Kapitel 23

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Marian war nicht erfreut, dass ausgerechnet Eydis ihr und Ashildr ein Frühstück brachte. Ihr Blick war genauso kalt wie gestern. Der Hass so enorm, dass er nicht mit Worte zu beschreiben war. Doch diesmal erwiderte Marian diesen Blick mit derselben Abneigung. Ashildr bemerkte die dicke Luft zwischen den beiden und seufzte schwer. Rasch schickte sie Eydis hinfort und vertilgte mit Marian das Frühstück.
"Wie wäre es, wenn ich euch die Burg zeige?", fragte Ashildr nachdem sie fertig waren. Marian wollte ablehnen, wurde sich dann aber bewusst, dass sie sich nicht ewig hier vor der Außenwelt verstecken konnte. Die Menschen und das Land kennenzulernen, würde ihr vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt eine Hilfe sein. Daher stimmte sie dem Vorschlag zu. Als sie kurz darauf den Gang betraten, zeigte Ashildr zu den ganzen Türen und erklärte ihr, dass dies die Räume der engsten Vertrauen waren. Mit großem Stolz berichtete sie, dass sie eine von ihnen sei. Genau wie Lucian, der ihnen gerade entgegenkam.
"Einen wunderschönen guten Morgen", trällerte er fröhlich. Ashildr erwiderte den Gruß, doch Marian hüllte sich in Schweigen. Sie wusste nicht, was sie von dem rothaarigen halten sollte. Sie ahnte, dass in ihm eine richtige Bestie lauerte und doch schien er meistens den Schalk im Nacken sitzen zu haben. Wie waren er und Ragnar wohl Freunde geworden? Nachdem Lucian hinter der Tür, nicht unweit der des Wohnraumes verschwunden war, fragte Marian voller Neugier, wie lange die beiden Männer sich schon kannten.
"Sie kennen sich nun seit zwanzig Jahren. Damals führten die Svenssons und die Throstssons einen bitteren Krieg miteinander. Thorir schlug sich auf die Seite der ersteren. Auf dem Schlachtfeld fand er Lucian. Damals war er erst fünf Jahre alt gewesen, doch er hatte gemeinsam mit seinen Eltern gekämpft. Nur er überlebte und weinte neben den leblosen Körpern seiner Eltern. Da sich niemand dem Kind annehmen wollte, brachte Thorir ihn mit nachhause. Dort freundete er sich mit Ragnar an", erzählte Ashildr und es warf Marian viele weitere Fragen auf.
"Wer genau ist Thorir?".
"Der Vater von Ragnar. Er verstarb vor einigen Jahren".
"Das tut mir leid, zu hören. Aber wer sind die Svenssons und die Throstssons?".
"Zwei Sippen, die im Landesinneren leben. Erstere sind mit uns befreundet, letztere sollten sich lieber nicht im Gebiet der Ragan blicken lassen", erklärte Ashildr. Marian nickte verstehend und versuchte sich Lucian und Ragnar als Kinder vorzustellen. Es wollte ihr nicht gelingen. Doch sie war sich sicher, dass Ragnar ein richtig süßer Fratz gewesen war. Ein Schmunzeln stahl sich auf ihre Lippen. Doch dann schaute sie betrübt, als sie an Lucian dachte. Er hatte wirklich großes Glück gehabt, dass die Ragan ihn aufgenommen hatten. Als sie kurz darauf den großen Bereich am Eingang betraten, sah Marian einige Frauen, die fleißig umherhuschten. Sie warfen ihr viele neugierige Blicke zu, schienen es aber nicht zu wagen, sich ihr zu nähern. Neben der großen Haupttreppe, von der sie gerade gekommen waren, gab es noch zwei weitere. Ashildr zeigte zu der, die sich links von ihnen befand.
"Diese führt in den Wohnbereich der Dienerschaft. Sie alle arbeiten gerne hier, denn es ist eine große Ehre. Wer es geschafft hat, sich hier frei bewegen zu dürfen, genießt das Vertrauen des Oberhauptes", erklärte Ashildr. Es beruhigte Marian zu wissen, dass sie innerhalb der Burg nur auf Menschen traf, denen Ragnar vertraute. Ashildr zeigte nun zu der rechten Treppe.
"Manchmal bekommen wir Besuch von den Svenssons oder anderen befreundeten Sippen, diese werden dann dort untergebracht", erklärte sie. Marian nickte und versuchte sich alles zu merken. Ashildr zeigte nun zu einem großen offenen Durchgang im Gemäuer, hinter dem eine Treppe in die Tiefe hinab führte.
"Dort unten sind die Waffenkammern, wo nur die Männer zutritt haben. Auch die Zellen für die Gefangenen sind dort, sowie die Schatzkammer. Letztere darfst du sehen, sobald du die Frau von Ragnar geworden bist, denn nur die Familie des Oberhauptes hat dort Zutritt. Aber im Moment dürfen wir sowieso nicht darunter. In den Zellen sitzt ein Gefangener, dem niemand zu nahe kommen darf", erzählte Ashildr.
"Was genau hat er denn getan?".
"Er ist ein Spitzel von Hegvaldr. Er schlich sich in unser Gebiet und versuchte Fjorleif zu töten. Wir verwahrten ihn, bis zu Ragnars Rückkehr. Er wird entscheiden, was mit ihm passieren wird", antwortete Ashildr. Marian war froh, dass Fjorleif nichts geschehen war, wenn auch diese Frau sie nervte. Sicher war sie sich, dass Ragnar diesen Mann töten wird.
"Wer genau ist Hegvaldr?", wollte Marian wissen.
"Der Vater von Halvdan. Den hast du ja bereits kennengelernt", antwortete Ashildr und Marian zog eine angewiderte Grimasse. Wenn der Vater wie der Sohn war, dann hoffte sie, diesem Mann niemals begegnen zu müssen. Ashildr führte sie nun nach draußen auf den großen Burgplatz. Dort waren einige Krieger, die mit ihrem Schwert trainierten oder das Werfen mit Äxten. Sie machten Marian Angst, doch da Ashildr entspannt blieb, beruhigte sie sich schnell. Einige sahen neugierig zu ihnen, doch keiner kam näher. Marian ahnte, dass dies an Ragnar lag. Ihr Titel als seine baldige Frau war wie eine Schutzmauer. Ashildr lief mit ihr einige Meter und zeigte die nahe Umgebung. Doch sie verließ nicht die Grenze des Burgplatzes.
"Es tut mir leid das sagen zu müssen, doch ohne bewaffnete Begleitung wäre dies zu gefährlich. Es kommt immer wieder vor, dass sich Feinde einschleichen", erklärte Ashildr ihr.
"Schon gut, ich habe sowieso nicht vor, alleine dort hinauszugehen", erwiderte Marian.
"Oh, es scheint mir, dass deine Folter nun beginnt", nuschelte Ashildr und verwirrt folgte Marian ihrem Blick. Sie sah Fjorleif, die hocherhobenen Hauptes zu ihnen kam.
"Komm mit mir, nun werde ich dich in meine Obhut nehmen. Heute beginne ich damit, dich das Nähen zu lehren", sagte sie und Marian fluchte innerlich. Lieber wäre sie nackt in einen eisigen See gesprungen, als ihre Zeit mit der Kratzbürste zu verbringen. Doch sie hatte keine Wahl und sah, wie Ashildr ihr einen mitleidigen Blick zuwarf.
"Wir sehen uns später", sagte sie und Marian erkannte, dass sie sich darauf freute. Sie mochte Ashildr.

Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt