheit, um das brüchige Bündnis zwischen ihnen zum Bersten zu bringen.
Schon oft hatte Ragnar mit dem Gedanken gespielt, ihm zuvorzukommen, doch er konnte ihn nicht töten, ehe er wusste, was mit Fifilla geschehen war. Seine Schwester hatte diesen Hund vor zwei Jahren geheiratet und seitdem gab es kein Lebenszeichen mehr von ihr. Es hatte zwar durchaus Briefe gegeben, in denen sie versicherte, dass es ihr gut ging und sie glücklich sei, doch Ragnar, sowie seine Mutter bezweifelten, dass sie diese geschrieben hatte. Weder Halvdan noch dessen Vater Hegvaldr, waren bereit über sie zu reden.
Kam das Thema auf Fifilla sagten sie nur, dass sie nun ihrer Sippe angehöre und es ihnen nichts mehr anginge. Ragnar knirschte mit seinen Zähnen als er daran dachte und wichtiger als zuvor war ihm, dieses verdammte Gold zu finden. Er wollte diesen Schatz nicht für sich, denn er hatte genug Reichtümer in seinen Schatzkammern angehäuft.
In Wahrheit war er an dieser ganzen Sache nur beteiligt, weil Halvdan ihn um Hilfe gebeten hatte und als Lohn würde Ragnar seine Schwester sehen dürfen. Bei diesem Gedanken sorgte er dafür, dass aller Aufmerksamkeit im Saal auf ihn ruhte. Nachdem dies geschehen war, hob er die Karte hoch und erzählte, was Henry gesagt hatte.
Sogleich loderte die Gier in den Augen der Männer und Halvdan nahm die Karte rasch an sich, um sie zu studieren. Die Freude darüber, dass der Schatz zum Greifen nahe war, konnte man ihm sichtlich ansehen. Genau wie Ragnar zuvor, belächelte er die Warnung bezüglich des Fluches. Hastig nahm Ragnar ihm die Karte wieder ab und suchte sich eine Markierung heraus, die ihn nicht länger als zwei Tage von der Festung fernhalten würde. Halvdan hörte sich seinen Plan in Ruhe an, ehe er verlangte, dass er einige seiner Männer mitnehmen solle.
"Ich will sicher sein, dass du dich mit der Karte und dem Gold nicht aus dem Staub machst", meinte Halvdan. Mit dem Gedanken bei Marian, versicherte Ragnar ihm, dass er um jeden Preis zur Festung zurückkehren würde.

Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt