Kapitel 4

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Marian floh zurück in die Küche, denn es schien der einzige Ort zu sein, dem die Männer fernblieben. Am ganzen Leibe zitternd, ließ sie sich auf einen Stuhl nieder. Nichts lieber hätte sie getan, als ihre aufgestauten Gefühle mit einem lauten Schrei in die Freiheit zu entlassen. Doch sie schwieg, raufte ihr Haar und versuchte Ruhe zu bewahren. Es war weder ihr noch den anderen geholfen, wenn sie ihrer Panik freien Lauf ließe. Sie schwor sich, dass sie nicht aufgeben würde und egal, was dieser Ragnar tat, sie wollte Tapfer bleiben. Bis Huxley kam und sie alle rettete, würde sie versuchen, es diesen Bastarden nicht allzu Leicht zu machen.
Leider war so zu denken leicht, es auch in die Tat umzusetzen, umso schwieriger. Sie fasste sich an die Stirn und erkannte, wie Müde sie war. Doch sie beklagte sich nicht, wissend, dass die anderen es schwerer als sie hatten.
Marian wusste nicht, wie lange sie auf dem Stuhl verharrte. Doch irgendwann öffnete sich plötzlich die Tür und die Frauen flohen aufgeschreckt in die hinterste Ecke der Küche. Sie hätte es ihnen gerne gleich getan, als sie Ragnar erblickte. Er ignorierte die anderen Frauen und fixierte nur sie. Schwer musste Marian schlucken.
"Komm mit mir", befahl er, drehte sich herum und verließ die Küche wieder, wohl in dem Glauben, dass sie ihm ohne zu Zögern gehorchen würde. Doch Marian hatte nicht vor, ihm wie ein dressierter Hund hinterherzulaufen. Die Frauen warfen ihr einen entsetzten Blick zu, als sie erkannten, dass sie den Befehl verweigerte. Es dauerte nicht lange, bis Ragnar zurückkehrte. Marian konnte hören, wie er verärgert schnaufte.
"Komm mit mir", befahl er noch einmal, aber sie blieb eisern sitzen. An ihr sollte er sich die Zähne ausbeißen. Doch als er böse und dunkel Knurrte, schwand ihr Mut. Mit raschen Schritten kam er zu ihr, packte sie und zog sie so schwungvoll aus dem Stuhl empor, dass sie gegen ihn fiel. Entsetzt schnappte sie nach Atem. Nun, wo sie ihm so nahe war, nahm sie deutlich seinen Geruch wahr.
Er roch besser als von ihr erwartet. Marian konnte deutlich spüren, wie sich seine Muskeln anspannten und seine Nähe verwirrte sie. Als sie in seine Augen sah, erkannte sie, dass darin die gleiche Verwirrung ruhte. Sie glaubte sogar seinen unnatürlich schnellen Herzschlag zu spüren.
"Gehorche mir und alles wird einfacher für dich sein", sagte er und ihr schlotterten gewaltig die Knie. Schließlich schob er sie von sich und verließ die Küche wieder. Diesmal hielt sie es für besser, ihm zu folgen. Er führte sie zur großen Treppe und gab ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen, vorauszulaufen. Sie gehorchte ihm, aber es war kein schönes Gefühl, die Stufen zu erklimmen und ihn hinter sich zu wissen. Als Marian die Treppe hinter sich brachte, kam ihr eine Erkenntnis, die sie dazu veranlasste, ruckartig innezuhalten. Hier oben waren die Gemächer und es konnte nur einen Grund geben, weshalb er diese mit ihr aufsuchen wollte. Marian bekam einen sofortigen Schweißausbruch und drohte zu Hyperventilieren.
"Was ist los Kleines, hast du etwa Angst?", fragte Ragnar spottend, als er hinter ihr zum Stehen kam und ihr Zittern bemerkte.
"Ihr werdet den Tag noch bereuen, an dem ihr dieses Land betreten habt", drohte sie ihm und überlegte zeitgleich, wie sie einer Vergewaltigung entkommen sollte. Ragnar drehte sie zu sich herum.
"Ich stelle fest, dass du deinen Mund ziemlich voll nimmst, - das gefällt mir", sagte er und zwinkerte ihr anzüglich zu. Marian brauchte einige Augenblicke, bis sie die Zweideutigkeit verstand und schnappte dann entsetzt nach Luft.
"Ihr seid elendiger Abschaum", zischte sie.
"Und du bist ganz schön garstig, meine Kleine. Aber ich werde deine Flügel schon noch stutzen. Solange du brav zu mir bist, kann ich es auch zu dir sein. Ich könnte dafür sorgen, dass du dich in jeder Minute deines Lebens nach mir verzehren wirst", sagte er und schaute sogleich verdutzt, als sie ihm ein spöttisches Lachen schenkte.
"Ich würde viel lieber in einem Meer aus Kakerlaken schwimmen, als euch jemals zu begehren", sagte sie und schnappte sogleich erschrocken nach Atem, als er einen Arm um ihre Hüfte legte und sie schwungvoll zu sich heranzog. Das begehren funkelte sichtbar in seinen Augen, als ihre wohlgeformten Rundungen sich gegen seinen Leib schmiegten, als wären sie wie für ihn geschaffen.
"Du solltest mich nicht herausfordern", warnte er. Marian biss sich sogleich auf die Lippen. Sie verfluchte ihr Herz, das wie verrückt schlug und sie ermahnte sich, ihn nicht zu sehr zu reizen. Vielleicht wäre es besser, fürs Erste nachzugeben?
"Bring mich in die Gemächer deines Herrn", befahl er und ihre Augen weiteten sich. Dieser Bastard wollte das Gemach ihres Vaters für sich beanspruchen? Sie hätte ihm liebend gerne die Augen ausgekratzt. Doch sie besann sich eines anderen, denn sein stählerner Körper an ihrem, machte ihr klar, dass sie gegen ihn einfach keine Chancen hatte. Vorerst gab sie mit einem sachten Nicken nach und er ließ sie los.
Hastig wich sie vor ihm zurück und hoffte, ihm nie wieder so nahe kommen zu müssen. Nervös brachte sie ihn in die Gemächer ihres Vaters und hatte dort mit ihren Emotionen zu kämpfen. Sein Geruch war allgegenwärtig. Es war grausam zu wissen, dass er in der Nähe und doch unerreichbar war. Es tröstete sie jedoch, dass man ihn lebend brauchte. Rasch ihre aufkommenden Tränen weg blinzelnd, beobachtete sie Ragnar, der sich sogleich umzusehen begann. Ihm schien zu gefallen, was er sah. Das große Bett mit den dicken Decken versprach ihm warme und gemütliche Nächte.
Im Kamin loderte ein kleines Feuer, das bald zu erlöschen drohte, da sich niemand darum gekümmert hatte. Ragnar eilte daher zielstrebig darauf zu und warf neues Brennmaterial nach, das sich in einem Eimer neben dem Kamin befand. Sogleich züngelten die Flammen höher und die Wärme wurde spürbarer. Prüfend sah er sich dann weiter um und entdeckte die große Truhe, die nicht weit vom Bett entfernt stand. Neugierig öffnete er diese und begann darin zu wühlen. Marian beobachtete ihn dabei und Wut keimte in ihr. In der Truhe lagerte ihr Vater die wichtigsten Überbleibsel seiner verstorbenen Frau. Nun zu sehen, wie dieser Teufel die Sachen ihrer Mutter achtlos als Wertlos abstempelte, machte sie ganz rasend. Nur mit roher Willenskraft, konnte sie sich zur Ruhe zwingen und sah, wie er sich einige Juwelen ihrer Mutter schnappte und in einem der Säckchen an seinem Gürtel verschwinden ließ. Dann schloss er die Truhe wieder und Marian kam der Gedanke, dass er etwas übersehen hatte. Verborgen in einem Hohlraum am Boden der Truhe, befand sich ihres Wissens nach ein mit Juwelen verzierter Dolch. Da dieser von ihm unentdeckt geblieben war, könnte sie ihn bei der erstbesten Gelegenheit an sich nehmen und den Teufel erdolchen. Diese Idee ließ sie nicht los, obwohl sie sich in Erinnerung rief, wie kläglich sie bei Halvdan gescheitert war. Aber bei Ragnar könnte sie warten bis er schlief und dann zuschlagen. Diese Vorstellung verpuffte im Nichts als sie erkannte, wie Ragnar zuerst zum Bett und dann zu ihr blickte. Es war offensichtlich, was er vorhatte.
"Nur über meine Leiche", rief sie, wirbelte herum und stürmte panisch in den Flur hinaus. Die wilden Flüche des Teufels flogen ihr hinterher und es dauerte nicht lange bis er sie eingeholt hatte. Er packte sie und hob sie schwungvoll auf seine Arme empor. Sogleich begann sie zu Schreien und wie eine wilde auf ihn einzuschlagen. Doch die Hiebe mit ihren zierlichen Fäusten schien er gar nicht wahrzunehmen. Mit grimmigem Gesicht, trug er sie zurück in das Gemach.
"Ich sollte dir wohl Fesseln anlegen, da du wohl ernsthaft glaubst, es wäre dir möglich, vor mir zu fliehen", schimpfte er.
"Wenn du eine Flucht als unmöglich erachtest, wozu benötigst du dann Fesseln?", keifte sie und er schenkte ihr einen kurzen überraschten Blick, ehe er zu Schmunzeln begann.
"Mit dir wird es mir wohl nicht langweilig werden", stellte er fest und trat die Tür wuchtig hinter sich zu. Dann ließ er Marian los und sie stürzte, mit dem Hintern voran, zu Boden. Während sie ihre schmerzende Rückseite rieb, lief Ragnar an ihr vorbei und setzte sich auf das Bett nieder. Von dort aus, musterte er sie prüfend.
"Also Liane, welche Position hattest du unter der Regime Callahans?", fragte er und begann sich seines Schwertes zu entledigen.
"Ich war nur eine einfache Magd", log sie.
"Warst du bei deinem Herrn auch so frech?", wollte er wissen. Sie schwieg.
"Warst du vielleicht seine Hure?", fragte er und entsetzt schnappte sie hörbar nach Atem. Die Empörung war ihr sichtlich anzusehen. Ragnar erhob sich und kam wieder zu ihr, wo er langsam in die Hocke ging, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Sie konnte seinem Blick aber nicht lange standhalten und wich diesem aus.
"Wenn du eine Hure bist, wird es dich bestimmt nicht stören, wenn ich dich gleich hart und schnell nehme, oder?", fragte er und seine Mundwinkel zuckten als sie sichtbar um Fassung rang. Mit einem leisen Lachen ergriff er sie unter den Armen und hob sie mit sich empor. Marian begann sogleich mit ihren Beinen zu strampeln und versuchte nach ihm zu treten. Ragnar ignorierte ihre Versuche, drehte sich herum und warf sie im hohen Bogen von sich. Mit einem lauten Aufschrei landete sie rücklings im Bett. Sogleich versuchte sie sich daraus zu erheben, doch in ihrer Panik verhedderte sie sich in den vielen Decken. Erschöpft und den Tränen nahe, gab sie schließlich auf und blickte nach Atem ringend zu Ragnar. Zu ihrer großen Überraschung stürzte er sich nicht wie befürchtet auf sie, sondern musterte sie eine Zeitlang schweigend.
"Ich hatte schon mit vielen Frauen zu tun, und ich denke, ich weiß daher, wann ich einer Jungfrau gegenüber stehe", sagte er schließlich und ihr entglitten die Gesichtszüge. Langsam kam er zum Bett, legte seine Hand an ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.
"Deine Augen und deine Mimik verraten dich Kleines", flüsterte er und machte deutlich, dass er sie nie für eine Hure gehalten und sie lediglich hatte Ärgern wollen. Das machte die ganze Situation aber nicht besser. Abwehrend schlug sie seine Hand hinfort.
"Ihr habt recht, ich bin eine Jungfrau und ich habe vor, dies auch zu bleiben. Egal, was ihr vorhabt, seid euch sicher, ich werde mich mit allem wehren, was ich habe", sagte sie und ärgerte sich, dass ihre Stimme dabei furchtbar zitterte.
"Sehr schön, ich mag deinen Kampfgeist", erwiderte Ragnar und entfernte sich etwas.
"Aber dir sollte eines bewusst sein Liane. Indem ich dich zu meinem Besitz ernannte, ist es jedem anderen Mann verboten, sich dir aufzudrängen. Streng genommen, solltest du mir dankbar sein, denn ohne mich, würdest du bald in irgendeiner Ecke liegen, jeglicher Ehre und Unschuld beraubt. Ich vermute, das wäre vorhin wohl auch geschehen, wenn ich nicht dazu gekommen wäre", sagte er und schien durchaus erkannt zu haben, in welcher Situation sie sich befunden hatte. Marian musste schwer schlucken. Sie wusste, er hatte recht und wenn sie ehrlich war, erschien er ihr ein geringeres Übel zu sein als alle Männer zusammen. Es wäre besser, wenn sie ihr Glück nicht überstrapazierte.
"Du solltest dafür sorgen, dass ich deiner nicht überdrüssig werde", warnte er und machte deutlich, dass er sie den anderen Männern zum Fraß vorwerfen würde, wenn dies jemals geschah. Das ängstigte sie so sehr, dass sie sich nicht rührte, als er wieder näher kam. Ihr Herz raste wild dahin, als er begann, sie ihres Kleides zu entledigen. Sie wollte schreien, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Von Scham erfüllt, mied sie seinen Blick.
"Ich versichere dir, allzu schnell wird dies nicht geschehen", hörte sie ihn flüstern, nachdem sie mit entblößten Oberkörper im Bett saß und sie nur mit Mühe den Impuls unterdrücken konnte, sich zu bedecken. Seine Blicke schienen auf ihrer Haut zu brennen wie Feuer und die Tränen brannten in ihren Augen. Marian befürchtete das Schlimmste, doch Ragnar überraschte sie sehr, als er sich mit einem Räuspern von ihr abwandte. Sogleich nutzte sie diesen Moment, um sich mit den Decken zu bedecken. Doch sie fühlte sich noch immer ganz Nackt und dass er so viel von ihr gesehen hatte, konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Dennoch war sie verwirrt, dass er keine weitere Anstalten machte und stattdessen etwas unruhig im Gemach umherlief. Er tat, als würde er die Räumlichkeiten weiter inspizieren und mied dabei jeden weiteren Blick zu ihr. Das machte ihr irgendwie mehr Angst als wenn er offen auf sie zugegangen wäre. Erschrocken zuckte Marian zusammen, als im nächsten Moment die körperlose Stimme ertönte und nur sie schien sie zu hören. Doch diesmal flüsterte sie nicht einfach nur ihren Namen, sondern sprach zu ihr. Was sie sagte, versetzte Marian in große Angst.

"Er ist dein Schicksal, du kannst ihm nicht entfliehen".


Zitternd hielt sie sich die Hände an die Ohren. Sie wollte diese verdammte Stimme nicht mehr hören und tatsächlich verstummte sie kurz darauf wieder. Erleichtert atmete sie auf und blickte zu Ragnar, der eine Landkarte von Greenhill gefunden hatte und diese mit großer Neugier musterte. Schließlich faltete er sie zusammen und steckte sie ein, ehe er, ohne sie eines Blickes zu würdigen, das Gemach verließ. Marian starrte die Tür an, die er wuchtig hinter sich geschlossen hatte. Offensichtlich hatte er nicht vor, sich weiter mit ihr zu beschäftigen und bei dieser Erkenntnis brach sie vor Erleichterung in Tränen aus. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Fürs Erste blieb sie verschont, die Frage war nur, für wie lange.


Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt