Drei Tage später hatte man Eydis und das Ei noch immer nicht finden können. Es war, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Dadurch war Ragnar nicht gerade guter Laune und er lief mit einem Gesicht herum, das allen das Fürchten lehrte.
Nur Marian hatte das Glück, dieses Gesicht nicht sehen zu müssen, er kümmerte sich rührend um sie und ließ sie nichts von seiner Wut spüren. Die meiste Zeit über schlief sie jedoch und hatte Mühe, sich wach zuhalten.
Sie brannte darauf, endlich das Bett verlassen zu können, doch Ragnar verbot es ihr. Laut ihm, war ihr Körper noch zu schwach. Als der vierte Tag hereinbrach und kein Ragnar da war, der sie an das Aufstehen hindern konnte, verließ sie das Bett. Ihre ersten Schritte verliefen sehr wackelig und erschreckend schnell war sie aus der Puste.
Doch Marian biss die Zähne zusammen, da sie sich nach frischer Luft sehnte. Obwohl sie sichtlich durch den Gang taumelte und sich immer wieder an den Wänden festhalten musste, hielt keiner, der ihr entgegenkam, sie vom weiterlaufen ab, doch man sah ihr besorgt hinterher. Schließlich erreichte sie die Treppe. Sich zitternd an dem Geländer festhaltend, brachte sie Stufe für Stufe hinter sich.
Der schweiß trat ihr aus allen Poren, weil es ihr eine Menge an Kraft kostete. Sie musste sich eingestehen, dass Ragnar wohl recht gehabt hatte und im Bett zu bleiben, besser für sie gewesen wäre.
"MARIAN", hörte sie Ragnar brüllen und erschrocken sah sie auf. Er hatte gerade die Burg betreten und seine Mimik war bitterböse, als er sie schwächelnd auf der Treppe erblickte. Mit raschen Schritten eilte er auf sie zu.
"Marian, du raubst mir noch jeden Nerv, warum hast du das Bett verlassen?", schimpfe er, während er rasch die Stufen zu ihr erklomm. Bevor sie ihm Antworten konnte, gaben ihre Beine nach und sie flog nach vorne. Er nahm in einer unglaublichen Geschwindigkeit die letzten Stufen zu ihr und fing sie gerade noch rechtzeitig auf. Sie erschauderte, als sie, in seinen Armen liegend, zu ihm empor sah und seinem tadelnden Blick begegnete. Er schien wütend zu sein, doch sie konnte von Glück reden, dass seine Sorgen um sie stärker waren und er seinen Zorn hinunterschluckte.
"Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen", versuchte sie sich zu rechtfertigen, nachdem er sie auf seine Arme gehoben hatte und mit ihr die Treppe emporlief. Zu ihrer großen Freude machte er bei ihren Worten rasch kehrt und trug sie nach draußen. Glücklich inhalierte sie die frische Luft. Behutsam setzte er sie an einer Stelle ab, die mit weichem Gras bedeckt war.
"Bin gleich wieder da", sagte er und sie beobachtete, wie er mit grimmigem Gesicht in die Burg zurückkehrte. Ihre Augen weiteten sich als sie hörte, wie er den Bewohnern der Burg eine lautstarke Standpauke hielt. Er war nicht begeistert davon, dass keiner von ihnen sie aufgehalten hatte. Marian zog eine Schnute, es tat ihr leid, dass andere nun Ärger bekamen, nur, weil sie nicht auf Ragnar hatte hören wollen.
"Warum muss er immer so übertreiben und gleich aus der Haut fahren", nuschelte sie.
"Weil er dich abgöttisch liebt", ertönte die Stimme von Lucian und bevor sie sich versah, ließ sich der Rotschopf neben ihr im Gras nieder.
"Ich ihn auch, aber das ist ja nicht auszuhalten", sagte sie. Lucian lachte.
"Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Und du musst einsehen, dass er recht hatte. Du bist noch nicht bereit, das Bett zu verlassen", meinte Lucian und sie nickte. Es war schon fast gruselig, dass Ragnar ihren Körper besser zu kennen schien, als sie selbst.
"Habt ihr schon irgendeine Spur, bezüglich Eydis finden können?", fragte sie.
"Nein. Ragnar lässt sogar in Hegvaldrs Landen nach ihr suchen, doch bisher gibt es dort auch keine Hinweise. Ich frage mich wirklich, wo das Miststück steckt", antwortete er.
"Vielleicht ist sie in die Lande eines anderen Clans geflohen?".
"Das kann durchaus sein. Doch ich schätze, wir werden die Suche bald beenden. Sei dir versichert, dass wir ihre Tat nicht vergessen werden und früher oder später unsere Rache vollziehen. Doch es wird Zeit, dass wir uns wieder auf Greenhill konzentrieren", sagte er und Marian horchte auf.
Ihr innerstes Verkrampfte sich. Sie wusste, bald würde Ragnar in ihre Heimat gehen und gegen Halvdan Krieg führen. Da Hegvaldr vermutlich bei seinem Sohn war, würde es ein harter und blutiger Kampf werden. Natürlich sehnte sie sich sehr danach, ihr Land befreit zu sehen, doch sie sorgte sich auch um die Ragan.
Wie viele würden in diesem Krieg sterben?
Noch dazu ahnte sie, dass Ragnar sie nicht mit sich nehmen würde und sie bezweifelte, dass sie es ertragen könnte, wochenlang auf seine Rückkehr zu warten. Was, wenn diese nie käme? Wenn er im Kampf fiel? Und selbst, wenn alles gut ausging, war die Angst vor ihrem eigenen Volk sehr groß. Wie mächtig würde wohl der Hass sein, wenn sie begriffen, dass Marian die Ragan lieb gewonnen und die Frau des Oberhauptes werden würde?
Schnell verdrängte sie diese Gedanken, als Ragnar zurückkehrte. Er ließ sich zu ihrer rechten nieder und schielte zu seinem Freund. Der Schalk funkelte in den Augen des rothaarigen und er plante, die beiden mal wieder zu ärgern.
Ragnar ahnte nichts Gutes, als sich Lucian zu Marian beugte und ihr etwas in das Ohr flüsterte. Ihre Augen weiteten sich.
"Lucian, du hast recht, in alldem Chaos habe ich nicht mehr daran gedacht", sagte sie und Ragnar schluckte schwer, als sie ihm einen bösen Blick zuwarf.
"Ashildr und deine Mutter, zeigten mir das Badehaus. Ich kann nicht glauben, dass du es wagst, mit anderen Frauen zu baden, NACKT", fuhr sie ihn an und Ragnar entglitten die Gesichtszüge, während sich sein Freund mit einem leisen Kichern verdrückte.
"Lucian, ich bringe dich um", rief Ragnar, doch der Rothaarige war bereits verschwunden.
"Bevor du das tun kannst, werde ich dich umbringen", fauchte Marian und Ragnar konnte nicht anders als sich darüber zu Amüsieren. Ihre Wut erregte ihn. Seitdem sie vergiftet worden war, hatte er sich zu beherrschen versucht, um sie nicht noch mehr zu erschöpfen. Doch er sehnte sich so sehr nach dieser Frau, dass vier Tage definitiv eine zu lange Zeit waren.
"Du bringst mich noch um den Verstand", murmelte er.
"Was hast du gesagt?".
"Du wurdest dazu geboren, um mich in den Wahnsinn zu treiben".
"Was soll das denn heißen?", fauchte sie.
"Dass du mich verrückt machst", sagte er und erkannte schnell, dass sie dies wohl falsch verstanden hatte und ihre Augen vor Zorn herrlich funkelten.
"Willst du jetzt frech werden, weil ich dir keine anderen Frauen erlaube?", fragte sie und er blinzelte sie erstaunt an, ehe er schallend loslachte.
"Das finde ich überhaupt nicht witzig", schimpfte sie empört und im nächsten Moment keuchte sie erschrocken auf, als er sie mit dem Rücken in das Gras niederrang und ihre Lippen mit einem feurigen Kuss versiegelte. Erst als er spürte, wie sie nach Atem rang, ließ er von ihr ab und betrachtete ihre glühenden Wangen.
"Du bist die einzige, die ich will", versicherte er ihr.
"Das will ich auch für dich hoffen", hörte er sie flüstern und ihre Wut war sofort verraucht. Mit einem Lächeln begann er ihren Hals zu küssen und er konnte spüren, wie sich ihre Atmung beschleunigte. Ihre Hände glitten über seinen Rücken und sie hob ihm ihren Körper entgegen. Er wusste, wonach sie verlangte, doch er war sich darüber im Klaren, dass sie von vielen gesehen wurden.
"Du glaubst gar nicht, wie gerne ich dich hier und jetzt nehmen würde. Aber da wir gerade beobachtet werden, müsste ich erst einmal jedem die Augen ausstechen. Daher sollten wir das lieber lassen", raunte er ihr zu.
"Dann lass uns zu Bett gehen", sagte sie mit zitternder Stimme und ihre Worte ließen ihn sofort Hart werden. Marian keuchte überrascht, als er aufsprang, sie auf seine Arme hob und in die Burg trug. Er ignorierte alles und jeden, als er mit ihr die Treppe empor eilte. Kurz darauf landeten sie im Bett und er bewies ihr voller Verlangen, dass sie alles war, was er wollte und das er niemals genug von ihr bekommen würde.Erschöpft und kaum in der Lage, den Löffel zu halten, aß Marian von ihrer Suppe, während sie beobachtete, wie Fjorleif mit ihrem Sohn schimpfte. Die Ältere war ziemlich erbost, weil es, zu Marians Leidwesen, nicht zu überhören gewesen war, was er und sie getan hatten. Da sie nun sichtlich schwächer war als zuvor, gab Fjorleif ihm die Schuld.
"Du bist unglaublich, kannst du nicht mal für ein paar Tage die Finger von ihr lassen", keifte sie ihn an.
"Kann ich nicht".
"Du notgeiler Hund!", entfuhr es Fjorleif und Marian verschluckte sich fast an ihrer Suppe. Sofort war Ragnar bei ihr und klopfte ihr auf den Rücken.
"Da siehst du, was du angerichtet hast", schimpfte Fjorleif, stieß ihren Sohn schwungvoll beiseite und klopfte nun an seiner Stelle auf ihren Rücken.
"Marian, du solltest ihm ein paar Grenzen setzten", schlug die Ältere vor.
"Das werde ich nicht tun, ich bin zwar ziemlich erschöpft, aber ich wollte es genauso sehr wie er", entgegnete Marian und während Ragnar nun ziemlich breit grinste, zog seine Mutter kurz ein entsetztes Gesicht.
"Ich sehe schon, ihr zwei passt perfekt zusammen", seufzte sie und lachte dann.
"Ich hoffe, da ihr nicht die Finger voneinander lassen könnt, dass da bald was in deinem Bauch wachsen wird", sagte sie und beobachtete mit vergnügen, wie die beiden hochrot anliefen.
"Das hat noch Zeit", winkte Marian rasch ab.
"Das werden wir noch sehen", erwiderte Ragnar zu ihrer Überraschung.
"Was soll das denn heißen".
"Dass ich nichts dagegen hätte".
"Ich auch nicht, aber erst in ein paar Jahren".
"Ein paar Jahre?", rief er erschrocken.
"Das erlaube ich nicht", meinte Fjorleif.
"Wie meinst du das denn jetzt?".
"Mit einem Jahr könnte ich leben, aber nicht mit ein Paar", sagte die Ältere und Ragnar nickte seiner Mutter zustimmend zu. Marian sah die beiden entgeistert an und doch war sie insgeheim sehr glücklich, da Ragnar ihr gerade bewiesen hatte, dass er sich, wenn es mal so weit war, über Kinder freuen würde. Sie fragte sich, wie diese Kinder wohl aussehen würden und ihr Herz raste, als sie die Vision von zwei Söhnen und einer Tochter hatte.
"Marian?", fragte Ragnar, der merkte, dass sie vor sich hin Träumte. Erschrocken fuhr sie aus diesen Träumereien heraus und wich verlegen seinem Blick aus.
"Lassen wir die Arme nun etwas schlafen", schlug Fjorleif vor und schob ihren Sohn zur Tür. Er ließ es geschehen und nachdem die beiden gegangen waren, fiel Marian in einen tiefen Schlaf und träumte von einem glücklichen Familienleben mit Ragnar.
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Der Ragan Clan (1)
RomansaWährend Marian Callahan von einer körperlosen Stimme gepeinigt wird, muss sie gleichzeitig miterleben, wie boshafte Krieger in ihrer Heimat einfallen und diese an sich reißen. Schneller als ihr Lieb ist, erhebt der Anführer des Ragan Clans seinen An...