Dass ihr Vater ihren Anblick nicht mehr hatte ertragen können, war für Marian erschütternd. Er hatte sie damit zutiefst verletzt und gefangen in ihren aufgewühlten Gefühlen, nahm sie die Schikanen von Halvdan nur am Rande wahr. Er spottete ohne Unterlass über sie und ging nicht gerade zimperlich mit ihr um.
Gut eine halbe Stunde später, kauerte sie wie ein Häufchen Elend neben dem Thron ihres Vaters, während ein eiserner Ring um ihren Hals lag, an dem eine Kette befestigt war, die Halvdan fest in seinen Händen hielt. Er hielt sie wie ein Hund an seiner Seite und es war ihr unmöglich, ihm zu entkommen.
"Wie gefällt dir dein neuer Platz?", fragte er höhnend, während er es sich im Thron gemütlich machte. Marian gab ihm keine Antwort und ließ stattdessen ihren Blick durch die Halle schweifen. Sie war mit vielen Kriegern gefüllt und wie immer, huschten die Frauen umher und bedienten diese.
Marian entdeckte Rawena und das Gefühl der Freude vertrieb für einen kurzen Augenblick all ihre Sorgen. Froh war sie, zu sehen, dass es der Älteren, den Umständen entsprechend, gut ging. Doch schnell kehrte die Furcht zu Marian zurück, da sie sah, dass sie in einem sehr hitzigem Getuschel mit Ashildr vertieft war.
Vermutlich wussten die Frauen bereits, dass Marian nun zu den Ragan gehörte und sie erwartete mit zitternden Gliedern die Welle von Verachtung.
Doch diese kam nicht.
Dafür jedoch, flogen alle Blicke zu Henry, der von Hegvaldr in die Halle gezerrt wurde. Marian stockte der Atem. Genau wie sie, wurde ihr Vater wie ein Hund an der Leine geführt. Vor den Stufen, die zum Thron führten, trat Hegvaldr ihm in die Knie, sodass ihr Vater zu Boden ging.
Kurz sah er zu seiner Tochter, ehe er den Blick rasch senkte und am ganzen Leib erzitterte.
"Erzähl es ihr", verlangte Hegvaldr.
"Was soll er mir erzählen?", fragte Marian, da ihr Vater sich verbissen in Schweigen hüllte.
"Dass dieses Land von einem Fluch gepeinigt wird. Das Gold aus den Höhlen lässt jene, die es zulange, begehren, dem Wahnsinn verfallen. In diesem Zustand töten sie sich und andere", sprach Halvdan und Marian sah erschrocken zu ihm.
"Das ist ein Scherz", entfuhr es ihr.
"Schön wäre es. Ich sah mit eigenen Augen, wie gute Männer sich in Monster verwandelten und in die Berge flohen. Die dortigen Kreaturen waren einst Menschen wie du und ich. Dein Vater wusste das, denn er hat es einst selbst erlebt. Nachdem mir dies klar wurde, war ich gezwungen, das Gold wieder den Bergen zu überlassen und seitdem, hat sich die Lage etwas entspannt", meinte Halvdan.
"Doch nun, wo wir dich haben, können wir uns das Gold zurückholen", sprach Hegvaldr weiter.
"Was hat das ganze mit mir zu tun?", fragte sie erschrocken.
"Das sollte dir eigentlich dein Vater beichten, aber gut, ich zeige Gnade und werde diesen Part mit vergnügen übernehmen. Deine Mutter war eine dreckige Hexe. Du selbst vermagst zwar, meines Wissens nach, keine Zauber wirken können, aber dennoch, fließt ihr Blut in dir. Und genau dieses brauchen wir. Denn Hexenblut kann das Gold reinwaschen", erzählte Halvdan und die Augen von Marian weiteten sich. Sie wollte ihm kein Wort glauben, doch als sie zu ihrem Vater sah, nickte er kaum merklich und bestätigte damit die Behauptungen Halvdans.
Ihr Gehirn konnte das ganze nur schwer verarbeiten und Halvdan ließ ihr auch nicht wirklich die Zeit dazu, denn er zog nun wuchtig an der Kette, sodass sie zu seinen Füßen stürzte.
"Wo ist der Ring".
"Was für ein Ring?", fragte sie erschrocken.
"Stell dich nicht so dumm an, Weib. Ich meine natürlich den Ring deiner Mutter. Es geht ein Gerücht herum, dass man mit ihm in der Lage sei, die Bestien in den Höhlen zu beherrschen. Wenn das stimmt, werde ich der Herr über diese Monster werden", antwortete er und das Entsetzen packte sie.
Marian konnte sich nicht vorstellen, dass ein einfacher Ring dazu in der Lage sei, doch sie durfte ihn auf keinen Fall an Halvdan übergeben, zu groß war die Furcht, dass es doch funktionieren könnte. Ihr Mann hätte keine Chance, wenn er sich auch gegen Ungeheuer würde behaupten müssen.
"Ich weiß nicht, wo der Ring ist", log sie.
"Das glaube ich dir nicht", grollte Halvdan.
"Selbst wenn ich wüsste, wo er ist, würde ich ihn euch nicht geben", sagte sie und der entsetzte Aufschrei von Ashildr hallte durch die Halle, als er Marian zornig in den Bauch trat und sie Keuchend zur Seite kippte.
"Wie kannst du es wagen", kreischte Ashildr und vermutlich wäre sie auf Halvdan losgegangen, hätten die anderen Frauen sie nicht zurückgehalten.
"Spar dir deine Aufregung, sollte das Balg daran sterben, war es sowieso nicht stark genug für diese Welt", spottete Halvdan und blickte grinsend auf Marian nieder. Sie krümmte sich zu seinen Füßen und hielt sich voller Furcht ihren Bauch. Doch ihre aufkommende Angst verflog, als ein vertrautes Flüstern in ihrem Kopf widerhallte und ihr versicherte, dass ihr Kind wohlauf sei. Den Tränen nahe, wollte sie der Stimme glauben und richtete sich zitternd wieder auf.
Im nächsten Moment wurde es ganz Hektisch, denn ihr Vater sprang unter einem wilden Knurren auf, so schnell, dass Hegvaldr seinen Angriff nicht kommen sah. Dank einer heftigen Kopfnuss, befreite er sich aus dessen Gewalt und noch während Hegvaldr davon taumelte, eignete sich Henry dessen Schwert an. In einer unglaublichen Geschwindigkeit preschte er auf Halvdan zu. Nur um Haaresbreite konnte Halvdan dem tödlichen Hieb mit dem Schwert entkommen und das kalte Eisen blieb im Thron stecken.
Marian sah ihren Vater entgeistert an. Sie konnte kaum glauben, dass er nach der langen Gefangenschaft noch solche Kräfte innehatte. Doch leider half das keinen von beiden, denn sofort wurde er von mehreren Kriegern zu Boden gerungen.
"Lasst ihn am Leben und bringt ihn zurück in seine Zelle", rief Halvdan, der sichtlich bleich geworden war und diesen Angriff nicht erwartet hatte. Marian sah mit wild schlagendem Herzen ihrem Vater nach, der sich mit aller Kraft gegen die Männer wehrte, die ihn davon schleiften.
Dann plötzlich wurde die Welt um sie herum schwarz und sie verlor mit einem Keuchen ihr Bewusstsein.
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Der Ragan Clan (1)
RomanceWährend Marian Callahan von einer körperlosen Stimme gepeinigt wird, muss sie gleichzeitig miterleben, wie boshafte Krieger in ihrer Heimat einfallen und diese an sich reißen. Schneller als ihr Lieb ist, erhebt der Anführer des Ragan Clans seinen An...