Kapitel 58

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Marian musste sich rasch ducken, um einem tödlichen Hieb zu entgehen. Die Klinge sauste daraufhin dicht über ihren Kopf hinweg. Die Angst griff nach ihrem Herzen und ihr eigenes Schwert schien in ihren Händen immer schwerer zu werden. War sie in den ersten Sekunden noch sehr flink, wurde sie nun träger. Ihre Ausdauer ließ nach. Bevor ihre Kräfte sie völlig verlassen konnten, vollführte sie rasch einige Angriffe. Marian hoffte ihn damit zurückweichen zu lassen, um eine gute Chance zur Flucht zu finden. Doch ihre schwachen Hiebe brachten ihren Gegner nur zum Lachen. Panisch sah sie nach ihrem Vater, überlegte, ob sie ihn zu Hilfe rufen sollte. Doch die kämpfende Menge versperrte ihr nun die Sicht auf ihn. Gerade noch rechtzeitig begriff sie, dass es Fatal war, den Blick von ihrem Feind zu nehmen. Denn als sie wieder zu ihm sah, sauste sein Schwert bereits auf sie zu und im letzten Augenblick konnte sie den Angriff mit ihrer Klinge parieren. Die Wucht des Aufpralls war so enorm, dass sie glaubte, ihre Arme würden brechen. Dies war zwar nicht der Fall, doch dafür wurde sie nun entwaffnet. Ihr Schwert flog im hohen Bogen durch die Luft und blieb unerreichbar irgendwo im Erdboden stecken. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihrem Gegner entgegen, der höhnisch grinste.
"Was für ein Schwächling", zischte er und anstatt mit seinem Schwert, schlug er mit seiner Faust zu. Er traf sie am Helm und noch während sie von der Wucht zu Boden flog, verlor sie ihren Kopfschutz. Er rollte davon und gab ihre kurz geschnittenen Haare frei. Erschrocken rang sie nach Atem und bemerkte, wie der Krieger und auch einige andere in unmittelbarer Nähe innegehalten hatten. Mit großen Augen sah man sie an und Marian begriff, dass sie ohne den Helm sofort als Frau enttarnt worden war.
"Du bist eine ...?", keuchte ihr Gegner, doch er konnte nicht zu Ende sprechen, da seine Brust plötzlich von hinten mit einem Schwert durchbohrt wurde. Marian starrte die Klinge entsetzt an. Das warme Blut ihres Gegenübers spritzte in ihr erschrockenes Gesicht. Der Mann sah auf die Klinge hinab, die aus seiner Brust ragte und schien vor Schock nur langsam zu begreifen, was da mit ihm passierte. Ein Röcheln entfloh seiner Kehle. Dann wurde das Schwert aus ihm hinausgezogen und er sackte leblos zu Boden. Kreidebleich und am ganzen Leibe zitternd, besah sich Marian den Leichnam, aus dem unaufhörlich Blut sickerte. Nachdem es ihr gelungen war, den Blick abzuwenden, wurde sie sich ihres Retters gewahr. Es war Ragnar. Ihr Herzschlag drohte sich zu überschlagen und sie wollte liebend gerne ihrem Mann in die Arme springen. Doch die Angst hielt sie an Ort und Stelle. Denn der Blick von Ragnar war wahrlich furchteinflößend. Schwer atmend stand er da und schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf, während er sie von oben bis unten musterte und aussah, als wollte er sie den Wölfen zum fraß vorwerfen. Er stand kurz davor, vor Wut zu explodieren. Gleichzeitig war ihm die Angst und die Sorge anzusehen.
"Ragnar ich ...", begann sie und wollte ihm ihr Hiersein erklären. Doch er knurrte finster, was sie rasch zum Verstummen brachte. Sein rechtes Augenlid zuckte mal wieder sehr verdächtig.
"Bist du von allen guten Geistern verlassen, Weib? Was machst du hier? Willst du, dass ich vor lauter Sorge um dich sterbe?", brüllte er im nächsten Moment los und Marian wünschte, sie hätte sich einfach nur im Erdreich verkriechen können.
"Ich könnte dir den ...", er stockte und schien große Mühe damit zu haben seinen Zorn zu bändigen. Wieder schüttelte er fassungslos den Kopf und starrte sie an, als wäre sie eine absolute Todsünde. Dann plötzlich kam er rasch zu ihr. Marian hatte in diesem Moment wirklich Angst vor ihm. Ein Wimmern entfloh ihr, als er sie an beiden Oberarmen packte.
"Du bist die schlimmste Frau, der ich jemals begegnet bin", hörte sie ihn Knurren und im nächsten Augenblick wurde sie auf die Füße gezogen und landete in seiner innigen Umarmung. Ein Keuchen entwich ihr, da sie für einen kurzen Moment glaubte, er würde ihr die Luft abschnüren. Doch schnell lockerte sich sein Griff wieder und er überhäufte ihr kurz geschnittenes Haar mit lauter Küsse. Die Sorge um sie, hatte seinen Zorn besiegt. Ein Schluchzen entfloh ihr und sie konnte ihre Tränen nicht aufhalten, während sie seine Umarmung erwiderte.
"Glaube nicht, dass ich dich dafür nicht bestrafen werde", raunte er ihr bedrohlich zu, während er ihr sanft über den Rücken streichelte.
"Es tut mir leid, aber ich ...".
"Kein aber, ich werde dir so den Hintern versohlen, dass du Tagelang nicht mehr sitzen kannst".
Marian erschauderte und vergrub ihr verweintes Gesicht in seiner Halsbeuge.
"Aber Ragnar ich ...".
"Ich sagte kein Aber".
"Nun lass mich dir doch erklären", meinte sie und sah ihn schniefend an.
"Ich will nichts von deinen Ausreden hören", schnaufte er.
"Aber die Stimme ...".
"Schweig", brummte Ragnar und besah sich voller Trauer ihr kurzes Haar.
"Sie werden nachwachsen", versuchte sie ihn zu beschwichtigen und wischte ihre Tränen hinfort. Was auch immer Ragnar darauf geantwortet hatte, sie blendete es aus, da sie bemerkte, dass die umstehenden sie anstarrten. Dann blieb ihr Blick an ihrem Vater hängen. Er stand Rücken an Rücken mit Lucian, der ihm offenbar zur Hilfe gekommen war, da die Gegner von vorhin allesamt erschlagen am Boden lagen. Schwer atmend sah Henry seiner Tochter entgegen und schien nicht so recht glauben zu können, dass sie es wirklich war.
"Papa", krächzte sie und löste sich ruckartig von ihrem Mann.
"Marian? Bist das wirklich du?", fragte Henry. Sie nickte und rannte schluchzend auf ihn zu. Sie fürchtete wirklich, er würde vor ihr zurückweichen und sie Ablehnen. Doch zu ihrer großen Freude breitete er seine Arme aus und hieß sie Willkommen. Marian konnte kaum an sich halten, ihre Tränen wollten einfach nicht versiegen. Viel zu viele Gefühle tobten im selben Moment in ihr und es machte sie ganz schwindelig.
"Ich störe dieses Wiedersehen nur ungern, aber wir sind hier mitten in einer Schlacht und den Gesichtern unserer Feinde nach, haben sie Marian gerade erkannt", meinte Lucian. Erschrocken sah sich Marian daraufhin um und tatsächlich näherten sich nun einige ihrer Feinde.
"Rückt das Weib raus", rief einer von ihnen.
"Wir brauchen ihr Blut", rief ein anderer und es wurden immer mehr. Marian und ihr Vater zuckten gleichzeitig zusammen, als neben ihnen ein mächtiges Knurren ertönte. Im nächsten Moment wurde Marian ihrem Vater entrissen und landete in den Armen ihres Mannes.
"Bildet einen Schutzwall", brüllte Ragnar und sein Ruf hallte durch die Massen. Nun ging alles erstaunlich schnell. Henry machte ganz große Augen als zahlreiche Krieger aus allen Richtungen herbeieilten und einen schützenden Kreis um sie bildeten. Kein Angriff, so hart er auch war, konnte diesen durchbrechen und für einen kurzen Moment waren sie sicher. Doch selbst Henry erkannte, dass die Ragan den Kreis nicht ewig würden halten können. Missbilligend sah er zu Ragnar, der seine Tochter in den Armen hielt. Es widerte ihn an. Doch er wusste, im Moment konnte nur Ragnar ihre Sicherheit garantieren.
"Wehe, ihr passiert etwas", drohte er.
"Wenn, dann dürft ihr mich töten", versicherte Ragnar ihm, nahm Marian an die Hand und rannte dann mit ihr los. Verblüfft stolperte sie ihm hinterher und sah ihrem Vater zusammen mit Lucian in der Menge verschwinden. Nur der schützende Kreis der Ragan folgte ihnen und blockte jeglichen Angriff von Außerhalb ab. So erreichten sie unbeschadet die Stute, mit der Marian gekommen war und die Nervös in der Menge tänzelte. Geschickt brachte Ragnar das Tier zur Ruhe, ehe er Marian in den Sattel hob. Noch während er sich hinter ihr niederließ, stoben die Ragan auseinander. Erschrocken klammerte sich Marian an ihrem Mann fest, als er der Stute die Sporen gab und sie davon preschten. Marian konnte kaum Atmen, da ihr der schnelle ritt den Wind wuchtig in das Gesicht blies. Ragnar kannte kein Erbarmen und trieb die Stute immer weiter und schneller voran. Erleichterung überkam Marian, als es ihnen gelang, die Massen zu verlassen und sie das Schlachtfeld viele Meter hinter sich ließen. Ragnar warf einen Blick zurück und fluchte. Marian folgte seinem Blick und erkannte, dass man ihnen folgte. Zwei Krieger preschten ihnen zu Pferde hinterher. Ihre Verfolger waren nicht leicht abzuschütteln und hinter einem kleinen Hügel, der ihnen die Sicht auf das ferne Schlachtfeld nahm, brachte Ragnar die Stute zum Stehen.
