Kapitel 20

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Die Tage auf dem Schiff vergingen langsam. Marian hatte viel Zeit, ihren eigenen Gedanken nachzugehen. Sie schöpfte langsam neue Kraft und war bereit, nicht aufzugeben. Sie klammerte sich an die Hoffnung, dass die Worte von Ragnar ehrlich gewesen waren. Dass, er ihr Land befreien und ihr die Heimkehr ermöglichen würde. Und selbst wenn nicht, so redete sie sich ein, dass sie einen anderen Weg finden würde. Doch dafür musste sie stark bleiben, weshalb sie artig alles verspeiste, was ihr vorgesetzt wurde. Marian versuchte mit allen Mitteln, die Männer und ganz besonders Ragnar zu meiden. Doch schon nach einigen Tagen wurde sie ihrer kleinen Kajüte überdrüssig. Sie sehnte sich nach frischer Luft. Daher sammelte sie ihren Mut und betrat am späten Nachmittag das Deck. Doch entgegen ihrer Erwartung, war weit und breit niemand zu sehen. Verwirrt lief sie umher und sah sich um. Dabei bemerkte sie, dass das Schiff nicht unweit einer kleinen Insel ankerte. Sie sah, wie einige Männer mit erlegtem Wild aus dem Dickicht kamen und die Boote beluden, die am Ufer lagen. Die Vermutung lag nahe, dass man die Insel genutzt hatte, um die Vorräte aufzustocken. Die Jagd schien jedenfalls erfolgreich gewesen zu sein. Gerade als sie das Ufer nach Ragnar absuchte, hörte sie hinter sich ein Winseln. Als sie sich herumdrehte, entdeckte sie Tamir und Temos. Die beiden Hunde kamen ihr mit wedelnden Schwänzen entgegen. Marian fürchtete die beiden nicht mehr und begrüßte die Hunde mit einem Krauler hinter den Ohren.
"Ihr seid gute Jungs, doch ihr solltet eurem Herrn mal ordentlich in den Hintern beißen", sagte sie. Marian hatte keine Ahnung, warum sie dies gesagt hatte, es war ihr einfach über die Lippen gekommen. Doch bei der Vorstellung, wie die Hunde es wirklich tun würden, musste sie kichern.
"Rede ihnen nicht solch einen Unsinn ein, sonst sehe ich mich gezwungen, dass ich dir in deinen Hintern beiße", ertönte die Stimme von Ragnar hinter ihr. Erschrocken wirbelte sie herum. Warum hatte sie sein nahen nicht bemerkt? Wie sie sah, hatte er zwei tote Hasen bei sich. Er war wohl auch Jagen gewesen. Doch war ihm dies mit seiner Verletzung überhaupt möglich?
"Ich wüsste allerdings bessere Dinge, die ich mit deinem Hintern tun könnte", sagte Ragnar und grinste sie schelmisch an. Marian erglühte lichterloh, während er seinen Hunden die beiden Hasen vorwarf. Das tote Getier wurde von ihnen brutal zerlegt und das Knacken der Knochen ließ Marian erschaudern. Ihr kam der Gedanke, dass es genug frische Luft für heute war und als Ragnar einen Schritt auf sie zu tat, machte sie rasch kehrt und kehrte in ihre Kajüte zurück.

Bevor Marian sich versah, wurden die beiden Hunde ab da zu ihren ständigen Begleitern. Wo auch immer sie hing ging, die beiden folgten ihr. Marian freute sich über diese Gesellschaft, da sie weiterhin versuchte Ragnar aus dem Wege zu gehen. Sie spürte immer mehr, wie schwierig dies wurde. Es war gefährlich ihm nahe zu sein, da sie ihre Gefühle kaum bändigen konnte. Das wurde ihr eines Mittags deutlich bewusst, als sie Ragnar heimlich beim Training beobachtete. Mit nacktem Oberkörper stand er auf dem Deck und übte mit seinem Schwert. Es zu halten, schien ihm leicht zu fallen, doch sobald er es schwingen wollte, gab sein Arm nach und sein Gesicht verzog sich vor Schmerz. Doch er gab nicht auf und versuchte es verbissen weiter. Marian nagte unruhig auf ihrer Unterlippe, während sie sah, wie der Schweiß über seine Muskeln rann. Sie konnte nicht leugnen, dass sie diesen Mann faszinierend fand. Und genau deswegen musste sie ihn meiden. Sie durfte diesen Gefühlen nicht nachgeben. Zu ihrem Pech begann es zu regnen und seine Haut schimmerte vor Nässe. Der Anblick raubte ihr fast den Verstand.
"Es wird einen Sturm geben", hörte sie jemanden sagen. In der Tat, nicht nur der Regen bewies es, sondern auch die unruhige See. Die Wellen schlugen immer höher und der düstere Himmel verschluckte beinahe das gesamte Tageslicht. Dann plötzlich schwappte eine gewaltige Welle über die Reling und erwischte Ragnar. Sein Fluchen war auf dem ganzen Schiff zu hören. Marian lachte leise, als sie sah, wie er von Kopf bis Fuß durchnässt sein Training beendete.

Kurz nachdem Marian in ihre Kajüte zurückgekehrt war, hatte der vorhergesagte Sturm begonnen. Das Schiff erzitterte unter den tosenden Wellen und ständig war das Knarren des Holzes zu hören. Marian musste gegen eine starke Übelkeit ankämpfen, denn das Schiff schwankte fürchterlich. Tamir und Temos suchten winselnd unter der Liege nach Schutz. Doch wann immer sich das Schiff zur Seite neigte, rutschten sie darunter hervor und schlugen mit ihren Krallen tiefe Spuren in den Boden.
"Das ist kaum auszuhalten", fluchte Marian und erlaubte den Hunden, dass sie sich zitternd zu ihr auf die Liege gesellten. Doch dann plötzlich erzitterte das Schiff gewaltig und das Bersten von Holz war zu hören. Nicht lange danach, drang Wasser in ihre Kajüte ein. Es war nicht viel, aber dennoch alarmierend. Rasch erhob sie sich und taumelte auf die Tür zu. Als sie in den Gang trat, fand sie auch dort Wasser vor. Durch die Spalten einer der dortigen Türen drang immer mehr davon ein. Vermutlich war dahinter ein Leck. Marian geriet in Panik. Sie wusste, wenn es nicht gestopft wurde, würden sie sinken. Hastig versuchte sie die Tür zu öffnen, doch sie scheiterte. Daher eilte sie auf das Deck, um dort nach Hilfe zu suchen. Der Wind schlug ihr ohne Erbarmen entgegen und sie sah, wie das Schiff dich an spitzen Felsen vorbeifuhr. Marian vermutete, dass einer dieser Felsen das Leck in das Holz geschlagen hatte. Die Männer rutschten auf dem Deck umher, da es dort dank des feuchten Holzes zu einer Rutschbahn wurde. Sie banden alle möglichen Dinge fest und halfen dem Schiff, sich gegen den Sturm zu behaupten. Marian entfloh ein spitzer Schrei als eine hohe Welle auf das Deck schlug und sie erfasste. Sie wurde quer über das Deck davon geschleudert. Am ganzen Leibe zitternd, nass, aber unverletzt, kam sie kurz vor der Reling zum Liegen. Wie aus dem Nichts tauchte Ragnar auf und zerrte sie empor.
"Was machst du hier oben, geh sofort in deine Kajüte", rief er, wissend, dass sie, wäre die Welle auch nur ein klein wenig stärker gewesen, in das Meer gestürzt wäre. Das Deck war kein sicherer Ort für sie. Marian wollte etwas sagen, doch er schüttelte abwehrend seinen Kopf und zog sie unter das Deck. Dort musste er jedoch feststellen, dass der Gang unter Wasser stand. Ragnar fluchte und Marian erkannte, dass ihr das Wasser bereits bis über die Knöchel hinausging.
"Geh in deine Kajüte", befahl er und versuchte die Tür zu öffnen, hinter der sich das Leck zu befinden schien. Es gelang ihm nicht.
"Marian, geh sofort in deine Kajüte", rief er und eilte an ihr vorbei, zum Deck empor. Kurz darauf kam er mit Lucian wieder und gemeinsam stemmten sie die Tür auf. Ein wuchtiger Schwall eisiges Wasser drang ihnen entgegen. Ragnar knurrte wie ein wildes Tier, als er Marian auf die Beine half, die von dem Wasser zu Boden gerungen worden war.
"Ich sage es dir nur noch einmal, geh in deine Kajüte", grollte er und betrat mit Lucian den Raum, wo sie das Leck schnell ausfindig machen konnten. Sie zerlegten rasch einen kleinen Tisch und benutzten dessen Holzplatte, um das Leck abzudichten. Welch ein Glück, dass Hammer und Nägel in der Nähe bereitlagen. Es gelang ihnen, dass kein weiteres Wasser eindrang. Doch ewig würde die Platte nicht halten.
"Wir bessern es aus, sobald der Sturm vorüber ist", schlug Lucian vor und eilte wieder auf das Deck. Als Ragnar ihm folgen wollte und Marian entdeckte, die noch immer frierend, nass und mit inzwischen blauen Lippen im Gang stand, platzte ihm der Geduldsfaden.
"AB IN DEINE KAJÜTE", brüllte er und aufgeschreckt gehorchte sie ihm endlich.

Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt