Kapitel 5

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Noch lange, nachdem Ragnar gegangen war, hatte Marian geweint und es nicht gewagt, das Bett zu verlassen. Irgendwann war sie dann völlig erschöpft dem Schlaf erlegen. Als sie nun aus diesem erwachte, schien das Sonnenlicht durch die Fenster hinein. Die Nacht war vorüber und doch blieb der Schrecken. Marian lauschte angestrengt, doch in der Festung war es unheimlich ruhig.
Wie war es wohl den anderen Frauen ergangen? Sie richtete sich im Bett auf und erkannte, dass sie komplett Nackt war. Das entsetzte sie. Nachdem Ragnar gegangen war, hatte sie ihr Kleid gerichtet, doch nun war es weg und nirgends sah sie etwas, mit dem sie sich kleiden könnte. Die Furcht in ihr war erschütternd. Es gab nur eine Erklärung, Ragnar war zu ihr zurückgekommen, als sie geschlafen hatte. Dieser Halunke hatte sie ausgezogen und das Kleid verschwinden lassen. Sie heulte auf und schämte sich.
Es war schon schlimm genug, dass er gestern ihren Oberkörper Nackt gesehen hatte, doch nun war auch der Rest von ihr seinen Blicken nicht verborgen geblieben. Das Schlimmste daran war, dass sie es nicht einmal bemerkt hatte. Wer weiß, was er alles getan hatte. Bei diesem Gedanken suchte sie hastig das Laken nach verdächtigen Spuren ab. Doch ein Zeichen ihrer verlorenen Unschuld war nirgends zu erblicken. Erleichtert atmete sie auf und schimpfte sich dann selbst eine Närrin. Hätte er sich an ihr vergangen, wäre es sicherlich nicht unbemerkt geblieben. Obwohl sie alleine in Gemach war, wickelte sie rasch eine Decke um ihr Leib und verfluchte den Teufel. Wie hatte er es nur wagen können? Sie erzitterte, ehe sie ihre Beine aus dem Bett schwang und sogleich innehielt. Das Gefühl von Schwere an ihrem rechten Fuß, gefolgt von einem unheimlichen Rasseln, lenkte ihren Blick dorthin.
An ihren rechten Knöchel war ein dicker Eisenring befestigt, an diesem hing eine Kette, die ihr nur wenige Schritte außerhalb des Bettes ermöglichen würde und an einem weiteren Eisenring endete, der am Bein des massiven Bettes befestigt war. Der Bastard hatte seinen Worten Taten folgen lassen und sie in Ketten gelegt.
Marian schrie auf und die Wut in ihr kannte keine Grenzen. Sie verfluchte Ragnar auf das übelste und es war ihr egal, dass man sie vermutlich in der ganzen Festung hören konnte. Zornig und weiterschimpfend, stand sie auf und versuchte sich von den Fesseln zu befreien. Es war zwecklos. Weinend vor Wut prügelte sie auf eines der Kissen ein, solange, bis die Nähte platzten und sie sich in einer Wolke aus weißen Gänsefedern wiederfand.

Ragnar, der gerade zusammen mit Lucian, dem Krieger mit den roten zotteligen Haaren, die Festung betrat, hielt sogleich inne, als das wütende Schimpfen eines Weibes durch die Festung hallte. Seine Mundwinkel zuckten. Er wusste, Liane war erwacht und hatte ihren neuen Beinschmuck entdeckt.
"Die hat ganz schön Feuer unterm Hintern", meinte Lucian, der grinsend den bösen Flüchen lauschte und dabei zu Ragnar schielte. Dieser nickte ihm zu und dachte daran, wie sehr er diese Frau bewunderte. Liane war eine unglaubliche Schönheit und ihre blauen Augen hatten ihn sofort wissen lassen, dass er sie haben wollte. Er begehrte sie so sehr, dass er sie mit keinem anderen Mann teilen wollte.
Er hatte daher keine andere Wahl gehabt als sie zu seinem Besitz zu ernennen, den ihm war nicht entgangen, dass Halvdan und einige andere sie ebenfalls wollten. Da die Clans einen Eid geschworen hatten, den Besitz eines anderen nicht selber zu begehren, konnte er sich sicher sein, dass kein anderer ihr zu nahe käme. Ein leises Knurren entfloh ihm, als er an Halvdan dachte und er sich da doch nicht mehr so sicher war.
Dieser Bastard wütete noch immer und war sehr erbost. Wie Ragnar ihn kannte, würde er nicht davor zurückschrecken, den Eid zu brechen. Doch wenn er es nur einmal wagen sollte, Liane anzupacken, würde er ihm zeigen, dass er sich mit dem falschen anlegte.
Rasch verwarf er seine Gedanken an den Halvdan und dachte daran, wie er Liane im Schlaf entkleidet hatte. Er hatte noch nie zuvor so schwer mit sich zu kämpfen gehabt, wie in jenen Moment. Die süßen Rundungen ihres Körpers hatten ihn beinahe verrückt gemacht. Ragnar runzelte seine Stirn, denn die Wucht seines Begehrens verwirrte ihn. Noch nie zuvor hatte er eine Frau so sehr gewollt. Sein Interesse an frühere Gespielinnen hatte er stets nach einer Nacht verloren, doch er ahnte schon jetzt, dass es bei Liane anders sein würde.
Er wollte sie mehr, als nur einmal.
Er verlangte nicht einfach nur nach ihrer Unschuld, sondern wollte ihr auch die Lust lehren. Bis dahin würde er sich jedoch etwas Bemühen und in Geduld üben müssen, denn er wollte keine Frau unter sich, die sich gegen ihn wehrte. Er konnte beim besten Willen nicht verstehen, was Halvdan und so manch anderer, daran so toll fanden. Er seufzte schwer und konzentrierte sich dann auf sein eigentliches Ziel in diesen Landen.
"Es wird Zeit, mit Henry zu sprechen", sagte er.
"Dank Halvdan wird er dir wohl kaum sagen, was du hören willst", meinte Lucian. Ragnar knirschte mit seinen Zähnen. Es gab Legenden über Greenhill, die besagten, dass es in den Bergen mehrere Höhlen voller Gold gäbe. Vor einiger Zeit hatten sie Hinweise gefunden, die darauf hindeuteten, dass an diesen Geschichten etwas Wahres dran war. Sie waren hier, um dieses Gold zu finden. Allen war jedoch klar, dass es Wochen und gar Monate dauern würde, bis die das gesamte Gebirge abgesucht hätten. Laut ihren Recherchen, schien Henry den Standort der goldreichen Höhlen zu kennen und mit seiner Hilfe könnten aus Wochen, nur wenige Tage werden.
Daher hatte Ragnar geplant, dessen Tochter zu entführen und mit ihr, die Hilfe von Henry zu erzwingen. Doch leider hatte sich dieser verdammte Halvdan nicht an den Plan gehalten. Er und sein Clan hatten Greenhill vor ihm erreicht und ein Blutbad angerichtet. Wenn es Ragnar nicht gelang, Henry zum Reden zu bringen, würden sie selber suchen müssen. Das nervte ihn gewaltig, denn er wollte nicht allzu lange fern seiner Heimat sein.
Nachdenklich sah er zwei Frauen hinterher, die mit gesenktem Haupt durch die Halle eilten und in der Küche verschwanden. Könnte die Tochter von Henry, von der er nur ihren Namen wusste, noch in greifbarer Nähe sein? Eine Lady war gewiss leicht zu erkennen und daher fragte er Lucian, ob ihm solch eine Frau aufgefallen sei.
"Es gab keine, die ich für eine Lady gehalten hätte. Ich hörte, dass Henry auf den Angriff vorbereitet war. Ich denke, er hat seine Tochter frühzeitig in Sicherheit gebracht", meinte Lucian und Ragnar fluchte. Die Hoffnung, diese Marian in seine Finger zu bekommen, musste er wohl aufgeben.
"Gut, ich werde dennoch versuchen, Henry zum Reden zu bringen", meinte Ragnar, drehte sich herum und machte sich auf den Weg zu den Kerkern. Froh war er, dass Halvdan ein wenig Hirn bewiesen und Callahan am Leben gelassen hatte. Nachdem er die unzähligen Stufen zum unterirdischen Verlies hinter sich gebracht hatte, hörte er bereits das Klagen einiger Männer. Er betrat den unendlich wirkenden Gang, der nur von einigen Fackeln erhellt wurde und wo sich eine Zelle an die andere Reihte. Er nickte den beiden Männern zu, die dazu verdammt waren, die Gefangenen zu bewachen.
Sogleich führten sie ihn durch den Gang und er sah, dass in jeder Zelle, mehrere Männer kauerten. Die meisten von ihnen waren schwer geschunden und bei manchen war er sich nicht einmal sicher, ob sie noch lebten. Die beiden Wachen blieben vor der hintersten Zelle stehen und er spähte durch die Gitterstäbe. Dort kauerte ein einzelner Mann, gehüllt in einen roten Umhang. Dies war, wie die Wachen ihm bestätigten, Henry Callahan. Ragnar rief nach ihm, doch der Alte reagierte nicht.
Rasch zog er seinen Dolch und schlug damit gegen die Gitterstäbe. Das klirrende Geräusch brachte Henry dazu, aufzusehen. Ragnar erkannte, dass sein Gesicht ganz geschwollen von unzähligen Schlägen war und nur eines seiner beiden Augen war in der Lage zu sehen. Ein Schaudern durchfuhr Ragnar als er, in das stechende Blau von Henry blickte. Er fühlte sich sogleich an Liane erinnert.
Henry hatte sogar das gleiche braune Haar wie sie, nur dass bei ihm einige graue Strähnen zu erblicken waren. Ragnar musste schwer schlucken und sein Puls beschleunigte sich. Ein Verdacht begann in ihm zu reifen, der ihn ungläubig blinzeln ließ. So geschwind, dass die Wachen ihm verwirrt nachsahen, machte er kehrt und eilte davon.
Mit Henry würde er sich erst befassen, wenn er wusste, ob sein Verdacht stimmte. Sollte dies der Fall sein, dann war Liane nicht der wahre Name, der schönen Unschuld.

Nachdem Marian mehrmals gezürnt, geweint und dann wieder gezürnt hatte, kauerte sie nun erschöpft im Bett. Sie fühlte sich verloren und verspürte noch dazu einen fürchterlichen Hunger. Ihr Magen grollte und rumorte ohne Unterlass. Es dauerte einige Zeit, bis sie in der Lage war, sich wieder zu erheben und die Reichweite der Kette zu erforschen. Es war ihr möglich, bis zu einem der Fenster zu gelangen. Doch sie wünschte sogleich, es wäre nicht so gewesen. Was sie sah, war schockierend.
Man begann damit, den Vorplatz von den Leichen zu befreien. Ihr Herz wurde schwer und die Tränen liefen, als sie Zeuge wurde, wie achtlos die Toten auf einen Karren geworfen und dann weggebracht wurden. Wohin, wusste sie nicht. Die Zahl der Opfer war erschreckend hoch und die Aufräumarbeiten würden wohl noch lange anhalten. Schnell wandte sie sich vom Fenster ab, wischte ihre Tränen hinfort und lief dann entschlossen zu der Truhe. Bereit war sie den Dolch an sich zu nehmen und Rache zu verüben.
Zu ihrer Freude reichte die Kette bis dorthin, doch gerade als sie den Deckel anhob, ging die Tür auf und mit weit aufgerissenen Augen blickte sie Halvdan entgegen. Er hatte sogleich innegehalten, als er sie Nackt im Gemach stehend erblickte. Seine Lippen formten nun ein unheimliches Grinsen und in seinen Augen loderte deutlich die Gier.
Marian überwand ihre Starre, schrie auf und rannte zum Bett zurück, wo sie geschwind eine der Decken an sich riss und um sich wickelte. Prüfend sah sich Halvdan im Gemach um und als er sich sicher war, dass kein Ragnar da war, wollte er den Raum vollends betreten. Doch vom Flure her ertönte ein Knurren und im nächsten Moment packte ihn jemand an den Haaren und riss so schwungvoll an ihnen, dass er in den Flur zurück stolperte und gegen die dortige Wand krachte. Marian keuchte erschrocken auf, als Ragnar in ihr Sichtfeld trat. Mit einem unheimlichen Blick sah er Halvdan an.
"Ich hoffe für dich, dass du eigentlich zu mir wolltest und nicht zu meiner Kleinen", knurrte Ragnar ihn an und Marian schnaubte entrüstet auf. Seiner Kleinen? Was bildete er sich ein? Halvdan grinste und versuchte einen Blick in das Gemach zu werfen, doch Ragnar stellte sich so, dass ihm die Sicht versperrt wurde.
"Verschwinde, bevor ich mich vergesse", drohte Ragnar und Halvdan schien klug genug zu sein, um eine Auseinandersetzung mit ihm nicht zu riskieren. Marian konnte nicht umhin, schadenfroh zu grinsen, als ihr bewusst wurde, dass Halvdan sich vor einem Kampf mit Ragnar fürchtete. Mit einem unverständlichen Grummeln lief er davon und Ragnar sah ihm nach. Erst als er aus seiner Sicht entschwunden war, betrat er das Gemach und schloss die Tür hinter sich. Marian erzitterte und hielt die Decke noch fester, als er zu ihr kam und dicht vor ihr innehielt. Kurz warf er dem Bett einen verwirrten Blick zu, da sich darin lauter Federn befanden. Doch dann erforschte er das Blau ihrer Augen mit gerunzelter Stirn und sie konnte es einfach nicht ertragen seinem Blick standzuhalten. Der Atem stockte ihr, als er eine Strähne ihres Haares nahm und diese einer sorgfältigen Musterung unterzog. Langsam formten sich seine Lippen zu einem Lächeln.
"Das Gesicht von Henry ist kaum zu erkennen und dennoch ist es offensichtlich, dass du seine Tochter bist", flüsterte er und Marian erbleichte. Die Furcht in ihr war nicht in Worte zu fassen. Er hatte die Wahrheit erkannt und dennoch versuchte sie, ihn davon zu überzeugen, dass er sich irrte. Mehrmals versicherte sie ihm, dass sie Liane sei.
"Halte mich nicht für einen Narren, Marian", warnte er und sie war so in Angst, dass sie ihm entfliehen wollte. In ihrer Panik dachte sie nicht an die Fesseln und so wurde ihre Flucht schon nach wenigen Schritten so ruckartig gestoppt, dass sie zu Boden stürzte. In ihrem Versuch, sich hastig wieder zu erheben, löste sich die Decke. Erschrocken wollte sie nach ihr greifen, doch da war Ragnar bei ihr und hob ihren nackten Leib schwungvoll auf seine Arme empor. Marian begann zu Schreien, schlug und strampelte wie eine verrückte umher. Ragnar ignorierte dies und trug sie zum Bett. Dort warf er sie schwungvoll hinein und kam dann über sie. Marian keuchte in Panik auf, als er ihre Hände packte und zu beiden Seiten ihres Kopfes niederdrückte.
"Gestehe, dass du Marian bist, wenn du willst, dass ich aufhöre", knurrte er und ihre Augen weiteten sich, als er sich mit seinem Unterleib zwischen ihre Schenkel drängte. Er ließ sie damit spüren, dass ihr nackter Körper unter ihm, ihn sehr erregte. Die Härte, die sich ihr entgegen presste, war erschreckend. In Panik versuchte sie sich ihm zu entwinden und ein raues Stöhnen entfuhr ihm, als sie sich dabei unbewusst an ihm rieb.
"Sag die Wahrheit, oder ich zeige dir das Tier in mir", raunte er und sie erschauderte. Wimmernd gestand sie ihm, Marian zu sein und zu ihrer Erleichterung ließ er sogleich von ihr ab. Wenn auch, es ihm sichtlich schwer zu fallen schien. Zitternd bedeckte sie sich und fragte sich, was er nun tun würde. Was würde er mit dem Wissen anfangen, dass sie die Tochter von Henry war? Nervös sah sie zu ihm, er stand mit dem Rücken zu ihr und sie bemerkte, wie er immer wieder seine Hose zu richten versuchte. Es dauerte einige Zeit, ehe er sich räusperte, die Truhe öffnete und dort das Kleid herausholte, das sie für verschwunden gehalten hatte. Mit einem undeutbaren Blick warf er es ihr zu.
"Du hast zehn Minuten", sagte er, machte schwungvoll kehrt und verließ erstaunlich hastig das Gemach.


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