Kapitel 12

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Der neue Morgen kam und als Marian erwachte, war sie froh zu erkennen, das Ragnar nicht da war. Nachdenklich blickte sie auf die leere Bettseite. Lange hatte sie gebraucht, bis sie an der Seite von Ragnar eingeschlafen war. Sie wurde aus diesem Mann nicht schlau. In seiner Gegenwart raste ihr Herz schneller als ihr lieb war. Marian fürchtete ihre Gefühle, die sie für einen Feind nicht hegen sollte. Es war verwirrend, das Ragnar manchmal so zärtlich war und ihr den Anschein gab, als würde sie ihm etwas bedeuten.
Marian war jedoch nicht so dumm zu glauben, das dies der Fall war. Sicher war sie sich, das er sie ganz anders behandeln würde, wenn er sie nicht noch brauchte. Die Kreatur in der Höhle hatte bei Ragnar sicherlich für neue Fragen gesorgt und sie vermutete, das er bald plante, ihren Vater zurate zu ziehen. Sie war das einzige, was ihn zum Reden bringen konnte. Daher ermahnte sie sich, das sie sich von ihm nicht täuschen lassen durfte. Doch warum war er in manchen Dingen so anders als die anderen Männer?
Marian dachte daran, das selbst Halvdan den Anführer der Ragan fürchtete und das tat er bestimmt nicht ohne Grund. Ragnar war gefährlich, daran gab es keinen Zweifel. Es war ihr unbegreiflich, warum sie dennoch von ihm fasziniert war. Sie wollte das nicht, aber nur ein Blick von ihm und ihre Knie wurden weich. Seine Küsse erweckten das Begehren in ihr und ihre größte Angst war es, diesem eines Tages nachzugeben.
Rasch schüttelte sie die Gedanken an Ragnar von sich und stand auf. Eiligst verließ sie das Gemach und hoffte, das Ragnar sein Wort hielt und sie zu den Gefangenen durfte. Als sie die Eingangshalle erreichte, entdeckte sie Rawena. Die Ältere stand bei der Treppe, die hinab zu den Verliesen führte. Sie hatte eine große Tasche bei sich und winkte ihr hektisch zu.
"Man sagte mir, wir dürfen zu den Gefangenen. Ich habe alles gepackt, von dem ich denke, dass wir es brauchen werden", meinte Rawena als sie zu ihr kam. Prüfend warf Marian einen Blick in die Tasche und entdeckte lauter Salben, sowie Bandagen. Rawena hatte sogar einige Tränke für die jenen Gebraut, die vom Fieber heimgesucht wurden. Zufrieden nickte sie der Älteren zu und sie machten sich ohne Umschweife daran, die Treppe hinabzusteigen. Schon nach wenigen Stufen konnte Rawena ihre Neugier nicht mehr zügeln und fragte, was Marian hatte tun müssen, um das Einverständnis zu erhalten.
"Ich muss von nun an bei ihm im Bett schlafen und das Freiwillig".
"Ich verstehe nicht, ihr meint, mit Schlafen auch wirklich nur schlafen?".
"Ja".
"Und das ist alles?".
"Ja und das ist auch gut so".
"Versteht mich nicht falsch, aber er hätte euch auch in sein Bett zwingen oder noch mehr von euch Verlangen können", entfuhr es Rawena überrascht. Marian wusste, sie hatte recht und war froh, das Ragnar sich mit solch einfachen Handel zufriedengegeben hatte.
"Dieser Mann ist sonderbar. Man sollte ihm nicht trauen", warnte Rawena.
"Ich weiß".
Als die beiden kurz darauf die Verliese betraten, trafen sie auf Ivar und Halvar. Die beiden hatten die Aufgabe erhalten, jeden Schritt von ihnen zu bewachen. Damit war das Vorhaben von Marian, sofort zu ihrem Vater zu eilen, vereitelt. Unter strenger Bewachung liefen sie die Zellen der Reihenfolge ab und halfen denen, die es nötig hatten. Wenige waren bei Sinnen und viele im Fieberschlaf gefangen. Es gab zahlreiche offene Wunden, die teilweise schon zu eitern begonnen hatten. So mancher hatte sein Hemd zerrissen und es als Verbandsmaterial benutzt. Doch das hatte nicht viel gebracht. Da die Zellen schmutzig, kalt und feucht waren, hatten sich die Infektionen wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Es kostete viel Zeit, allen zu helfen.
So mancher versuchte, mit Marian oder Rawena zu sprechen.
Sie wollten wissen, was mit ihren Liebsten geschehen war, doch Ivar und Halvar verboten die Gespräche rasch. Als es Nachmittag wurde, erkannte Marian, das sie zu zweit nicht in der Lage waren, allen Verletzten an nur einem Tag zu helfen. Sie hatten nicht einmal die Hälfte der Zellen geschafft und die Erschöpfung nagte sehr an ihnen. Als sie schließlich die Zelle betraten, in der Adrian mit vier weiteren Männern sein Dasein fristete, warf Marian ihm rasch einen mahnenden Blick zu. Er gehorchte ihr und machte gegenüber ihren Wächtern keine Szene. Doch er ließ es sich nicht nehmen, Ivar und Halvar mit deutlicher Mordlust zu mustern. Nachdem sie ihre Arbeit getan und die Zelle wieder verlassen hatten, kam der Rothaarige zu ihnen. Dank Halvar erfuhr Marian nun, das er Lucian hieß. Er befahl ihr, ihm zu folgen.
"Wir sind hier noch nicht fertig", wehrte sie ab und er warf ihr einen schiefen Blick zu. Es war nicht zu übersehen, dass er überrascht über ihre Verweigerung war.
"Die alte Oma kann alleine weitermachen. Du kommst jetzt mit, oder willst du dich ernsthaft den Befehlen von Ragnar widersetzten?", fragte er. Marian wollte dies bejahen, aber Rawena stieß ihr mit den Ellenbogen in die Rippen.
"Gehorcht ihnen, sonst bekommen wir die Erlaubnis entzogen. Geht ruhig mit ihm, ich mache hier weiter", flüsterte Rawena. Marian knirschte daraufhin hörbar mit ihren Zähnen. Sie hatte keine andere Wahl als zu gehorchen und folgte Lucian mit leisen Grummeln.
Wie sie bemerkte, humpelte er etwas, schien ansonsten seinen Sturz aus großer Höhe aber gut verkraftet zu haben. Als sie die Eingangshalle erreichten, entdeckte sie Ragnar. Er nickte seinem Freund wortlos zu und gab Marian dann zu verstehen, ihm zu folgen. Mit sichtlichem Zögern gehorchte sie. Doch wo wollte er hin? Er führte sie an das Gemach ihres Vaters vorbei und erst am Ende des langen Flures hielt er inne. Marian betrachtete sich die dortige Tür. Seit sie denken konnte, war diese mit schweren Ketten und Schlössern versiegelt. Niemand durfte den Raum dahinter betreten, selbst ihr Vater hatte ihn immer gemieden.
"Wo sind die Schlüssel?", fragte Ragnar, der natürlich wissen wollte, was in dem Raum war.
"Ich weiß es nicht", antwortete sie ehrlich.
"Ich kann die Tür auch mit Gewalt aufbrechen", drohte er.
"Tu dir keinen Zwang an", erwiderte sie und konnte es kaum erwarten, selbst einen Blick in den Raum zu riskieren. Erschrocken sah sie Ragnar an, als er dicht an sie herantrat und ihren Blick mit dem seinen Gefangen hielt. Ihr Puls beschleunigte sich und ihr Herz wollte sich mal wieder nicht beruhigen. Wieso nur hatte dieser Mann solch eine Macht auf sie? Es war zum verrückt werden. Sie schien dem Wahnsinn wohl schon näher zu sein, als sie bisher geahnt hatte. Erleichtert atmete sie aus, als er sich von ihr entfernte.
"Du weißt wirklich nicht, wo die Schlüssel sind", stellte er fest und schien erkannt zu haben, das sie nicht gelogen hatte. Er machte ihr deutlich, das sie wieder gehen konnte und blickte dann nachdenklich zu der Tür. Marian machte rasch kehrt und eilte zurück in die Halle. Doch ihre Hoffnung, wieder zu Rawena zu können, wurde vernichtet. Denn sie entdeckte die Ältere, die gerade von Halvar aus den Verliesen getrieben wurde.
"Für heute ist es genug", sagte er und lief davon. Marian eilte rasch zu der Älteren.
"Den Herrn und die anderen Verletzten, können wir wohl erst Morgen behandeln", meinte Rawena und seufzte frustriert. Marian war enttäuscht.
"Ich werde den restlichen Tag nutzen und noch mehr Salben herstellen", schlug Rawena vor und beide blickten zu Lucian, der nun die Treppe empor eilte. Er hatte eine Axt und einen riesigen Hammer bei sich. Kurz darauf war gewaltiger Lärm zu hören.
"Was passiert dort oben?", fragte Rawena erschrocken. Marian erklärte es ihr und die Ältere reagierte darauf mit deutlichem Entsetzten.
"Ihr wisst, was in dem Raum ist", stellte Marian fest und Rawena nickte.
"Es ist nichts Gutes".
"Was ist darin?".
"Etwas, das in den Händen der Männer keine große Gefahr darstellt. Doch es könnte eine Katastrophe geben, wenn ihr in dessen Nähe euer Blut vergießt".
"Ich verstehe nicht, bitte werdet deutlicher", bat Marian.
"Verzeiht, doch ich darf euch mehr nicht sagen, ich schwor es eurem Vater. Aber ich flehe euch an, nähert euch dem Objekt im Raum nicht", meinte Rawena und ging. Verwundert sah Marian ihr nach und als der Lärm verstummt war, eilte sie die Treppe empor. Ihre Neugier kannte keine Grenzen. Ragnar und Lucian hatten sich erfolgreich Zutritt verschafft.
Marian trat vorsichtig über den Schutt im Flur hinweg und spähte in den Raum hinein. Auf den ersten Blick, konnte sie nichts sonderbares Entdecken. Die Fenster des Zimmers waren mit schwarzen Vorhängen verhangen und es schien kein einziges Möbelstück zu geben. Ragnar und sein Freund standen in der Mitte des Raumes und waren mit dem Rücken zu ihr gewandt. Erst als Lucian etwas zur Seite trat, entdeckte sie zwei Podeste.
Eines davon war voller zerbrochener Überreste eines, - Eies? Die Schalen schimmerten in einem feurigen Rot. Auf dem anderen befand sich ein intaktes Ei. Es war so groß wie ein ganzes Huhn und schwarz.
"Was genau soll das den sein?", fragte Lucian.
"Ein Ei, das siehst du doch", antwortete Ragnar, der nun mehrmals um das Podest herumlief.
"Witz lass nach, natürlich sehe ich das. Aber hast du schon mal ein so großes gesehen? Und es schimmert ganz komisch", erwiderte Lucian. Die Stirn von Ragnar runzelte sich, er schien nicht zu wissen, womit er es hier zu tun hatte. Marian hätte den Raum gerne betreten und sich dem Ei genähert, doch die mahnenden Worte von Rawena hielten sie davon ab.
Vorsichtig tippte Lucian gegen das Ei und es wackelte, als sich in dessen Inneren etwas regte. Es gab keinen Zweifel daran, das darin etwas Lebendiges war. Warum hielt ihr Vater es hier verschlossen und weshalb war es noch nicht geschlüpft? Marian spähte zu dem anderen Podest. Was auch immer sich in dem roten Ei befunden hatte, es war verschwunden. Eines war jedoch sicher, alles hing mit den Höhlen in den Bergen zusammen. War darin vielleicht das Monster gewesen, gegen das Ragnar gekämpft hatte?
"Sorge dafür, das man das Ei auf mein Schiff bringt. Was auch immer es ist, ich habe das Gefühl, dass Halvdan nichts davon wissen sollte", meinte Ragnar schließlich und wandte sich zur Tür. Rasch huschte Marian davon. Sie wollte nicht, das er glaubte, sie würde ihm nach Spionieren. Bevor sie sich versah, war sie in ihr Gemach geflohen. Jemand hatte sich hier niedergelassen. Ihr Schmuck war verschwunden und ihre Kleider achtlos aus den Schränken gezogen und zu Boden geworfen worden. Es müffelte unangenehm. Doch es war ihr egal. Nachdenklich sah sie zum Bett und fragte sich, ob der Ring noch da war.
Marian zögerte nicht lange und ging neben dem Bett auf alle Viere, um einen Blick darunter werfen zu können. Nichts deutete darauf hin, dass die lose Diele bemerkt worden war. Doch bevor sie sicher gehen konnte, öffnete sich die Tür.
"Glaubst du wirklich, ich hätte dich nicht bemerkt?", fragte Ragnar und sie erhob sich rasch. Als sie zu ihm sah, musterte er sie mit sonderbarem Blick. Schließlich grinste er.
"Ich könnte mich durchaus daran gewöhnen, zu sehen, wie du auf allen vieren vor mir kniest und mir deinen hübschen Hintern entgegenstreckst", sagte er und sie errötete gefühlt von Kopf bis Fuß. Sie ärgerte sich, das er sie ausgerechnet in solch einer Position vorgefunden hatte. Es war ihr sehr unangenehm und doch war es schnell vergessen, als er näher kam. Als er vor ihr innehielt, sah er prüfend zum Bett nieder.
"Was genau wolltest du dort unten?", fragte er.
"Ich dachte, ich hätte eine Maus gesehen", log sie. Ob er ihr glaubte oder nicht, ließ er sich nicht anmerken. Interessiert sah er sich um.
"Ich nehme an, das war einst dein Gemach?", fragte er und sie nickte. Daraufhin besah er sich ihre ganzen Kleider, die verstreut am Boden lagen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
"Du hast sicherlich herrlich in ihnen ausgesehen", flüsterte er und sah dann wieder zu ihr. Sie erzitterte, als er mit einer Hand durch ihr Haar fuhr. Wieder war er dabei so zärtlich, das es sie verwirrte.
"Du hast das Ei gesehen, was weißt du darüber?", wollte er wissen, während er eine ihrer Strähnen zwischen seinen Fingern rieb und ihr dabei eindringlich in die Augen sah.
"Nichts", antwortete sie und er schien ihr zu glauben. Ragnar kam ihr nun noch näher, doch sie wich rasch vor ihm zurück. Er ließ sich jedoch nicht aufhalten und als sie mit ihren Rücken gegen die Wand stieß, konnte sie sein Nahen nicht mehr verhindern. Ihr Puls jagte schnell dahin, als er ihr Kinn ergriff und mit seinem Daumen über ihre zitternden Lippen glitt. Diese Berührung erfüllte sie mit Schaudern. Schockiert musste sie erkennen, das ihr Körper ihrem Willen nicht mehr gehorchte als Ragnar ihre Lippen mit den seinen eroberte.
Während ihr Verstand sie ermahnte, sich sofort von ihm zu entfernen, erwiderten ihre Lippen den Kuss mit spürbarer Scheu. Ihm entwich ein raues Knurren und er presste sich gegen sie. Deutlicher als ihr lieb war, spürte sie nun seine harten Muskeln. Verzweifelt versuchte sie sich ihm zu entziehen, doch sein Körper war wie ein Fels in der Brandung. Keuchend rang sie um Atem, als er sich von ihr löste und nun ihren Hals erforschte. Sie erbebte und die dortige Spur seiner Küsse brannten wie ein sinnliches Feuer. Marian begann es zu schwindeln, zitternd klammerte sie sich an seinen harten Schultern fest und inhalierte seinen Duft.
"Ich weiß, du kannst mir nicht widerstehen", flüsterte er und sie ärgerte sich, weil er damit leider Recht hatte. Doch zugeben würde sie dies nicht und mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, trimmte sie ihren Körper auf Gehorsam.
"Lass mich los".
Natürlich gehorchte Ragnar ihr nicht und sie stieß einen kurzen, aber spitzen Schrei aus, als sich eine seiner großen Hände plötzlich auf ihre rechte Brust legte. Sanft drückte er zu und sie spürte, wie sich seine Lippen an ihrem Hals zu einem Lächeln formten.
"Sie liegen in meinen Händen, als wären sie nur dafür geschaffen worden", raunte er und ein Wimmern entfloh ihr, als sein Daumen über ihre Knospe strich. Trotz des Stoffes, zwischen ihnen, war es viel zu intensiv und erneut verlor sie die Kontrolle über ihren Körper. Dieser bog sich ihm Wollüstig entgegen. Ragnar lachte leise und vollführte mit seinen Daumen sanfte kreisende Bewegungen, die sie fast in den Wahnsinn trieben.
"Gefällt dir das?".
"Nein", log sie rasch und versuchte verzweifelt wieder zu Verstand zu kommen.
"Warum lügst du mich an?".
Marian fluchte innerlich, warum nur hatte er solche Macht über sie?
"Hör auf, bitte", flehte sie und zu ihrer Überraschung gehorchte er. Doch selbst mit seinem Weichen, schien die Hitze nicht aus ihrem Körper schwinden zu wollen. Schockiert wich sie seinem Blick aus und war froh, als er ohne ein weiteres Wort das Zimmer verließ. Zitternd sackte sie in die Knie und brauchte eine Weile, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.


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