Kapitel 63

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Henry beobachtete mit eiserner Miene, wie sich Halvdan und Ragnar bekämpften. Für ihn war recht schnell klar, wer der Sieger sein würde. Halvdan hatte gegen Ragnar keine Chance. Er kam nicht einmal dazu, einen Angriff zu starten. Sein rechtes Auge, das stark zugeschwollen war, schien ihn beim Sehen sehr zu beeinträchtigen. Doch das allein war nicht der Grund für seine sichtbare Unterlegenheit. Der Herr der Ragan war schlicht und ergreifend besser im Umgang mit dem Schwert. Halvdan konnte nicht dasselbe Tempo wie sein Widersacher aufbringen und zögerte seine Niederlage mit dem Blocken der Hiebe hinaus.
Henry war sich sogar sicher, dass wenn Ragnar es gewollt hätte, Halvdan bereits tot am Boden läge. Doch im Moment schien er noch seinen Spaß daran zu haben, seinen Gegner zu verhöhnen. Wie man es von Halvdan gewohnt war, versuchte dieser, sich mit fiesen Tricks zu retten. Doch Ragnar kannte ihn zu gut und durchschaute seine Vorhaben schnell. Das verzweifelte Gesicht von Halvdan bezeugte, dass er seine Niederlage bereits selbst begriffen hatte.
"Bring es endlich zu Ende", rief Henry nach einiger Zeit, denn er bemerkte, dass die Hiebe von Ragnar an Kraft verloren. Das war auch nicht sehr verwunderlich, immerhin lagen lange Stunden des Kampfes hinter ihm. Selbst der Herr der Ragan war nicht allmächtig. Natürlich entging dies auch Halvdan nicht und er schöpfte kurz neue Hoffnung. Doch Ragnar zerschmetterte sie, als seine Hiebe, wenn auch schwächer werdend, nun gezielter wurden. Es war nicht zu übersehen, dass er jetzt Ernst machte. Henry begann höhnisch zu lachen, als er Zeuge wurde, wie der Sohn von Hegvaldr versuchte, dem Kampf zu entfliehen. Doch Ragnar war nicht nur geschickter als er, sondern auch schneller. Wohin Halvdan sich auch wandte, sein Gegner versperrte ihm stets den Weg und attackierte ihn mit kaltem Stahl.
Halvdan keuchte und ächzte unter der Wucht der aufeinander prallenden Schwerter. Er wusste, sein Körper war am Limit und die Hiebe von Ragnar kamen jetzt so schnell, dass er sie kaum noch sah. Nur wenige Augenblicke später war er entwaffnet. Halvdan blickte seinem davon fliegenden Schwert erschrocken nach, ehe er auf die Klinge von Ragnar sah, die sich an seine Kehle legte. Doch entgegen seiner Erwartung wurde er nicht getötet. Er sah, dass der Herr der Ragan an ihm vorbeiblickte. Da sich da das Schlachtfeld befand, hatte er dort wohl etwas entdeckt, was seine Neugier auf sich zog.
"Worauf wartest du noch, töte ihn", rief Henry, doch Ragnar reagierte nicht. Er beobachtete stattdessen, wie die verfluchten Kreaturen plötzlich jeglicher Kraft beraubt zu sein schienen. Reihenweise brachen sie zusammen und die grotesken Körper wandelten sich wieder zu Menschen. Es war aus der Ferne jedoch nicht zu erkennen, ob in ihnen noch Leben existierte. Ragnar fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Doch dann wurde er plötzlich heftig in den Rücken gerempelt und aus seinen Gedanken gerissen. Verwirrt blickte er auf Henry, der neben ihm erschienen war.
"Warum starrst du Löcher in die Luft, sieh doch, der Feigling flieht", schnauzte Henry ihn an und schlug ihn gleich nochmal in den Rücken. Ragnar knurrte ihn finster an, ehe er erkennen musste, dass Halvdan tatsächlich sein Heil in der Flucht suchte.
"Warum hast du ihn nicht aufgehalten", schimpfte er Henry an, ehe er die Verfolgung aufnahm.
"Soll das ein Witz sein? Du hast gesagt, du kümmerst dich um ihn, lass das jetzt nicht an mir aus, nur weil du so unfähig bist", brüllte Henry ihm nach.
Ragnar hätte dem Alten liebend gerne den Hals herumgedreht, doch stattdessen eilte er sich, um den Fliehenden einzuholen. Das schaffte er auch erstaunlich schnell. Halvdan humpelte und schien in seiner Hast schwer umgeknickt zu sein. Ragnar zögerte nicht und beförderte ihn mit einem wuchtigen Tritt in den Rücken zu Boden. Um ein weiteres entfliehen zu verhindern, trat er dann seinem Opfer in die Kniekehle. Halvdans gellender Schmerzensschrei übertönte das laute Knacken seines Knies.
"Oh ja, das gefällt mir", meinte Henry, als er zu ihnen kam und auf Halvdan nieder sah, der nicht in der Lage war sich zu erheben und elendig vor ihnen am Boden lag.
"Es gibt kein Entkommen mehr", knurrte Ragnar und er war bereit, die Sache ein für alle Mal zu beenden. Entschlossen hob er sein Schwert für einen tödlichen Hieb. Doch als plötzlich panische Schreie zu ihnen halten, hielt er inne. Erneut richtete sich sein Blick zum Schlachtfeld. Auch Henry spähte dorthin und sie wurden Zeuge, wie die Krieger, anstatt sich weiter zu bekämpfen, nun ihr Heil in der Flucht suchten. Angst und Schrecken war ihnen selbst aus der Ferne anzusehen.
"Was genau ist da los?", fragte Henry verwirrt.
Blicke voller Furcht flogen in ihre Richtung. Alarmiert sahen sich Ragnar und Henry kurz an, ahnend, dass hinter ihnen etwas war, was selbst hartgesottene Männer Angst und Schrecken lehrte. Halvdan, völlig aus ihren Köpfen verbannt, drehten sie sich gleichzeitig herum.
"Was zum ...", entfuhr es ihnen im Chor, ehe sie sich schwungvoll zu Boden warfen und schützend ihre Arme über die Köpfe schlugen, da ein gewaltiger Drache über ihnen hinweg flog.

Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt