Kapitel 59

289 46 13
                                    

Mit einem gequälten Stöhnen kam Hegvaldr langsam zu sich und spürte, dass jemand unablässig an ihm rüttelte. Er schnaufte erbost und als er seine Lider hob, blickte er mitten in das Gesicht seines Sohnes. Er sah nicht besonders glücklich aus.
"Was ist passiert?".
"Ich habe keinen Plan. Fand dich vor der Feste und ohne Bewusstsein", antwortete Halvdan und half seinen Vater auf die Beine. Angestrengt versuchte sich Hegvaldr zu erinnern. Er wusste noch, dass er gegen den alten drolligen Typen in der engen Rüstung gekämpft hatte. Dieser war aber keine wirkliche Gefahr gewesen, wie kann es also sein, dass er bewusstlos geworden war? Daran konnte er sich leider nicht mehr erinnern. Aber eines war sicher, wenn er diesem Fettsack wieder über den Weg laufen sollte, würde er ihn in Stücke reißen.
"Marian war hier", sagte Halvdan und sein Vater horchte auf. Das Weib war hier gewesen? Ein verärgertes Knurren entfloh ihm, da er seinem Sohn im Gesicht ablesen konnte, dass die Schlampe bereits wieder fort war.
"Du hast sie schon wieder entkommen lassen?".
"Das ging alles zu schnell. Als ich begriff, dass sie es war, ist Ragnar schon über alle Berge mit ihr", begann sich Halvdan sofort zu rechtfertigen.
"Du bist auch wirklich zu nichts nutze", fauchte Hegvaldr und stieß seinen Sohn grob von sich.
"Ragnar hat außerdem den Ring", gestand Halvdan.
"Wofür habe ich dich eigentlich gezeugt?", brüllte Hegvaldr und rammte seine Faust mitten in das Gesicht seines Sohnes. Keuchend taumelte Halvdan zurück und spuckte Blut.
"Ein Nichtsnutz, genau wie deine verdammte Mutter", schimpfte Hegvaldr und war außer sich vor Zorn. Halvdan knirschte hörbar mit den Zähnen, wagte es aber nicht, irgendetwas zu sagen. Er wusste aus Erfahrung, dass es besser war, darauf zu warten, dass sich sein Vater beruhigte.
"Wie sieht die Lage da draußen aus?", fragte Hegvaldr, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte und erkannte, dass sie sich in der Eingangshalle der Festung befanden.
"Dieser komische Fettsack in der Rüstung und sein Heer haben Ragnar ziemlich gestärkt. Doch im Moment sind weder er noch wir im Vorteil. Was Henry und sein pack angeht, die sind zwar schwach aber verdammt, Hartnäckig und Zäh", erklärte Halvdan.
"Das heißt, noch ist nichts entschieden", stellte Hegvaldr fest und sein Sohn nickte.
"Aber ich habe schon einen Plan, wie wir diese Schlacht sofort für uns entscheiden können", sagte Halvdan und sein Vater horchte auf.
"Das wäre vermutlich nur mit Marian als Geisel möglich. Ragnar würde alles für das Weib aufgeben. Aber du hast das Miststück ja entkommen lassen", schimpfte Hegvaldr.
"Keine Sorge Vater, früher oder Später wird sie von Maden zerfressen sein, genau wie die andere Hure. Aber ich rede hier auch nicht von Marian. Ich habe einen anderen Plan. Der ist aber etwas Riskant und könnte auch uns gefährlich werden", meinte Halvdan.
"Was auch immer dir im Kopf herumschwirrt, tu es. Alles ist besser als gegen diese verfluchten Ragans verlieren zu müssen", zischte Hegvaldr.
"Gut, ich brauche nur ein paar Männer und etwas Zeit dafür".
"Dann mach dich sofort an die Arbeit", zischte Hegvaldr und mit einem raschen Nicken eilte Halvdan davon.

Als Ragnar zur Schlacht zurückkehrte, strotzte er vor neuer Kraft und die Wut, die er gegen seine Frau hegte, ließ er brutal an seinen Feinden aus. Während er einen nach den anderen Erschlug, schimpfte er lauthals über Marian. Er konnte es noch immer nicht fassen, dass sie sich in die Schlacht begeben hatte. Was ging dieser Frau nur manchmal im Kopf herum? Würde er jemals aus ihr Schlau werden? Er schreckte aus seinem Zorn hinaus, als Henry plötzlich wie aus dem Nichts neben ihm auftauchte. Der Alte war in der Begleitung von Lucian und einem aus dem letzten Loch pfeifenden Lord Huxley. Ragnar fragte sich sofort, ob der Lord gehört hatte, wie er über dessen Tochter geschimpft hatte. Falls ja, ließ sich Henry nichts anmerken.
"Ist sie in Sicherheit?", wollte Henry wissen. Ragnar nickte.
"Gut, danke".
"Nichts zu danken".
"Sei froh das ich dir überhaupt Danke".
"Wie gesagt, wäre nicht nötig gewesen".
"Ich verabscheue euch", grollte Henry und gemeinsam mit Ragnar preschte er auf einige feinde zu und mähte diese mit raschen Schwerthieben nieder.
"Ihr kämpft gut, wenn man euren Zustand bedenkt", gab Ragnar zu als sie Rücken an Rücken stehend für einen kurzen Moment verschnauften.
"Tja, einen Callahan zwingt man niemals in die Knie", prahlte Henry.
"Mh, das scheint wohl auch für die Frauen in eurer Blutlinie zu gelten", grummelte Ragnar und begann sich erneut über seine Frau zu ärgern. Wie hatte sie nur so leichtsinnig handeln können? Sollten sie jemals wieder, in solch eine ähnliche Situation kommen, würde er seine Frau verdammt nochmal in Ketten legen und von einer ganzen Heerschar bewachen lassen. Er grinste bei dieser Vorstellung und spähte dann zu Huxley, der wie ein Popel an den Fersen von Lucian klebte.
"Was ist mit Hegvaldr?", rief Ragnar ihm fragend zu.
"Hab ihm kräftig eine über gehauen. Der Penner hat mich unterschätzt", antwortete Huxley.
"Ist er Tod?".
"Leider nein, als ich Marian entdeckte, ließ ich ihn liegen. Danach war er fort".
"Verdammt".
"Ob sich die beiden Feiglinge verkrümelt haben?", fragte Lucian.
"Würde mich nicht sehr verwundern", antwortete Ragnar und preschte wieder in die Massen um sich und mähte jeden Feind nieder, der ihm in Reichweite kam.

Das Herz von Marian pumpte so stark, dass es ihr schwindelte. Mit zitternden Gliedern brachte sie ihre Stute nicht unweit der Höhle zum Stehen. Der gewaltige und düstere Eingang jagte Marian einen eisigen Schauer über den ganzen Körper. Endlich hatte sie ihr Ziel erreicht, doch entgegen ihrer Erwartung wurde sie von Stille empfangen. Das verunsicherte sie und zweifel nagten an ihr. Die Stute fühlte sich hier überhaupt nicht wohl und war nur schwer in Zaum zu halten. Nach einigem Zögern beschloss Marian das Tier ziehen zu lassen. Kaum war sie aus dem Sattel gestiegen, preschte die verschreckte Stute auf und davon. Marian sah ihr nach und hoffte, dass es kein Fehler gewesen war, das Tier gehen zu lassen. Tief atmete sie ein und aus, ehe sie wieder zum Eingang der Höhle spähte. Sie erinnerte sich an das mächtige Brüllen von ihrem letzten Besuch an diesem Ort. Eines war sicher, in dieser Höhle lauerte etwas Großes. Marian dachte an die Träume und Visionen die sie gehabt hatte und schluckte schwer. Es war verrückt von ihr, solche Vermutungen zu hegen, doch sie glaubte inzwischen zu wissen, was darin auf sie wartete. Und genau das machte ihr Angst. Sie geriet bei der Vorstellung, sich dieser Kreatur zu stellen, in Panik. Nur schwer konnte sie diese im Zaum halten. Nervös lief sie vor dem Eingang auf und ab, ehe sie genügend Mut gesammelt hatte, um diesen zu betreten. Zögerlich tat sie einen Schritt nach den anderen und erschreckend schnell war sie von kaltem Gestein und der Finsternis umgeben. Sie sah ihre eigenen Hände nicht mehr und hatte keinen Schimmer, was vor ihr lag.
"Eine Fackel wäre nun ziemlich praktisch", murmelte sie und plötzlich begann etwas in ihrer Hemdtasche zu leuchten. Es war so intensiv, dass es durch den Stoff schimmerte. Erstaunt griff sie hinein und holte ihren Ring hervor. Marian musste mehrmals blinzeln, denn der Stein im Ring sonderte ein hellblaues Licht ab, das Hell und blendend war. Sie wusste nicht, wieso er so stark leuchtete, doch er war in der Lage ihr den Weg zu erhellen. Entschlossen, aber mit zitternden Knien, lief sie immer tiefer in die Höhle hinein und nahm zahlreiche Abbiegungen. Der Gang schien immer größer und breiter zu werden. Einige Minuten vergingen und Marian hatte das Gefühl, den Ausgang nie wieder finden zu können. Das rief natürlich gewisse Ängste in ihr hervor und sie stellte sich vor, wie es wäre, sich hier zu verirren und zu sterben.
"Bitte sprich mit mir", flehte sie, da die Stille ihre Ängste nur noch steigerte.
"Du bist bald da", ertönte das Flüstern in ihrem Kopf und Marian war froh, die Stimme zu hören. Doch ihre Freude wich schnell als sich etwas Großes bewegte, irgendwo in der Höhle. Es war so gewaltig, dass der Boden erbebte und entsetzt kauerte sich Marian zusammen, als kleines Gestein von der Decke rieselte.
"Ich glaube, ich weiß, was du bist", flüsterte sie und nachdem sie sich sicher war, dass die Decke nicht einstürzte, setzte sie ihren Weg fort.
"Bitte friss mich nicht", flehte sie kaum hörbar und erschrak als im nächsten Moment ein grollendes Lachen durch die Gänge der Höhle hallte.
"Fürchte mich nicht", flüsterte es und Marian hatte keine andere Wahl als der Stimme zu vertrauen. Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, endete der Gang an einer monströsen Öffnung, die in eine ebenso gewaltige Höhle führte. Das Licht ihres Ringes erlosch, doch dieses brauchte sie auch nicht, um etwas sehen zu können. In der Höhle loderten einige Flammen, die unheimlich in der Luft schwebten und genügend Licht spendeten. Staunend sah Marian sich um. Hier könnte locker eine ganze Stadt hineinpassen. Die Decke war so hoch, dass Marian sie nicht einmal sehen konnte. Im Schein der Flammen schimmerte nicht weit von ihr ein kleiner See. Marian näherte sich diesem. Das Wasser darin war das reinste und klarste, das sie jemals gesehen hatte. Dennoch wagte sie es nicht, davon zu trinken.
"Bist du hier?", rief sie und ihre Stimme echote durch die Lüfte. Eine Antwort bekam sie nicht, doch etwas begann sich im Schatten nicht unweit von ihr zu bewegen. Keuchend ging Marian in die Knie, da es den Boden zum Beben brachte. Fieberhaft suchte sie die Dunkelheit ab, jene Stellen, die nicht von den Flammen erhellt wurden. Was auch immer dort lauerte, sie sah es nicht. Ein mächtiges Grollen echote durch die Höhle. Marian erschauderte und mühte sich, nicht in Panik zu verfallen. Ihre Finger gruben sich in den Boden der Höhle, der aus groben Sand zu bestehen schien.
"Ich bin hier, wie du es wolltest. Hör auf, dich im Dunkeln zu verstecken", rief sie und es hatte sie einiges an Mut gekostet, um dies zu sagen.
"Nur, wenn du versprichst, nicht zu schreien", antwortete die Stimme und diesmal war sie nicht in ihrem Kopf, sondern erklang direkt aus der Finsternis vor ihr.
"Ich werde es versuchen", versprach Marian und obwohl sie bereits gewisse Vermutungen gehegt hatte, war sie auf das, was nun passierte, nicht im geringsten Vorbereitet. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als der gewaltige Kopf eines Drachens aus der Finsternis kam. Er war so groß, dass er sie gut als Zahnstocher hätte benutzen können. Seine stechend goldenen Augen starrten sie an und sein Atem roch nach Rauch und verbreitete eine enorme Hitze.
"Endlich ist es so weit, willkommen Marian. Ich bin Arokh", grollte der Drache. Ein lauter und Ohrenbetäubender Schrei von Marian echote durch die Höhle.



Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt