Kapitel 37

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Als der Abend hereinbrach, wartete Marian auf Ragnar. Ihre Gedanken drehten sich dabei um Fifilla und sie fragte sich, was mit ihr passiert war. Sollte sie wirklich Tod sein, so hoffte sie, dass sie nicht viel hatte leiden müssen. Würde man jemals erfahren, welches Schicksal sie ereilt hatte?
Mit einem schweren Seufzen bereitete sie das Bett vor und schämte sich, dass sie einst die Schuld für das, was ihrem Land passiert war, auf Ragnar geschoben hatte. Natürlich war er nicht ganz unschuldig, aber er hatte nie seine Hand gegen einen ihrer Leute erhoben. Er hatte es sogar geduldet, dass sie und Rawena die Gefangenen verarzteten.
In ihm mag zwar, wie er bewiesen hatte, ein Monster schlummern, doch es handelte in ihren Augen nicht ungerecht. Rasch löste sie sich aus diesen Gedanken, als Ragnar eintrat. Sie erkannte sofort, wie erschöpft er war.
Marian war sich ziemlich sicher, dass er seit seinem Aufbruch mit dem Heer, nicht mehr geschlafen hatte. Daher schlug sie seine gierigen Hände von sich und schubste ihn in das Bett hinein. Überrascht sah er sie an, als sie begann, ihn zu entkleiden.
"Lass deine Finger brav bei dir. Heute Nacht wirst du nichts anderes tun als zu schlafen. Denke nicht einmal daran, etwas anderes zu wollen", schimpfte sie und er grinste, als sie ihn zudeckte und ihm einen Kuss auf die Stirn hauchte. Kurz darauf war er eingeschlafen.

Als Marian am nächsten Morgen erwachte, schlief Ragnar noch immer. Sie beobachtete ihn eine Zeitlang, ehe sie aus dem Bett stieg, sich erfrischte und so leise wie möglich aus dem Zimmer schlich. Wie sie, auf dem Weg zum Speisesaal bemerkte, war es in der Burg erstaunlich ruhig.
Nur die Frauen waren schon auf den Beinen, während die Männer noch immer in ihren Betten lagen und die Stunden ohne Schlaf nachholten. Als Marian den Speisesaal betrat, entdeckte sie dort Fjorleif und Ashildr.
"Ich nehme an, Ragnar schläft noch?", fragte die Ältere, als sich Marian zu ihnen setzte.
"Ja, schon seit dem gestrigen Abend", antwortete sie.
"Auch er, brauch mal eine Pause", seufzte Fjorleif. Marian stimmte ihr nickend zu und sah zu den drei Frauen, die nun herbeieilten und ihnen den Tisch eindeckten. Kurz wunderte sich Marian, warum sie ein anderes Gericht als ihre Begleiterinnen bekam, störte sich aber nicht länger daran und tilgte ihren Hunger.
"Marian, du warst noch nie in der Stadt gewesen, oder? Denkst du nicht, es wird langsam mal Zeit? Das Volk kann es kaum erwarten, dich mal aus der Nähe zu sehen. Meistens konnten sie dich nur aus der Ferne erspähen", meinte Fjorleif.
"Mir kam nie der Gedanke, aber du hast recht", sagte Marian und fühlte sich dazu bereit, sich dem restlichen Clan der Ragan zu stellen.
"Sehr gut, am besten brechen wir nachdem Essen auf".
"Sollten wir nicht warten, bis Ragnar erwacht ist?".
"Ach, lass ihn schlafen. Hegvaldr ist vermutlich weit, weit weg und keine Gefahr mehr. Wir brauchen keine Bewachung", winkte Fjorleif ab.
"Damit bin ich nicht einverstanden", meinte Marian und erinnerte sich nur zu deutlich daran, was beim letzten Mal geschehen war, als sie auf Fjorleif gehört hatte.
"Sie hat recht. Ragnar würde dies nicht wollen", sagte Ashildr.
Fjorleif seufzte und sah ein, dass sie auf die beiden hören sollte. Vermutlich würde ihr Sohn wieder ein riesiges Theater veranstalten, wenn sie ohne bewaffnete Begleitung in die Stadt gingen. Daher beschlossen sie, zu warten und beendeten das Frühstück.
"Wie wäre es, wenn wir Marian in der Zeit, wo wir warten, das Badehaus zeigen?", fragte Ashildr und Marian horchte auf.
"Das ist eine gute Idee, Ashildr", meinte Fjorleif.
"Ist ein Badehaus das, was ich denke, was es ist?", fragte Marian. Die beiden Frauen grinsten und führten sie aus der Burg. Sie umliefen das steinerne Ungetüm und Marian entdeckte eine kleine Hütte, die direkt an einem ebenso kleinen See lag.
Sie hatte es schon einmal, bei ihren Spaziergängen gesehen, aber bisher nicht gewusst, wofür die Hütte gedacht war.
"Wir Ragan baden in der Regel nicht, in den Zubern, wie du es mit Ragnar genossen hast. Eigentlich ziehen wir es vor, in offenen Gewässern oder in diesen Badehäusern zu baden", erklärte Fjorleif und Marian errötete, als sie an das Bad mit Ragnar dachte. Wie Ashildr ihr zeigte, hatte die Hütte im hinteren Bereich eine Öffnung, die direkt in den See führte. Man konnte direkt von drinnen nach draußen schwimmen.
Aus einem kleinen Schornstein, drang dichter Qualm und als Fjorleif die Tür der Hütte öffnete, wich Marian etwas zurück, als heiße Luft ihr entgegenströmte. Nachdem sie sich daran gewöhnt hatte, sah sie, dass sich im Inneren der Hütte ein großes Becken befand. Das Wasser darin war kochend heiß. Sie begann zu verstehen. Offensichtlich konnte man im Inneren ein heißes Bad genießen und von dort aus in den See schwimmen, um sich abzukühlen.
"Ziemlich viel Platz für einen Einzelnen", meinte Marian, nachdem sie das große Becken genauer betrachtet hatte.
"Das Badehaus ist für alle da", meinte Ashildr.
"Wie meint ihr das?".
"Das jeder der Baden will, dort rein kann".
"Ihr wollt mir sagen, es wird dort zusammen gebadet?".
Ashildr und Fjorleif nickten.
"Männer und Frauen?".
Wieder nickten die beiden und Marian keuchte.
"Hat Ragnar das auch getan?".
"Natürlich".
"Er hat Nackt mit anderen Frauen gebadet?", schrie Marian voller entsetzen.
"Das kam durchaus vor".
"Will er, dass ich ihn umbringe?", keifte Marian und die beiden lachten amüsiert auf.
"Das ist für uns Ragan etwas ganz Normales".
"Für mich aber nicht", grummelte Marian und es wurde ihr ganz Schlecht. Sie begann zu schwanken und die Welt um sie herum drehte sich immer schneller.
"Oje, bist du sehr geschockt?", fragte Ashildr.
"Mir ist ganz schlecht", keuchte Marian und im nächsten Moment erbrach sie sich. Nachdem sie alles herausgelassen hatte, was ihr möglich war, brach sie in die Knie und hielt sich ihren Bauch. Sie spürte, wie ihr innerstes Schmerzte, es wurde immer schlimmer.
"Marian?", fragte Fjorleif erschrocken.
"Irgendwas stimmt nicht", keuchte Marian und im nächsten Moment sackte sie bewusstlos zur Seite.

Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt