Kapitel 38

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Fjorleif rüttelte behutsam an Marian, bis diese endlich erwachte. Ihr Blick flog benommen umher und ihre Atmung begann immer schneller zu gehen. Man konnte sehen, dass sie zwar bei Sinnen, aber nicht wirklich bei Verstand war. Fjorleif brach es das Herz, sie so sehen zu müssen. Vorsichtig zog sie Marian in eine sitzende Position und ließ sich von Ashildr einen Becher mit Tee reichen.
"Tut mir leid, du kannst gleich Weiterschlafen. Hier, du musst diesen Tee trinken", sagte sie und führte den Becher an Marians Mund. Eifrig begann diese den Becher zu leeren, während die beiden Frauen sie stützten, da sie nicht in der Lage war sich selbständig in ihrer Position zu halten.
"Gut gemacht, das wird dir helfen", meinte Fjorleif.
"Sie ist bereits wieder eingeschlafen", stellte Ashildr fest.
"Das ging schnell", erwiderte Fjorleif und legte Marian behutsam in das Bett zurück.
"Wer glaubst du, hat ihr das angetan?", fragte Ashildr, als sie den Raum verließen.
"Wenn sie das Gift über das Essen zu sich genommen hat, dann gibt es nicht sehr viele Möglichkeiten. Um genau solche Vorfälle zu vermeiden, haben nur wenige das Privileg, sich frei in der Küche und den Vorratskammern bewegen zu dürfen", meinte Fjorleif.
"Stimmt und ich habe bereits einen Verdacht", gab Ashildr zu.
"Und der wäre?".
"Ich will niemanden zu Unrecht beschuldigen, doch ich muss immer wieder an die Worte von Eydis denken", antwortete Ashildr und die Augen von Fjorleif weiteten sich.
"Natürlich, warum habe ich nicht gleich daran gedacht. Sie drohte, Marian zu töten und hat auch Zugriff auf die Küche", meinte die Ältere erschrocken.
"Genau, aber bevor wir sie beschuldigen, sollten wir schauen, ob Ragnar schon etwas herausgefunden hat", schlug Ashildr vor.
Die Ältere nickte und gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach ihm. Ragnar zu finden, war leicht. Alle, die in der Küche arbeiteten, standen vor der Haupthalle Schlange.
Einer, nachdem anderen wurde von Ragnar hereingerufen und einem Verhör unterzogen.
"Wie geht es Marian", fragte Lucian, der die beiden vor der Halle traf.
"Sie schläft, aber es scheint besser zu werden. Zumindest, was die Schmerzen betrifft", antwortete Fjorleif und Lucian atmete erleichtert auf. Er teilte die Wut von Ragnar und brannte darauf, herauszufinden, wer Marian so sehr hatte leiden lassen. Er mochte die Frau seines Freundes sehr und verzieh keinem, der es wagte, das Glück der beiden zu stören.
"Gibt es schon Hinweise?", fragte Fjorleif.
"Ragnar hat die ganze Küche auseinander genommen. Und wenn ich sage, auseinander, dann meine ich, zu Kleinholz verarbeitet. Er konnte dort nichts finden. Nachdem er einen furchteinflößenden Wutanfall bekommen hat, begann er mit den Verhören", antwortete Lucian. Ashildr seufzte schwer und besah sich die anstehenden Menschen, dabei fiel ihr etwas auf, was den Verdacht von ihr und Fjorleif verstärkte.
"Wurde Eydis schon befragt?", wollte sie wissen.
"Nein, warum?", fragte Lucian und sein Gesicht verfinsterte sich sehr dabei.
"Warum steht sie dann nicht in der Schlange an?", fragte Ashildr, anstatt zu Antworten.
"Sie war bisher noch nicht aufzufinden. Warum fragst du?", wollte Lucian wissen und spannte sich an wie ein Raubtier kurz vor seinem Angriff.
"Wir verdächtigen Eydis. Ehrlich gesagt kam es zu einem Zwischenfall, in dem sie Marian angriff und drohte, sie töten zu wollen", platzte es aus Ashildr hinaus. Die Augen von Lucian weiteten sich, ehe ihm ein lautes, - er bringt sie um, ich bringe sie um, - entfuhr, er herumwirbelte und in die Haupthalle rannte.
"SIE HAT WAS GETAN?", war kurz darauf das Brüllen von Ragnar zu hören. Aufgeschreckt stoben jene, die vor der Halle anstanden, nun rasch davon.
"Du hättest das vielleicht etwas schonender erklären sollen", murmelte Fjorleif.
"Schonender ging es nicht", erwiderte Ashildr und beide schluckten schwer, als ein Zornesroter Ragnar aus der Halle stampfte, dicht gefolgt von einem schimpfenden Lucian, der aussah, als wolle er die Luft erwürgen.
"IVAR. HALVAR, SOFORT ZU MIR!", brüllte Ragnar und die gerufenen eilten herbei.
"Stellt alles auf den Kopf, findet Eydis. SOFORT", befahl er und schon rannten sie wieder davon. Knurrend wie ein wildes Tier kam Ragnar dann zu seiner Mutter und Ashildr.
"Ich will genau hören, was zwischen Marian und Eydis vorgefallen ist", verlangte er und etwas zögerlich berichteten sie ihm von dem Vorfall im Wohnraum. Mit jedem Wort schien seine Wut zu wachsen. Sein rechtes Augenlid begann zu zucken, als er seinen Zorn kaum noch kontrollieren konnte.

Die ganze Burg wurde nach Eydis abgesucht, doch sie konnte nicht gefunden werden. Die Suche wurde in die Stadt ausgeweitet und als auch diese erfolglos blieb, war allen schnell bewusst, dass sie mit ihrem Verdacht richtig lagen. Ragnar war außer sich und schickte mehrere Gruppen los, um jede Ecke des Landes nach Eydis absuchen zu lassen.
"Das ist merkwürdig, ich verstehe das einfach nicht", meinte Ashildr, als sie mit ihm und Fjorleif am Abend auf dem Weg zu Marian war. Ragnar hatte sich beruhigt, jedoch nur äußerlich. Innerlich tobte er wie verrückt.
"Was meinst du?", fragte Fjorleif.
"Nehmen wir mal an, Eydis denkt, sie habe Erfolg gehabt. Warum sollte sie verschwinden? Ich meine, sie will Ragnar für sich und der Weg für sie wäre nun frei", antwortete Ashildr.
"Ich Hack mir lieber mein bestes Stück ab, als dieses Weib anzufassen", knurrte Ragnar.
"Es gab Zeiten, da dachtest du anders".
"Das war vor Marian", fauchte er seine Mutter an.
"Lass deine Wut nicht an mir aus", erwiderte diese ebenso fauchend.
"Aber Ashildr hat recht, da steckt mehr dahinter", grummelte er.
"Vielleicht, aber es könnte auch sein, dass sie begriffen hat, dass man ihr auf die Schliche kommt. Vermutlich war die Sache mit dem Gift eine überstürzte Handlung und sie floh aus Furcht", meinte Fjorleif.
"Egal wie es dazu kam oder welche Gründe dahinterstecken, wenn ich sie finde, werde ich ...", Ragnar brach mitten in Satz ab, als er die Tür zu seinen Räumen öffnete und Marian erblickte. Sie war wach, saß im Bett und schenkte Beigaldi, der gerade ihren Puls fühlte, ein schwaches Lächeln. Ragnar konnte kaum an sich halten, sie wohl aufzusehen, ließ ihn jegliche Wut vergessen. Marian keuchte überrascht, als er sich zu ihr in das Bett setzte und sie in eine sehr innige Umarmung zog. Sie hörte, wie er ihren Duft inhalierte und spürte, wie seine Hand durch ihr Haar glitt.
Sein Körper zitterte und sein Griff verstärkte sich.
"Ragnar, du schnürst mir die Luft ab", keuchte sie und hatte wirklich Schwierigkeiten zu atmen. Er zuckte zusammen und löste sich von ihr.
"Tut mir leid", nuschelte er und betrachtete sie voller Sorge. Marian wirkte sehr geschwächt, doch er war froh, dass sie keine Schmerzen mehr zu haben schien.
"Wie geht es dir?", fragte er.
"Besser, aber ich weiß nicht genau, was passiert ist", antwortete sie und bemerkte wie er einen raschen Blick mit den anderen Wechselte. Schließlich kam Fjorleif näher an das Bett heran und erklärte ihr, so ruhig wie möglich, dass man sie vergiftet hatte. Bei den Worten begann Ragnar wieder wütend zu werden. In seinen Augen funkelte es gefährlich.
"Es war Eydis", erklärte Ashildr.
"Oh", entfuhr es Marian und sie hatte nicht erwartet, dass die junge Frau so weit gehen würde. Den Vorfall mit der Vase hatte sie deren überkochenden Emotionen zugeschrieben. Nun war deutlich, wie sehr Eydis sie hasste. Schwer schluckte Marian, als sie sah, wie Ragnar sie mit seinen Blicken erdolchte. Sein rechtes Augenlid zuckte verdächtig und sie konnte ihm ansehen, wie er innerlich Kochte.
"Verschweige mir so etwas nie wieder", grollte er und machte keinen Hehl daraus, dass er ihr deswegen Böse war. Sie nickte rasch und blickte dann zu Beigaldi, der sich mit einem Räuspern bemerkbar zu machen versuchte.
"Sie sollte in den nächsten zwei bis drei Tagen lieber im Bett bleiben und am besten nur flüssige Nahrung zu sich nehmen. Das schlimmste hat sie überstanden", sagte er und alle nickten ihm erleichtert zu. Im nächsten Moment flog die Tür im hohen Bogen auf und Haldor stürmte herein. Ragnar war nicht sehr erfreut, dass er es wagte, ohne Erlaubnis einzutreten und hätte er nicht erkannt, dass dem Blonden etwas wichtiges auf den Lippen lag, hätte er ihm ein Donnerwetter verpasst.
"Habt ihr Eydis gefunden?", fragte Ragnar grollend.
"Nein, bisher nicht. Aber es ist weg, das Ei, es ist verschwunden", rief Haldor. Marian horchte auf, während Ragnar mit einem Fluch aufsprang.
"Seid ihr euch sicher?", rief er und Haldor nickte.
"Was für ein Ei? Ragnar, du hast doch nicht etwa ...", begann Marian, stockte aber als er nickte. Ihre Augen weiteten sich. Sie dachte mit schaudern an das Ei, von dem keiner wusste, was es beherbergte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Ragnar es mit sich genommen hatte. "Solange ich nicht weiß, was es damit auf sich hat, wäre es unklug gewesen, es in der Obhut von Halvdan zu lassen", erklärte Ragnar ihr.
"Das mag wohl stimmen", murmelte sie.
"Das ist doch ziemlich verdächtig, findet ihr nicht? Ich meine, Eydis ist weg und jetzt auch noch das Ei?", sagte Fjorleif und Ragnar fluchte. Das konnte kein Zufall sein. Aber warum hatte Eydis das Ei gestohlen? Und wo waren die beiden jetzt?
"Sucht weiter, findet Eydis", befahl er und nickend eilte Haldor wieder davon. Marian sah dabei zu, wie Ragnar nun unruhig im Raum auf und ab lief. Die Sache behagte ihm nicht.
"Weißt du wirklich nicht, was es mit dem Ei auf sich hat?", fragte er und sah zu Marian. Sie überlegte und erzählte schließlich, was ihr Rawena über die Eier erzählt hatte.
"Ein Monster, das den Wahnsinn bringt?", fragte Ragnar und konnte sich daraus keinen Reim machen. Jedoch ahnte er, dass es etwas mit den Kreaturen in den Höhlen und dem Gold zu tun haben musste. Fest stand auch, dass in dem schwarzen Ei wohl ebenfalls ein Monster schlummerte und wenn Eydis es wirklich gestohlen hatte, dann könnte dies zu ernsthaften Problemen führen.
Noch ahnte keiner von ihnen, dass dieses Ei und auch Eydis, in ferner Zukunft eine große Gefahr für den gesamten Ragan Clan darstellen würde!


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