Kapitel 53

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Der Abend war schon weit fortgeschritten, als sich die beiden Liebenden von ihrer Zweisamkeit lösten und der Bitte von Lord Huxley, mit ihm zum Abend zu essen, folge leisteten. Ragnar war von dem prächtig gedeckten Tisch beeindruckt und die vielen ihm unbekannten Speisen ließen seinen Magen lauthals knurren. Marian nahm dies mit einem Lächeln wahr und füllte seinen Teller. Nachdem sie dies getan hatte, begann auch sie zu Essen und seine Mundwinkel zuckten leicht, da ihr dabei jegliche Manieren verloren gegangen zu sein schienen.
Erst nachdem Marian ihren gröbsten Hunger gestillt hatte, zügelte sie ihren Ansturm und nahm die nächsten Happen etwas ruhiger ein. Doch als sie bemerkte, wie sich die beiden Männer immer wieder einen prüfenden und auch strengen Blick zuwarfen, verging ihr jeglicher Appetit. Sie rief sich in Erinnerung, dass Huxley noch nicht die ganze Wahrheit kannte und dass die Gefahr, er könnte Ragnar doch noch zum Feind erklären, sehr Real war.
Mit gerunzelter Stirn überlegte sie, wie sie dem drolligen Lord möglichst schonend erklären sollte, dass ihr Mann eine gewisse Mitschuld an dem trug, was in ihren Landen geschehen war. Doch egal wie sie sich die Sätze auch zusammenlegte, nichts wollte in ihrem Kopf gut klingen. Schwer schluckte sie, als Huxley seinen Teller davon schob und sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Ihr war klar, dass er nun eine Erklärung wollte.
"Nun gut, ich kann meine Neugier kaum noch Zügeln. Es wird Zeit, dass ihr mir Antworten gebt. Wie genau kam es dazu, dass ihr meinen Sonnenschein geheiratet habt und wer genau seid ihr eigentlich?", brach der Alte nun das schweigen und fixierte Ragnar. Marian öffnete rasch ihren Mund, doch noch bevor sie etwas sagen konnte, kam ihr Ragnar zuvor. Das entsetzen packte sie, als er dem Älteren sehr ausführlich die Sachlage zu erklären begann.
Er nahm kein Blatt vor den Mund und zog es ohne Scheu vor, bei der Wahrheit zu bleiben. Marian bewunderte ihn dafür, aber dennoch war sie sich sicher, dass dies sein Untergang bedeuten konnte. Panisch sah sie zu dem Älteren, der sich alles aufmerksam anhörte. Seine Mimik wechselte dabei stetig. Zuerst wirkte er sehr entsetzt und dann sehr wütend. All das wandelte sich zur sichtlichen Überraschung, die schließlich zur Verwirrung wurde. Seine Nasenflügel blähten sich und mit seinen Fingern trommelte er unablässig auf die Tischplatte ein. Kurz sah es so aus, als wollte Huxley sich auf Ragnar stürzen. Doch er blieb zu Marians Überraschung ruhig und nachdem ihr Mann mit seiner Erzählung endete, schloss Huxley seine Augen und seufzte schwer. Seine Stirn legte sich dabei in tiefe Falten. Er brauchte nun einige Augenblicke um das gehörte zu verdauen und weder Marian noch Ragnar, sprachen ihn in diesen Sekunden an. Schließlich gab sich Huxley einen sichtbaren Ruck. Marian schluckte schwer, als er seine Augen öffnete und sie mit forschenden Blicken fixierte.
"Weiß dein Vater darüber Bescheid?", wollte er wissen.
"Ja. Halvdan erzählte ihm von meiner Ehe und auch, von meiner Schwangerschaft", antwortete Marian und bemerkte sehr wohl, wie ihr Mann neben ihr zusammenzuckte. Das Henry über alles Informiert war, hörte er wohl zum ersten Mal und sie sah, das er minimal erbleicht war.
"Und wie hat er darauf reagiert?", fragte Huxley und genau wie Ragnar, sah er sie nun gespannt an. Marian wich ihren Blicken aus und ihre Hände begannen zu zittern. Die Gabel in ihrer Linken schlug dadurch klirrend gegen den Rand ihres Tellers.
"Nicht sehr gut. Er wollte mich nicht mehr sehen und ich fürchte, dass ich für ihn als Tochter gestorben bin", antwortete sie und blinzelte rasch die aufkommenden Tränen hinfort. Huxley seufzte schwer und schielte dann zu Ragnar, dem ein leiser Fluch entwichen war und der nun seiner Liebsten rasch das Besteck aus den zitternden Händen nahm.
"Henry würde dich niemals verstoßen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob er deinen Mann jemals akzeptieren kann, doch ich weiß genau, dass er dir vergeben wird", sagte Huxley und beobachtete, wie Ragnar die Hände seiner Frau in die seine nahm, was ihr Zittern milderte.
"Was mich betrifft, so werde ich eurem Bündnis nicht im Wege stehen", sagte Huxley und das erleichterte aufatmen von Marian war nicht zu überhören.
"Doch lass mich dich warnen, Ragnar. Wenn du meinen Sonnenschein schlecht behandelst, werde ich dich in mehrere Stücke reißen", drohte Huxley.
"Ich denke nicht, dass ihr mir auch nur ein Haar krümmen könnt, doch ich werde eure Warnung im Kopf behalten. Gleichzeitig versichere ich euch, dass ich euren Sonnenschein liebe und ihr niemals schaden werde", erwiderte Ragnar und der Ältere begann zu grinsen.
"Sehr gut. Nun, da wir diese Sache geklärt haben, wird es Zeit, dass wir darüber reden, wie wir Greenhill von diesem Halvdan und seiner Sippe befreien wollen", schlug der Ältere vor und Marian spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Sie fürchtete den Krieg sehr, doch nun zu Wissen, dass ihr Mann und Huxley, gemeinsam in die Schlacht zogen, milderte ihre Furcht und ließ die Hoffnung auf einen Sieg wachsen. Während die beiden Männer nun an ihren Kriegsplänen tüftelten, dachte Marian über den Ring nach. Sie konnte nur hoffen, dass Havati diesen bereits an sich und aus der Reichweite von Halvdan gebracht hatte. Gleichzeitig kam ihr immer wieder die Höhle in den Sinn. Das Gefühl, dass sie unbedingt dorthin musste, ließ sie einfach nicht los. Die Gedanken an all dies zerstoben im Nichts, als sie hörte, dass Ragnar schon am nächsten Morgen wieder nach Greenhill aufbrechen wollte. Huxley plante, ihm nur wenige Stunden später mit seinem Heer zu folgen. Alles in Marian weigerte sich, die Männer ziehen zu lassen. Doch sie blieb stumm und unternahm nichts, um die Pläne zu ändern. Mit einer lästigen Schwere in ihrem Herzen erhob sie sich und ließ die beiden Männer alleine. Denn sie konnte es nicht ertragen, weiter den Kriegsplänen zu lauschen. Versuchend, sich von all ihren Sorgen nicht niederringen zu lassen, begab sie sich zu Bett, wo der Schlaf jedoch nicht kommen wollte. Zwei lange Stunden, hing sie schweigend ihren Gedanken nach, ehe Ragnar zu ihr kam.
"Warum muss es schon Morgen sein? Wir sind erst seit wenigen Stunden wieder vereint", sagte sie, nachdem er sich endlich neben ihr im Bett niedergelassen und sie sich an ihn gekuschelt hatte.
"Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich wünschte, ich müsste nicht gehen. Aber wir können nicht länger warten. Diese Sache muss endlich geklärt werden. Du bist Schwanger, was den Frieden wichtiger denn je macht. Noch dazu könnte Halvdan jederzeit meiner Leute gewahr werden und wenn das passiert, geht uns ein entscheidender Vorteil flöten. Umso schneller wir diese Schlacht beginnen, umso besser", meinte Ragnar und Marian spürte, wie er ihr sanft über den Bauch streichelte.
"Können wir nicht einfach vor diesem Krieg davonlaufen?", fragte sie.
"Das wäre möglich, doch weder du noch ich, könnten uns überwinden, dies zu tun", sagte Ragnar und Marian nickte mit einem schweren Seufzen. Er hatte recht. Sie waren nicht die einzigen, die von diesem Krieg betroffen waren und lieber würde sie sterben, als ihre Freunde und Vertrauten im Stich zu lassen. Dieser Krieg musste geschehen, denn Halvdan würde niemals nach Frieden streben.
"Dies könnte unser letzter gemeinsamer Moment sein", flüsterte sie und Tränen brannten in ihren Augen. Der Gedanke, dass Ragnar sterben würde, war so furchtbar, dass sie glaubte, zu ersticken.
"Ich werde zu dir zurückkehren. Ich verspreche, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde. Aber sollte ich doch scheitern, wirst du sicher sein. Huxley versprach mir, dass ich mich nicht um dich Sorgen muss", meinte Ragnar und küsste ihre Tränen hinfort.

Fröstelnd zog Marian den braunen Mantel enger um sich und beobachtete unter Tränen, wie sich Ragnar und die drei Männer, die Huxley mit ihm schickte, für den Aufbruch bereit machten. Für Marian waren die letzten Stunden mit Ragnar viel zu schnell vergangen und an Schlaf war nicht zu denken gewesen. Der Abschied von ihrem Mann stand kurz bevor und sie war sich nicht sicher, ob es die Kälte des nebligen Morgens war, oder die Furcht, die gerade ihre Glieder lähmte. Die Pferde, die bereits gesattelt worden waren, schienen die Anspannung zu spüren, denn sie wieherten nervös und tänzelten unruhig umher.
"Passt mir gut auf ihn auf", befahl Huxley seinen Männern, als diese sich in ihre Sättel zogen. Alle drei nickten gehorsam, während Ragnar zu dem Älteren und Marian trat.
"Bitte, lass mich mitgehen", bat letztere nun. Das Gesicht von Ragnar verfinsterte sich und er sah sie an, als hätte sie ihren Verstand verloren.
"Niemals lasse ich zu, dass meine schwangere Frau in ein Kriegsgebiet zieht. Du musst Wahnsinnig sein, mich dies überhaupt zu fragen", entfuhr es ihm und erschrocken wich sie seinem tadelnden Blick aus. Ein Schnauben war von ihm zu hören. Marian flüsterte eine leise Entschuldigung, als sie selbst Huxley meckern hörte und begriff, wie dumm ihre Frage gewesen war.
"Du wirst brav hier bleiben. Hier bist du sicher", sagte Ragnar und schielte zu Huxley, der ihm nun hastig zunickte und ihm letzteres noch einmal ausgiebig versicherte.
"Bitte komm zurück zu mir", bat Marian nun.
"Das werde ich", versprach Ragnar, doch er wusste genauso gut wie sie, dass er dieses Versprechen vielleicht nicht halten konnte. Rasch, um nicht weiter darüber nachzudenken, zog er seine Frau an sich heran und versiegelte ihre Lippen mit einem feurigen Kuss. Huxley trieb dies die röte in die Wangen und die drei Männer auf ihren Pferden, hüstelten übertrieben. Ragnar liebte es zu sehen, wie Marian nach Atem rang, als er sich von ihr löste. Lächelnd streichelte er über ihren Bauch, ehe er sich schließlich ruckartig von ihr abwandte und zu seinem Pferd eilte. Er musste gehen, – Jetzt. Denn er spürte, dass es mit jeder Sekunde schwerer wurde.
"Ich liebe dich", hörte er Marian rufen. Rasch zog er sich in den Sattel und blickte noch einmal zu ihr. Für ein paar lange quälende Sekunden betrachtete er sie.
"Ich liebe dich auch", flüsterte er, ehe er sein Pferd antrieb und es in einem unglaublichen Tempo davon galoppierte. Er hörte Marian nach ihm rufen, doch er sah nicht zurück. Sah nicht, wie Huxley sie festhalten musste, weil sie ihm folgen wollte. Unter Tränen hatte sie keine andere Wahl, als dabei zuzusehen, wie ihr liebster mehr und mehr aus ihrem Sichtfeld entschwand.

Stunden hatte Marian im Bett gelegen und geweint. Erbarmungslos hatte sie sich ihren Ängsten hingegeben und erst als der Nachmittag kam, hatte sie sich dieser Pein entsagt. Nicht mehr länger weinend, aber ein jämmerliches Bild bietend, ging sie nach draußen, wo der Aufbruch des Heeres kurz bevor stand. Diese vielen tapferen Soldaten zu sehen, schenkte ihr neuen Mut und für einen kurzen Moment vergaß sie ihre Verzweiflung. Kurz musste sie sogar schmunzeln, als Huxley zu ihr kam. Er hatte eine Rüstung angelegt, die ganz und gar nicht zu ihm passte. Er wirkte darin noch drolliger als sonst und es war nicht zu übersehen, dass seine Bewegungen erschwert waren. Seine Wangen glühten vor Anstrengung, als er das Visier seines Helmes hob.
"Ich habe diese Rüstung schon lange nicht mehr getragen. Habe sie gar nicht so unbequem in Erinnerung", meinte er.
"Es sieht in der Tat nicht bequem aus, aber es wird euch sicherlich schützen", erwiderte Marian und betrachtete das knallrote Tuch, das die Rüstung an der Hüfte zierte. Wie sie bemerkte, trugen auch die anderen solch ein Tuch. Es war auffällig und nicht zu übersehen.
"Ein abgemachtes Zeichen, damit Ragnar und seine Leute uns auf dem Schlachtfeld nicht mit dem Feind verwechseln", erklärte Huxley rasch, als er ihre fragenden Blicke bemerkte. Marian fand, dass dies eine gute Idee gewesen war und nachdem sie sich von Huxley verabschiedet hatte, setzte sich das Heer in Bewegung. Es war ein unglaublicher Anblick. Sie wusste nicht genau, wie viele es waren, aber sie schätzte mehr als zweihundert Mann. Die Hufen der vielen Pferde wirbelten das Erdreich auf und schnell wurde das entschwindende Heer von einer dichten Sandwolke verschluckt. Wenn alles nach Plan lief, so würde Huxley mit seinen Männern mitten in die bereits laufende Schlacht stürzen und somit für einen gewaltigen Überraschungseffekt sorgen, der Halvdan und sein Pack hoffentlich gut genug erschreckt, um deren Reihen zu schwächen.
"Kommt, lasst uns hineingehen", meinte Magda, die nun zu Marian trat. Gehorsam nickte sie und folgte der Älteren.



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