Kapitel 27

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Als sich Ragnar der Burg näherte, war er in guter Stimmung.
Denn ihm war etwas gelungen, von dem er wusste, dass Marian begeistert sein würde.
Doch noch musste er sich in Geduld üben, da seine Überraschung einige Tage an Vorbereitung bedurfte.
Er lächelte und trieb seinen Hengst zu einem schnelleren Ritt an.
Während ihm der Wind durch sein Haar wehte, fragte er sich, wie hoch seine Chancen waren, ihr Herz zu gewinnen.
Als gering sah er sie nicht an, denn ihr Körper verriet sie und er wusste, dass sie ihn begehrte.
Doch das genügte ihm nicht.
Er wollte alles von ihr haben, sicher war er sich, dass sie nur für ihn bestimmt war.
Etwas anderes würde er nicht Akzeptieren.
Einige Hühner, die sich frei auf dem Burgplatz bewegten, sprangen den mächtigen Hufen seines Hengstes laut gackernd aus dem Weg.
Ragnar ignorierte das Federvieh und brachte seinen Hengst nahe dem Eingang zum Stehen. Sogleich kam ein junger Bursche herbei, um sich um das Pferd zu kümmern.
Ragnar stieg ab und überreichte ihm die Zügel, ehe er die Burg betrat.
Haldor, einer seiner Vertrauten, kam ihm entgegen.
Seine eiserne Miene sprach Bände und Ragnar wusste sofort, dass etwas passiert war.
"Was ist los?".
"Wir haben Gunnar erwischt, wie er sich in der Nähe der Burg aufhielt", antwortete Haldor und ein wüster Fluch entfloh Ragnar.
Er hatte geahnt, dass Hegvaldr bald aktiv werden würde.
Gunnar war seine rechte Hand und hatte wohl nach Informationen gesucht.
Dass er es dabei geschafft hat, sich der Burg zu nähern, stieß Ragnar säuerlich auf.
Bisher hatte er es nicht für nötig gehalten, seine Grenzen zu bewachen, da er sich sicher war, dass Hegvaldr der Mut für einen großflächigen Angriff fehlte.
Doch sein verdammtes Gesindel durfte nicht noch einmal so nahekommen.
"Habt ihr ihn fassen können?", fragte Ragnar.
"Er versuchte zu fliehen, doch wir konnten ihn einholen".
"Sehr gut, bringt ihn zu mir. Ich werde Hegvaldr seinen Kopf schicken", meinte Ragnar zornig.
"Bevor ihr dies tut, solltet ihr in die Haupthalle, man erwartet euch dort", erwiderte Haldor.
"Ist noch etwas passiert?", fragte Ragnar.
"Durchaus. Doch ich möchte nicht der jene sein, der es euch sagt", antwortete Haldor und Ragnar wurde von Unruhe ergriffen.
Wenn der große Blonde sich davor fürchtete es auszusprechen, war es gewiss schlimmer als die Anwesenheit eines Thorvaldssons.
"Verstehe, bring Gunnar dorthin", befahl Ragnar und machte sich auf den Weg.
Als er kurz darauf die Haupthalle betrat, sah er viele seiner Männer dort versammelt.
Ihre Gesichter waren eisig, aber ihre Blicke flogen nervös zu ihm.
"Was ist passiert?", fragte er und blickte zu Lucian, der sogleich zu ihm kam.
"Das werde ich dir erklären, aber als Erstes solltest du wissen, auch wenn es nicht so aussieht, es geht ihr gut", antwortete Lucian und Ragnar horchte auf.
"Ihr?", fragte er und sein Puls beschleunigte sich.
Hatte Hegvaldr es etwa gewagt, einen erneuten Attentat auf seine Mutter zu verüben?
Suchend schweifte sein Blick durch die Halle und als er seine Mutter entdeckte, atmete er erleichtert auf.
Es schien ihr gutzugehen.
Sie war nur etwas Bleich und sah ihm angespannt entgegen.
Doch dann entdeckte er Marian neben ihr.
Seine Augen weiteten sich, als er in ihr blutverschmiertes Gesicht sah.
Was war geschehen, warum war sie verletzt?
Sie in diesem Zustand zu sehen, zerriss ihm fast das Herz.
Doch gleichzeitig ballten sich seine Hände zu Fäusten, während er sich voller Mordlust fragte, wer ihr dies angetan hatte.
Marian versuchte seinen Blick nervös zu meiden.
Dann betrat Haldor die Halle, dicht gefolgt von zwei Männern, die Gunnar mit sich führten.
Ein dunkles Knurren drang Ragnar aus der Kehle, als er sah, wie Marian verschreckt auf den Gefangenen reagierte.
Er ahnte, was dies bedeutete.
Vor Zorn beinahe berstend, drehte er sich zu Gunnar herum.
Für einen kurzen Moment war er irritiert, das Gesicht des Gefangenen entstellt zu sehen.
Ein tiefer Schnitt zog sich quer darüber und hatte sein rechtes Auge nur knapp verfehlt.
Man konnte sogar die Knochen auf seinem Nasenrücken sehen.
"Warst du das?", fragte Ragnar mit eisiger Stimme und blickte finster auf den gefesselten Gunnar nieder.
"Falls du das mit ihrem Gesicht meinst, ja, ich rächte mich für das meinige", antwortete er und sofort war Ragnar bei ihm.
Seine Hand umschloss die Kehle von Gunnar und er drückte ohne Erbarmen zu.
"Hegvaldr deinen Kopf zu liefern, wäre zu gütig von mir. Ich werde dich in mehrere Stücke reißen und den Hunden zum Fraß vorwerfen", grollte Ragnar und in seinen Augen loderte der Zorn.
Marian erschauderte, sie war sich sicher, dass er Gunnar töten würde.
Doch da löste Ragnar seine Hand, aber nur um ihn an den Haaren zu packen.
Marian erschrak, als er ihn mit sich schleifte, genau auf sie zu.
Wuchtig warf er Gunnar vor ihr zu Boden und hielt ihn mit einem Tritt in seinen Rücken dort gefangen.
"Entschuldige dich bei meiner Frau", verlangte er im harschen Ton.
Marian sog scharf die Luft ein.
Ragnar war in diesem Moment sehr furchteinflößend und dennoch wollte ihr Herz ihm entgegenfliegen.
Gunnar weigerte sich trotz seines ausweglosen Lage.
Daraufhin ging Ragnar neben ihn in die Hocke, riss seinen Kopf empor und schlug ihn brachial auf den harten Boden auf.
Marian musste ihren Blick rasch abwenden, als sie den Schmerzensschrei und das deutliche Brechen der Nase hörte.
Diesmal gehorchte Gunnar und brachte eine keuchende Entschuldigung zustande.
Doch dadurch fühlte sich Marian nicht besser.
Den Zorn von Ragnar milderte es auch nicht.
Grob zerrte er Gunnar auf die Beine und stieß ihn zurück in die Fänge seiner Männer.
"Nun berichtet mir, was passiert ist", befahl Ragnar, nahm der erstarrten Ashildr das feuchte Tuch ab und ging vor Marian in die Knie.
Marian nestelte nervös an ihrem Kleid herum, während er behutsam ihr Gesicht reinigte.
Es war verwirrend, wie sanft er war, obwohl sein Körper vor Wut bebte.
"Es war meine Schuld", gestand Fjorleif nach einigem Zögern und Marian erschauderte als Ragnar seiner Mutter einen vernichtenden Seitenblick zuwarf.
Diesen nahm sie gelassen hin und erzählte, wie sie mit Marian hinausgegangen war, um Kräuter zu sammeln und wie sie dabei auf Gunnar gestoßen waren.
"Sie wollten mich als Geisel nehmen und Marian töten", sagte Fjorleif und berichtete, wie sie die beiden Begleiter von Gunnar getötet hatte, aber dann entwaffnet worden sei.
Dass seine Mutter gut mit dem Schwert umgehen konnte, schien Ragnar nicht neu zu sein.
Doch seine Augen weiteten sich, als er hörte, dass Marian mit einem Dolch auf Gunnar losgegangen war, um das Leben seiner Mutter zu retten.
Seine Mutter erzählte, dass Gunnar ihr daraufhin in das Gesicht getreten habe, ehe er versucht hatte, zu fliehen.
"Das wäre alles", sagte Fjorleif.
Ragnar warf das Tuch davon und betrachtete Marian.
Nun, wo er das Blut entfernt hatte, sah er, dass ihre rechte Wange geschwollen und ihre Unterlippe aufgeplatzt war.
Noch während seiner Musterung lief ihr das Blut aus der Nase.
Mit einem donnernden Fluch erhob sich Ragnar, stampfte auf Gunnar zu, packte ihn und schleuderte ihn quer durch den Raum.
Der arme Lucian stand mitten im Weg und wurde von Gunnars Körper zu Boden gerissen.
"Bringt mir sofort ein Schwert", verlangte Ragnar und Marian hielt den Atem an, als Ivar seinem Befehl folgte und ihm eine eiserne Klinge reichte.
Ihre Augen weiteten sich, als er das Schwert mit seiner Rechten an sich nahm.
Er schien keine sichtbaren Probleme zu haben.
"Hey, warte, warte, ich liege doch auch noch hier", rief Lucian, als Ragnar sich ihm und Gunnar näherte.
Rasch hievte Lucian den Gefangenen von sich hinunter und suchte das Weite.
Ragnar hob das Schwert für einen vernichtenden Hieb.
Marian verfolgte seine Bewegungen wie gebannt und war erfreut zu sehen, dass sein Arm ihm keine Schwierigkeiten mehr zu bereiten schien.
Doch bevor die Klinge sein Opfer erreichen konnte, schlug sie die Hände vor die Augen.
Ein gellender Schrei hallte durch die Halle.
Es war ohrenbetäubend.
"Sperrt ihn ein", rief Ragnar und Marian riskierte einen Blick.
Mit großem Entsetzen sah sie, dass er Gunnar nicht getötet, ihm aber beide Füße abgeschlagen hatte.
Sogleich musste sie Würgen und konnte nur mit Mühe und Not verhindern, sich zu übergeben.
Gunnar schrie vor Schmerzen und sein Blut verteilte sich am Boden.
"Sollte er daran in der Zelle verbluten, ist es mir recht", knurrte Ragnar und gab Ivar sein Schwert zurück.
Als man den kreischenden Gunnar fortbrachte, hinterließ er eine Blutspur.
Seine beiden abgetrennten Füße blieben ohne Besitzer am Boden liegend zurück.
Es war ein schrecklicher Anblick.
Marian atmete schnell und schwer, als Ragnar zu ihr kam.
In diesem Mann hauste ein Monster, doch sie erkannte, dass sie ihn nicht fürchtete.
Sie liebte ihn und egal wie grausam er war, es änderte nichts an ihren Gefühlen.
Ihre Wangen röteten sich, als er sie auf seine Arme empor hob.
Schweigend trug er sie aus der Halle.
"Geht es deinem Arm also wieder besser?", fragte sie, als er mit ihr die Treppe empor stieg.
Ragnar gab ihr keine Antwort, sein Gesicht war wie in Stein gemeißelt.
Sie erkannte, dass er noch immer sehr aufgebracht war.
Daher hielt sie es für besser, ebenfalls zu Schweigen.
Ragnar brachte sie in seine private Räume, wo er sie auf seinem Bett absetzte.
Dann baute er sich vor ihr auf, mit vor der Brust verschränkten Armen und warf einen tadelnden Blick auf sie nieder.
"Wie konntest du es wagen, dich mit einem Krieger anzulegen?".
"Weil ich keine andere Wahl hatte".
"Du hättest davonrennen sollen".
"Das kam nicht infrage".
"Er hätte dich töten können".
"Hat er aber nicht, es endete gut".
"Das nennst du gut?", fragte er aufgebracht und zeigte anklagend auf ihr Gesicht.
"Ich wollte doch nur deiner Mutter helfen", sagte sie und seine Gesichtszüge wurden weicher.
"Und dafür danke ich dir, aber ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Sich mit jemanden anzulegen, der Stärker ist, Wäre dumm von dir", sagte er und murmelte etwas davon, dass er ihr jegliche Arten von Waffen verbieten wollte und das er ihren Hintern windelweich prügeln würde, wenn sie noch einmal den Kampf wählte anstatt zu fliehen.
Marian meinte trotzig, dass sie durchaus in der Lage wäre sich zu verteidigen und zur Not auch ihre Fäuste nutzen könne.
Ragnar sah zweifelnd auf sie nieder und als sie ihr besagten Fäuste emporhob, umschloss er diese mit seinen großen Händen.
"Damit kannst du keiner Fliege etwas zuleide tun".
"Unterschätze mich nicht", sagte sie.
"Das werde ich nicht", flüsterte er, wandte sich von ihr ab und verließ den Raum.
Als sie alleine war, begann ihr Körper zu zittern.
Die Tränen liefen ihr, eisern hatte sie diese zuvor unterdrückt.
Sie konnte nicht in Worte fassen, welche Angst sie vor Gunnar gehabt hatte.
Das Ganze hätte mit ihrem Tod enden können.
Froh war sie, dass alles gut ausgegangen war.
Der Schrecken fiel mit Schaudern von ihr ab und sie atmete erleichtert aus.



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