"Bleib im Sattel. Wenn etwas schiefgeht reitest du davon", befahl er und stieg ab. Marian begriff, dass er vorhatte, gegen die Verfolger zu kämpfen. Angst erfüllte jeden Winkel ihres Körpers.
"Der gehört übrigens dir", meinte Ragnar und reichte ihr den Ring. Froh war Marian, dass Halvdan ihn nicht mehr hatte. Dankbar nahm sie ihn an sich und blickte dann zu den Verfolgern, die nun den Hügel passierten.
"Sei Vorsichtig", bat sie mit zitternder Stimme, als Ragnar sein Schwert zog. Er nickte und gab der Stute einen leichten Klaps, sodass sie einige Meter davon trottete. Mit finsterer Miene stellte er sich nun den Verfolgern in den Weg. Diese stiegen ebenfalls ab und zogen ihre Schwerter.
"Gebt uns das Weib", verlangte einer von ihnen.
"Was ich dir geben werde, ist lediglich der Tod", erwiderte Ragnar.
"Ha, dann kommt und versucht es", spottete der Mann. Blitzschnell preschte Ragnar daraufhin los und begann den Mann mit harten Hieben zu attackieren. Schnell wich diesem das Grinsen aus dem Gesicht und die Panik wurde sichtbar. Sein Begleiter dachte gar nicht daran, ihm gegen Ragnar zu helfen und hechtete stattdessen auf die Stute zu. Doch Ragnar erkannte sein Vorhaben und eilte ihm hinterher. Gefährlich nahe an dem Tier und somit auch an Marian, holte Ragnar den Mann ein, packte ihn von hinten am Hemd und schleuderte ihn einige Meter weit zurück.
"Fasst sie an und euer Tod wird besonders grausam sein", grollte Ragnar. Die beiden Männer fluchten und erkannten ihre Unterlegenheit, weshalb sie ihre Taktik änderten und Ragnar nun gemeinsam angriffen. Marian konnte kaum hinsehen. Der Kampf zog sich einige quälenden Sekunden in die Länge, ehe es Ragnar gelang, den kleineren der beiden mit einem Stich in die Brust zu töten. Der andere Mann beschloss daraufhin, die Flucht zu ergreifen. Ragnar wetzte ihm hinterher und ein Stein, der aus dem Gras herausragte, besiegelte das Schicksal des fliehenden. Dieser stolperte nämlich darüber und flog der Länge nach zu Boden. Ragnar holte ihn ein und bohrte seine Klinge tief in dessen Oberkörper. Kaum war dies geschehen, schwang sich Marian erleichtert aus dem Sattel und eilte ihrem Mann entgegen. Als sie ihn erreichte und in seinen Armen landete, raubte sie sich einen stürmischen Kuss von ihm. Sofort presste Ragnar sie enger an sich und erwiderte diesen mit einer feurigen Inbrunst. Obwohl er wirklich wütend auf sie war, spürte er, wie ihre Anwesenheit und ihre köstliche Süße ihm neue Kräfte verliehen. Schwer atmend, lösten sie sich voneinander.
"Ragnar ich ...", begann Marian, doch er unterbrach sie mit einem bösen Knurren.
"Denk nicht, dass damit alles vergessen ist", grollte er und zog sie zur Stute zurück. Marian schluckte schwer und hielt es für besser, lieber den Mund zu halten. Eines war sicher, wenn sie das hier überlebten, würde es noch ein gewaltiges Donnerwetter von ihrem Mann geben.
"Was tun wir jetzt?" fragte Marian, als Ragnar sie wieder in den Sattel hob aber keine Anstalten machte, ebenfalls aufzusteigen.
"Ich werde auf dem Schlachtfeld gebraucht. Was dich betrifft, du reitest gefälligst fort von hier. Umso weiter weg, umso besser. Östlich des Waldes an einer gut versteckten Bucht liegen meine Schiffe vor Anker. Geh dort hin und warte auf meine Rückkehr", sagte er. Marian wollte sich ungern von Ragnar trennen. Doch sie spürte, dass sie ihren Weg zur Höhle fortsetzten musste und wenn ihr Mann bei ihr blieb, würde er dies nicht erlauben. Daher blieb ihr keine andere Wahl, als ihn anzulügen und ihm zu versichern, dass sie Gehorchen und die Schiffe aufsuchen würde. Dies stimmte Ragnar zufrieden und noch bevor Marian irgendetwas tun oder sagen konnte, gab er der Stute einen wuchtigen Klaps. Das Tier wieherte und Galoppierte mit seiner Frau davon.


Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt