Zusammen mit dem ersten Licht des neuen Tages, setzten Ragnar und seine Begleiter ihren Weg fort. Auf die immer noch scheuenden Pferde mussten sie verzichten. Ein langer Marsch zu Fuß lag vor ihnen. Recht schnell bemerkte Ragnar, dass es weit und breit kein Getier gab. Selbst die Insekten schienen dieses Gebiet zu meiden.
Er ahnte, dass sie mit jedem Schritt auf eine Gefahr zuliefen, doch wie immer war er bereit sich dieser zu stellen. Schließlich, es war früher Mittag geworden, entdeckte er zwei Bäume, die so gewachsen waren, dass sie sich Umarmten. Die Höhle, nach der sie suchten, war auf der Karte mit genau diesen Bäumen aufgezeichnet.
"Der Eingang sollte hier irgendwo sein", meinte er und alle begannen zu suchen.
"So ein Höhleneingang sollte doch gut zu sehen sein, oder nicht?", fragte Lucian und als er sich den beiden Bäumen näherte, verschwand er plötzlich und sein Schrei hallte weit. Rasch eilten alle zu der Stelle, wo sie ihn zuletzt gesehen hatten. Bei den Bäumen war ein riesiges Loch im Boden. Sie konnten den Grund sehen, wo sich Lucian gerade fluchend aufrichtete.
"Sieht aus, aus hätte ich den Eingang gefunden. Hier unten geht ein Gang weiter", rief er empor und sogleich schnürte Halvar ein Seil an einem nahen Baum fest und warf es in das Loch. Nach und nach stiegen sie daran hinab.
"Wusste gar nicht, dass du wie ein Weib schreien kannst", ärgerte Ragnar seinen Freund, als er als Letztes unten ankam. Lucian grummelte ihn unverständlich an, während Halvar damit begann, die Fackeln zu entzünden und an jedem eine verteilte.
"Seid vorsichtig, wir wissen nicht, was uns hier unten erwarten wird", warnte Ragnar und sie liefen los. Das Licht der Fackeln warf unheimliche Schatten an die Höhlenwände und sie liefen mehrere Minuten lang nur gerade aus. Ragnar bemerkte jedoch, dass es dabei stets kaum merklich bergab ging und er fragte sich, wie weit sie wohl schon unter der Erde waren. Der Gang begann sich schließlich zu verändern, die Decke wurde so niedrig, dass sie geduckt laufen mussten. So ging es weitere unzählige Minuten, ehe sie endlich wieder aufrecht gehen konnten. Ragnar versuchte es positiv zu sehen, da es nur vorwärtsging, würden sie keine Probleme haben den Ausgang wiederzufinden. Alle erschraken als Lucian einen Gruß ausrief und dies als Echo zu ihnen zurückkehrte.
"Wie geht es dir?", rief der Rothaarige fröhlich. Ragnar zweifelte ein wenig an dessen Verstand, als das Echo mit der gleichen Frage zurückkehrte und er antwortete, dass es ihm gut ginge. Die Männer von Halvdan tuschelten, dass er völlig bekloppt sei.
"Ein wenig Spaß muss sein", rechtfertigte Lucian sich und im nächsten Moment stoppte Ragnar, der an vorderster Front lief, ruckartig die Gruppe, als sich vor ihnen ein finsterer Abgrund auftat. Prüfend kickte er einen kleinen Stein hinab, doch obwohl sie mehrere Sekunden lauschten, war kein Aufschlag zu hören. Ein Sturz wäre somit ohne Zweifel tödlich.
"Ich wette, irgendwo da unten liegt das Gold", meinte Halvar.
"Das werden wir bald herausfinden", murmelte Ragnar und schwenkte seine Fackel zu allen Seiten. Schließlich entdeckte er einen schmalen Pfad, der nach unten führte.
"Seid vorsichtig", mahnte Ragnar, als sie den Abstieg begannen. Doch kaum hatte er es ausgesprochen, rutschte einer von Halvdans Männern ab und stürzte in die Tiefe. Die Finsternis verschluckte ihn und es dauerte lange, bis sein Todesschrei verstummte.
"Das ist Scheiße gelaufen, aber um den ist es nicht sonderlich tragisch", entfuhr es Lucian. Die Männer von Halvdan warfen ihm einen erbosten Blick zu.
"Ruhe jetzt, konzentriert euch", mahnte Ragnar und sie wussten nicht, wie lange der Abstieg dauerte. Die Zeit schien hier unten Still zu stehen. Der Pfad war so eng, dass sie sich mit den Rücken an die Wand pressen mussten. Doch dann endlich erreichten sie den Grund und fanden einen schmalen Durchgang. Sie hatten keine andere Wahl als ihn zu nehmen, sonst blieb ihnen nur der Rückweg. Wieder mussten sie, mit dem Rücken an der Wand, seitlich vorwärtslaufen. Doch es schien immer enger zu werden.
