Kaum einer wusste, wie lange die Schlacht nun schon im Gange war, das Gefühl von Zeit war nicht vorhanden. Doch als es zum neuen Morgen dämmerte und ein kalter Nebel über das Feld zu schweben begann, hatte die Schlacht bereits unzählige Opfer gefordert. Jene, die noch lebten, befanden sich am Ende ihrer Kräfte, doch keiner wollte Aufgeben, denn dies zu tun, bedeutete zu Sterben. Vergeblich irrte Ragnar über das Feld und hielt nach Halvdan Ausschau. Henry und Lucian, sowie den drolligen Huxley, hatte Ragnar bereits vor einiger Zeit im Getümmel aus den Augen verloren und immer wieder stolperte er über die Leichen am Boden.
"Das muss endlich ein Ende finden", knurrte er und entdeckte schließlich Hegvaldr. Der Vater von Halvdan kämpfte gerade mit einem Soldaten von Henry. Es war jener, der Ragnar in den Kerkern vor die Füße gespuckt hatte. Der Mann schlug sich tapfer und es war zu erkennen, dass er ein sehr talentierter Kämpfer war. Ragnar war sich ziemlich sicher, dass er einen hohen Rang in den Reihen von Henrys Männern haben musste. Doch sein Talent brachte ihm nicht viel, denn Hegvaldr hatte nicht Wochenlang in einer Zelle gekauert und hatte dementsprechend mehr Ausdauer. Ragnar zögerte nicht lange und kam dem Soldaten zur Hilfe. Gemeinsam drängten sie den überraschten Hegvaldr zurück. Nachdem ihnen dies gelungen war, blickte der Soldat seinem Helfer spottend an.
"Ich schaffe das auch ohne euch".
"Das bezweifle ich doch stark", brummte Ragnar.
"Kommt mir lieber nicht zu nahe, ich kann mein Verlangen, euch zu erschlagen, nur schwer zügeln", knurrte der Soldat und Hegvaldr begann schallend zu Lachen.
"Sie sich das mal einer an. Der Herr der Ragan riskiert sein Leben für das Gesindel, das ihn verachtet", spottete er.
"Haltet eure Fresse. Nur zur Information, euch, hasse ich noch viel mehr", schimpfte der Soldat und nun war es Ragnar, der lachte.
"Sehr gut, dann nutzt diesen Hass gegen ihn. Lasst mich an eurer Seite kämpfen. Vernichten wir ihn und danach können wir uns beide immer noch die Köpfe einhauen", schlug Ragnar vor und zu seinem Staunen nickte der Soldat.
"Ich bin übrigens Adrian. Merkt euch diesen Namen, denn ich werde es sein, der euch töten wird, sobald die Sache mit den Thorvaldsson erledigt ist".
"Ihr könnt mich nicht töten", erwiderte Ragnar und erinnerte sich, dass Marian einmal über diesen Adrian geredet hatte. Er war es, der ihr das Reiten gelehrt hatte. Beinahe hätte Ragnar schallend losgelacht, als er daran dachte, dass er damals kurz eifersüchtig auf ihn gewesen war. Hegvaldr schien nun genug von dem Gerede der beiden zu haben und bezeugte seit langer Zeit mal etwas Tapferkeit, als er Mutig auf die beiden zu preschte und gegen sie zu Kämpfen begann.Mit einem leisen Wimmern kam Marian zu sich. Im ersten Moment wusste sie nicht, was passiert war und warum sie auf sandigem Boden lag. Erst als sie den heißen Windzug spürte, der immer wieder über sie wehte, begann sie sich zu erinnern. Ihr wurde bewusst, dass dies kein Wind, sondern der Atem eines Drachens war. Mit einem Schrei riss sie ihre Augen auf und blickte direkt in ein riesiges goldenes Auge, das sie prüfend musterte.
"Na endlich, du bist wieder wach", grollte der Drache und er rollte tatsächlich mit seinen Augen, als Marian wie verrückt kreischte und in Panik auf allen vieren vor ihm davon zu kriechen begann.
"Nun beruhige dich doch und bitte, falle nicht wieder in Ohnmacht", bat der Drache und trat vollends aus der Dunkelheit. Als Marian seinen gewaltigen Körper sah, wurde ihre Panik nur noch größer. Seine Schuppen hatten die Farbe des Blutes und seine Pranken waren so gewaltig, dass sie mit Leichtigkeit ganze Häuser zerschmettern könnten. Er hatte zwei Flügel, die er jedoch dicht an seinem Körper behielt. Marian war sich sicher, dass sie prächtig wären, wenn er sie entfaltete. Der Drache hatte einen langen und mit Stacheln besetzten Schwanz, denn er nun anhob und nicht unweit von Marian niederschmettern ließ. Sie schrie und kauerte sich zitternd zusammen, als es dadurch erbebte und Gestein von der Decke rieselte.
"Ich sagte dir doch, du musst mich nicht fürchten", grollte Arokh und als Marian ihren Blick hob, erkannte sie, dass er ihr mit seinem Schwanz den Ausgang versperrte.
"Nun steh endlich auf, Tochter von Kalinde und lass uns unser Schicksal erfüllen", grollte er. Die panischen Schreie von Marian verstummten, als sie den Namen ihrer Mutter hörte. Am ganzen Leibe zitternd sah sie zu dem Ungetüm und sie begriff langsam, dass sie nicht auf seinem Speiseplan stand. Das hieß aber nicht, dass dies ihre Furcht milderte. Ihre Knie schlotterten fürchterlich, als sie sich vorsichtig und fast in Zeitlupe erhob.
"Hast du dich endlich beruhigt?", fragte Arokh.
"Ich bin mir nicht ganz sicher. Es ist gerade etwas viel für mich", antwortete Marian und er lachte. Einen lachenden Drachen vor sich zu sehen, hätte Marian beinahe wieder in Ohnmacht fallen lassen. Doch sie riss sich zusammen, wissend, dass sie nicht ohne Grund hier war. Diese Kreatur hatte sie gerufen und es wurde Zeit herauszufinden, warum.
"Du hast mir einmal gesagt, du könntest helfen, den Krieg zu beenden", sagte sie.
"Ja, das kann ich. Doch neue Kriege werden kommen".
"Von neuen Kriegen will ich nichts hören. Es geht um das Hier und Jetzt", rief Marian.
"Verstehe. Es wäre ein leichtes, diese Törichten Menschen zu vernichten. Gebe mir nur wenige Sekunden und der Sieg gehört dir", grollte Arokh.
"Worauf warten wir dann noch?", fragte Marian aufgeregt.
"Ich kann nicht hinaus. Diese Höhle ist meine Verdammnis. Das Gefängnis, in dem mich deine Mutter steckte", brummte er.
"Meine Mutter? Aber wieso?", wollte Marian wissen und in ihrem Kopf herrschte das reinste Chaos. Es gab so viele Fragen und sie vieles, was sie nicht verstand. Und die Tatsache, hier mit einem waschechten Drachen zu reden, war noch etwas zu viel für ihr Gehirn.
"Wegen eines Irrtums. Sie hielt mich für etwas, was ich nicht bin", grollte er und Marian dachte angestrengt nach. War er das Monster, das aus dem Ei geschlüpft war? Wenn ja, dann war laut Rawena er derjenige, der den Fluch über dieses Land gebracht hatte. Durfte sie diesem Ungeheuer vertrauen?
"Ob es ein Irrtum war oder nicht, werde ich selber Entscheiden. Bitte erzähl mir alles. Ich möchte versuchen es zu verstehen", bat Marian und erstarrte, als der gewaltige Kopf von Arokh sich näherte. Sie sah sich selbst in seinen riesigen Pupillen.
"Wo, soll ich da nur beginnen?", grummelte er und entfernte sich wieder, so weit, dass nur sein Kopf noch aus der Finsternis ragte. Marian ließ sich auf dem Boden nieder und sah ihn abwartend an, ein Zeichen, dass sie bereit war, seine Geschichte anzuhören. Das dunkle Grollen von Arokh hallte durch die Höhle, ehe er begann zu erzählen.Keuchend sackte Ragnar in die Knie und rang um Atem. Er spürte, wie ihm immer mehr die Puste ausging. Seine Arme fühlten sich wie Blei an und wie er mit einem Blick zu Adrian erkannte, ging es diesem nicht gerade besser. Noch immer waren sie in einen Kampf mit Hegvaldr verwickelt und dieser zog sich ziemlich in die Länge. Es war nicht so leicht, den Bastard zu erwischen, da er immer wieder Unterstützung von seinen Leuten bekam.
"Bevor ich dich töte, Ragan, möchte ich mir nicht den Spaß nehmen lassen, dir ein Geheimnis zu erzählen", rief Hegvaldr, der von mehreren seiner Männer schützend umringt war.
"Kein Interesse", knurrte Ragnar und erhob sich wieder. Adrian tat es ihm gleich.
"Du willst also nicht wissen, was mit deiner Schwester passiert ist?", fragte Hegvaldr und Ragnar erstarrte. Seine Augen weiteten sich und an einer Ader, die an seinem Hals pulsierte, konnte man förmlich dabei zusehen, wie sich sein Puls steigerte.
"Sie ist Tod", sagte Ragnar, denn er spürte es mit jeder Faser seines Seins. Er und seine Mutter wussten es, sie hatten es von Anfang an gefühlt.
"In der Tat, das ist sie", bestätigte Hegvaldr dies mit einem höhnischen Grinsen und obwohl Ragnar es geahnt hatte, war der Stich in seinem Herzen enorm.
"Wie starb sie?", wollte Ragnar wissen und er hielt Adrian auf, der weiterkämpfen wollte.
"Ich glaube, für eine gewisse Zeit, hat mein Sohn sie wirklich geliebt. Doch diese Gefühle gingen zugrunde, als er erkannte, dass sie ihm keinen Erben schenken konnte. Er hasste sie dafür und sie war ein Schandfleck. Also nahm ich mich ihrer an ...", erzählte Hegvaldr grinsend. Ragnar schluckte schwer und versuchte seinen Zorn zu beherrschen. Fifilla war unfruchtbar gewesen?
"Was soll das heißen, ihr nahmt euch ihrer an?", fragte Ragnar.
"Ich holte sie in mein Bett".
"Du hast was getan?", brüllte Ragnar außer sich vor Zorn.
"Wie sich herausstellte, konnte sie durchaus Kinder bekommen. Mein Sohn ist es, der keine Zeugen kann", erzählte Hegvaldr fröhlich weiter.
"Du hast sie geschwängert?", brüllte Ragnar und er begriff, dass dies schlichtweg bedeutete, dass er Fifilla vergewaltigt hatte. Niemals, da war er sich sicher, hätte sie sich freiwillig auf Hegvaldr eingelassen. Und dieses Wissen ließ Ragnar jegliche Beherrschung verlieren. Wie ein Berserker stürmte er auf Hegvaldr zu.
"Tötet ihn", brüllte dieser und seine Männer gingen alle gemeinsam auf Ragnar los. Doch dieser bekam sofort tatkräftige Unterstützung von Adrian. Gemeinsam stärkten sie sich den Rücken und begann sich zielstrebig auf Hegvaldr zuzuarbeiten. Dieser wurde mit jedem seiner Männer, der fiel, deutlich bleicher.
"Es kann doch nicht so schwer sein ihm ein verdammtes Schwert in die Brust zu jagen", brüllte Hegvaldr und als Ragnar näher kam, entschied er sich in die Menge um sich herum zu fliehen.
"Folge ihm ruhig", rief Adrian, der sich gleich mit mehreren Männern gleichzeitig anlegte. Ragnar war sich sicher, dass Adrian dies nicht überleben würde, doch sein Zorn auf Hegvaldr war mächtiger als alles andere und so nahm er die Verfolgung auf.Unruhig rutschte Marian auf dem sandigen Boden herum, da sie spürte, wie ihr die Beine einschliefen und das Kribbeln kaum noch zu ertragen war. Doch sie starrte weiterhin nur den Drachen an, der ihr von einer Zeit erzählte, in denen seinesgleichen noch frei am Himmel geflogen waren. Einst, vor langer Zeit, so ewig her, dass es selbst für die Drachen nur eine Legende war, wurde der erste von ihnen durch den Zauber einer Hexe geboren. Diese mächtige Magie hatte sich über Jahrhunderte von alleine weiterentwickelt und die Drachen zu den mächtigen Wesen werden lassen, die sie heute waren. Sie konnten sich sogar eigenständig fortpflanzen, doch um ihre Eier verlassen zu können, brauchten sie die Erlaubnis einer Hexe, sprich, ihr Blut. Das Bündnis zwischen ihnen war laut Arokh wie die einer Familie gewesen. Doch andere hatten die Macht dieser Vereinigung sehr gefürchtet und man hatte begonnen, die Hexen zu jagen. Auf das grausigste hatte man sie gerichtet, eine nach der anderen. Irgendwann zogen sich die wenigen Überlebenden zurück, sie entsagten ihren Kräften und führten ein normales Leben. Manche Hexen aber wollten sich zur Wehr setzten und verfielen dem Bösen. In dieser Zeit wurden auch die Drachen weniger, da keine neuen mehr schlüpfen konnten. Laut Arokh, soll es unzählige Eier geben, die über der ganzen Welt verteilt ruhten und darauf warteten, von einer Hexe erweckt zu werden.
"Ich gebe niemanden die Schuld für das, was damals geschah. Doch meine schwarzen Brüder verfielen demselben Hass, wie die boshaften Hexen. Von letzteren lernten sie die dunklen Flüche und schickten ihre Übel in die Welt hinaus. Sie wollten die pure Vernichtung. Das konnten ich und ein paar andere, nicht zulassen. Wir gingen ein Bündnis mit stolzen Kriegern ein, um die Schwarzen aufzuhalten. Soweit ich weiß, gingen sie als die Drachenreiter in die Geschichte ein", erzählte Arokh und es schien ihm sehr zu gefallen, endlich jemanden zu haben, der ihm zuhörte. Marian begann sich an die Lügenmärchen zu erinnern, die sich die Ragan erzählt hatten. In einer dieser Geschichten ging es um eben jene Drachenreiter. Marian wusste, es konnte kein Zufall sein, dass diese Reiter die Vorfahren ihres Mannes waren. Auch wurde sie das dumpfe Gefühl nicht los, dass sie und Ragnar sich nicht ohne Grund begegnet waren. Das Schicksal schien sie füreinander bestimmt zu haben und mit bangem Herzen fragte sie sich, welches Ende die Zukunft für sie beide bereithielt.
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Der Ragan Clan (1)
RomansWährend Marian Callahan von einer körperlosen Stimme gepeinigt wird, muss sie gleichzeitig miterleben, wie boshafte Krieger in ihrer Heimat einfallen und diese an sich reißen. Schneller als ihr Lieb ist, erhebt der Anführer des Ragan Clans seinen An...