"Ich sollte aufhören so viel zu essen", brummte Halvar als er seinen Bauch einziehen musste. Die Luft wurde immer stickiger und Ragnar stand kurz davor, die Erforschung der Höhle abzubrechen. Doch dann hörten sie plötzlich das Rauschen von Wasser. Das Ende des Pfades lockte mit einem bläulich schimmernden Licht. Einer nach dem anderen verließ den Pfad und sie fanden sich in einer gewaltigen Höhle wieder. In der Mitte war ein kleiner See, von dem das unnatürlich bläuliche Schimmern ausging. Die Decken waren so hoch, dass sie diese nicht erspähen konnten. Während die Gruppe auf das Wasser zueilte, hatte Ragnar sofort das Gefühl beobachtet zu werden. Er rümpfte seine Nase und der widerwärtige Geruch, den er wahrnahm war eindeutig der von Verwesung. Ein Knacken unter seinen Füßen ließ ihn innehalten und als er hinab sah, erkannte er, dass überall Knochen von irgendwelchen Kleintieren herumlagen. Sah ganz so aus, als würde etwas Hungriges hier unten Hausen.
"Gold, da ist überall Gold", riefen die Männer von Halvdan und stürzten in den See. Ragnar traute seinen Augen kaum. Auf dem Grund des Sees lag tatsächlich massig Gold. Die Männer freuten sich wie Kleinkinder und begannen sofort die mitgebrachten Säcke damit zu befüllen. Doch das Gold war schwer, alles würden sie beim ersten Mal nicht mitnehmen können. Ragnar verharrte am Ufer und sah sich wachsam um. Er spürte, dass etwas in der Finsternis lauerte. Als Lucian zu ihm kam, machte er deutlich, dass er es ebenfalls bemerkt hatte. Rasch sahen beide empor, als sie glaubten ein grollen zu hören. Doch sie konnten nichts sehen. Nachdem sie so viel eingepackt hatten, wie sie tragen konnten, kamen die Männer zum Ufer. Es fiel ihnen sichtlich schwer, das restliche Gold hierzulassen, doch sie wussten, sie würden es ein andern Mal holen und deutlich mehr Hände zum Tragen dabei haben. Ragnar winkte Halvar zu sich, als sie sich auf den Weg zum schmalen Durchgang machten. Dieser schien die Gefahr auch zu spüren und offensichtlich waren die Männer von Halvdan die einzigen, die vor Gier nach dem Gold gar nichts mehr mitbekamen.
Das änderte sich rasch als der erste den Durchgang erreichte. Was auch immer in der Höhle lauerte, schien sie nicht mit dem Gold gehen lassen zu wollen. Aus den Augenwinkeln nahm Ragnar einen Schatten wahr, doch es war zu spät, um den Mann an vorderster Front zu warnen. Mit einem Ohrenbetäubenden Kreischen, stürzte ein geflügeltes Ungeheuer hinab, packte sich den Mann mit seinen gewaltigen Klauen und entschwand mit ihm in die Finsternis empor. Ragnar konnte kaum glauben, was er da gerade gesehen hatte. Die Kreatur war um einige Köpfe größer als er und die anderen. Der kräftige, mit Muskeln bepackte Körper hatte etwas Menschliches, aber die Haut war Schwarz und ledrig. Die gewaltigen Flügel hatten leicht rötlich geschimmert und die Hände und Füße waren tödliche Klauen. Das schlimmste war das Gesicht gewesen. Es hatte ihn an eine Fledermaus erinnert.
Alle blickten aufgeschreckt nach oben und versuchten etwas zu sehen. Dann, nicht unweit von ihnen, fiel der Mann aus der Dunkelheit hinab und schlug hart auf dem Boden auf. Zu deutlich war das Knacken seiner Knochen zu hören. Es brauchte keine Überprüfung, um zu wissen, dass er Tod war. Lucian und Halvar gesellten sich direkt dicht an Ragnar und alle drei zogen ihre Waffen, während sie hektisch umher sahen. Die beiden Männer von Halvdan jedoch, versuchten in Panik, mit dem Gold zu fliehen. Das Gefiel dem Ungeheuer nicht und sein kreischen hallte wieder durch die Höhle. Dann fegte es zu ihnen hinab und Ragnar konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken, als es über ihn hinwegflog. Im nächsten Moment war jedoch Lucian zu hören. Die Kreatur hatte ihn ergriffen und ließ ihn, genau wie den Mann zuvor, aus großer Höhe hinabfallen. Doch er hatte mehr Glück wie der andere und überlebte den Sturz. Halvar und Ragnar zögerten nicht lange und nahmen Lucian, der einige Prellungen, aber wohl keine Brüche hatte, schützend in ihre Mitte. Wieder sauste das Monster zu ihnen hinab, doch diesmal landete es am Boden und ging fauchend mit seinen Klauen auf die beiden Männer von Halvdan los. Einem von ihnen gelang die Flucht durch den Durchgang, der andere wurde wortwörtlich in zwei Hälften gerissen. Sein Blut benetzte die Haut der Kreatur und es schien sie nur noch Mordlustiger zu machen. Düster grollend preschte es nun auf Ragnar und die anderen zu.
"Bring Lucian hier raus", befahl Ragnar und ging mit seinem Schwert auf das Ungeheuer los. Schnell und geschickt wich er den tödlichen Klauen aus und verschaffte Halvar genug Zeit, um Lucian zum Durchgang zu bringen. Allerdings musste Ragnar schockiert erkennen, dass sein Schwert an der Haut des Ungeheuers abprallte. Es schien unverwundbar zu sein und er erkannte, dass dies kein Gegner war, den er besiegen konnte. Doch für eine Flucht war es zu spät, ein kleiner unachtsamer Moment und das Ungetüm schleuderte ihn von den Füßen. Ragnar flog einige Meter weit und landete auf einem der Säcke, die voller Gold waren. Durch den Aufprall platzten die Nähte und die Goldklumpen rieselten hinaus. Und dann geschah ein Wunder. Die Kreatur, die ihm Mordlustig nachgesetzt war, trat auf das Gold und kreischte sogleich vor Schmerz auf. Dort, wo das Gold es berührt hatte, rauchte die Haut und erlitt schwere Verätzungen. Ragnar wusste sich dies nicht zu erklären, erkannte aber seine Chance. Rasch füllte er seine Hände mit dem Gold und bewarf das Monster damit. Es kreischte nur noch mehr und wand sich unter Schmerzen. Recht schnell roch es nach seinem verbrannten Fleisch. Das Ungetüm brach qualmend und sterbend zusammen, als Halvar zurückkehrte und es ebenfalls mit dem Gold bewarf. Keuchend kämpfte sich Ragnar mit der Hilfe von Halvar auf die Füße und musterte die tote Kreatur. Solch eine Spezies hatte er noch nie zuvor gesehen und es war sonderbar, dass nur Gold es töten konnte. Es schien, als würde alles zusammenhängen und er fragte sich, ob an den Worten von Henry doch ein Funken von Wahrheit gesteckt hatte.
"Lasst uns so schnell wie möglich von hier verschwinden", meinte er, holte sein Schwert, das er beim Sturz verloren hatte und schlug der Kreatur den Kopf ab. Nun wo es Tod war, durchschnitt die Klinge dessen Körper ohne Probleme.Rawena schielte mit großer Sorge zwischen Halvdan und ihrer Herrin umher. Alle hatten den Lärm am gestrigen Abend vernommen und das Kinn von Marian war noch dicker und blauer geworden. Halvdan schien sich nicht daran zu erinnern, dass er daran die Schuld trug. Mit einem Grinsen versperrte er den beiden am späten Mittag den Weg zu den unterirdischen Verliesen und fragte höhnisch, wer Marian eine Kriegsbemalung verpasst hatte.
Marian, die sich mit der Hilfe von Liane ein neues Kleid besorgt hatte, war sich bewusst geworden, dass der Ragan Clan über sie wachte, während Ragnar nicht anwesend war. Daher zeigte sie vor Halvdan keine Furcht und verlangte, dass er ihr und Rawena den Weg frei machen sollte.
"Das kannst du Knicken", zischte er.
"Wir haben die Erlaubnis des Ragan Clans", meine Rawena etwas kleinlaut und versteckte sich hinter ihrer Herrin als Halvdan ihr einen spottenden Blick schenkte.
"Ragnar ist nicht hier, sein Clan hat gar nichts zu erlauben", fauchte er und machte deutlich, dass er ihnen den Zugang zu den Verliesen verweigerte. So sehr sie es auch versuchten, sie kamen nicht an ihm vorbei. Enttäuscht mussten sie aufgeben.
"Seid nicht traurig, wenn Ragnar zurück ist, werde ich ihn erneut um Erlaubnis bitten", meinte Rawena und Marian hoffte einfach nur, dass dieser bis dahin seine Meinung nicht geändert hatte.

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Der Ragan Clan (1)
RomanceWährend Marian Callahan von einer körperlosen Stimme gepeinigt wird, muss sie gleichzeitig miterleben, wie boshafte Krieger in ihrer Heimat einfallen und diese an sich reißen. Schneller als ihr Lieb ist, erhebt der Anführer des Ragan Clans seinen An...