Kapitel 22

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Noch während Marian mit ihrer stechenden Eifersucht zu kämpfen hatte, betrat Ragnar den Raum. Sie konnte nicht umhin, ihm einen giftigen Blick zu schenken. Diesen registrierte er. Auch wenn Marian entschlossen war ihn nicht zu wollen, war die Vorstellung von ihm und einer anderen Frau niederschmetternd. Ragnar hinterfragte ihren Blick nicht, denn solch einen hatte er zu oft von ihr bekommen. Raschen Schrittes lief er an ihr vorbei und näherte sich der Frau am Fenster. Marian wurde nun Zeuge, wie er sie herumdrehte und in eine innige Umarmung schloss. Dies zu sehen war wie ein Fausthieb und Marian begann tatsächlich etwas zu schwanken. Zum Glück stand Ashildr neben ihr und war ihr eine Stütze.
"Endlich bist du zurück", sagte Fjorleif. Er schob sie etwas von sich und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.
"Verzeih, dass du dich Sorgen musstest, Mutter", sagte er.
"Oh", entfuhr es Marian leise. Ashildr neben ihr begann hinter vorgehaltener Hand zu kichern. Wusste sie, was gerade in ihr vorgegangen war? Marian kam sich jedenfalls ziemlich dämlich vor. Sie war grundlos eifersüchtig geworden. Dennoch war sie erleichtert, dass es sich bei Fjorleif um keine Gespielin, sondern um seine Mutter handelte. Dieses Wissen sorgte jedoch dafür, dass sie ziemlich nervös wurde. Jetzt, wo sie das Gesicht von Fjorleif sehen konnte, war deutlich zu erkennen, dass es sich um eine ältere Frau handelte. Sie war jedoch von großer Schönheit. Sie hatte dieselben Augen wie Ragnar und dasselbe schwarze Haar. Es fiel ihr bis zu den Hüften und war mit einigen grauen Strähnen versetzt. Wie Marian bemerkte, redete Ragnar leise auf seine Mutter ein und ihr Gesicht nahm mehrere Züge an. Überraschung. Zweifel und auch so etwas wie Enttäuschung. Als Fjorleif zu ihr sah, erschauderte Marian. Es fühlte sich an, als würde ein eisiger Nordwind durch den Raum wehen.
"Ich gebe zu, sie ist eine Schönheit. Du beweist deinen guten Geschmack, mein Sohn", sagte Fjorleif, drehte Marian im nächsten Moment aber demonstrativ ihren Rücken zu. Dass sie Marian ablehnte, hätte mit dieser Geste nicht deutlicher sein können. Selbst Ragnar erkannte dies und er raunte seiner Mutter etwas zu. Diese winkte jedoch ab.
"Heirate sie, wenn du es willst, aber ich werde sie nicht in unseren Reihen akzeptieren", sagte Fjorleif und eilte nach einem missbilligendem Blick zu Marian, auf die bemalte Tür zu und verschwand in den Raum dahinter. Vermutlich waren dies ihre privaten Räume. Ragnar war kurz erstarrt, doch dann gab er sich einen Ruck und folgte seiner Mutter. Marian zuckte zusammen, als er wuchtig die Tür hinter sich knallte. Nachdem, was Lucian vorhin erzählt hatte, hätte sie nicht mit solch einer Reaktion von Fjorleif gerechnet. Es war nicht zu überhören, wie sich Mutter und Sohn stritten. Fjorleif rief aufgebracht, dass dieses Weib nicht als seine Ehefrau geeignet sei und dorthin zurücksollte, wo er sie aufgelesen hatte. Es war nicht verständlich, was Ragnar darauf antwortete, aber ein lautes, - ist das dein Ernst? - folgte von seiner Mutter. Marian hätte sich gerne mit ihrem Ohr gegen die Tür gepresst, doch da Ashildr bei ihr war, hielt sie sich zurück. Dies war auch ganz gut so, denn so verstand sie nicht alle Beschimpfungen, die Fjorleif von sich gab. Doch schließlich wurde es ruhig und kurz darauf öffnete sich die Tür. Ragnar kam mit einem hochroten Kopf hinaus, dicht gefolgt von seiner Mutter. Letztere kam sofort zu Marian und musterte sie von oben bis unten.
"Wir haben eine Abmachung geschlossen, daher werde ich dir eine Chance geben", sagte sie und Marian war irgendwie erleichtert. Doch warum war Ragnar so errötet? Seine Gedanken schienen in weiter Ferne zu sein und als seine Mutter zu ihm sah, wurde er nur noch roter. Marian war irritiert, so hatte sie ihn noch nie gesehen und sie fand es entzückend. Ragnar räusperte sich sehr übertrieben und stellte die beiden nun einander vor.
"Kannst du dich wenigstens nützlich machen? Wie sieht es mit Nähen aus?", fragte Fjorleif.
"Kann ich nicht".
"Kochen?".
"Wäre vermutlich ungenießbar".
"Kann dieses Weib überhaupt etwas?", fragte Fjorleif fauchend. Marian hörte, wie Ragnar seiner Mutter zuflüsterte, dass sie Diener gehabt hatte und solche Dinge nicht selber hatte erledigen müssen. Natürlich hatte er damit recht, doch Marian schämte sich nun dafür.
"Die Zeit sich bedienen zu lassen ist vorbei. Ich werde mich schon darum kümmern, dass du ein anständiges Eheweib bekommst", sagte Fjorleif und Marian musste schwer schlucken. Sie hatte die böse Vorahnung, dass es mit Fjorleif nicht leicht werden würde. Nach einem weiteren, sehr unangenehmen Verhör von Fjorleif, schien diese der Meinung zu sein, erst einmal genug über Marian erfahren zu haben. Gemeinsam mit Ragnar verließ sie den Wohnraum und wohin sie gingen, blieb Marian ein Rätsel.
"Das wird schon werden. Fjorleif will nur das beste für ihren Sohn. Ihr müsst sie nur überzeugen, dass ihr für Ragnar geeignet seid, dann wird sie euch die beste Schwiegermutter werden, die ihr euch wünschen könnt", sagte Ashildr.
"Es interessiert mich nicht, ob sie mich hasst oder mag. Ich will sowieso nicht die Frau von Ragnar werden", erwiderte Marian etwas kühl. Ashildr schenkte ihr ein wissendes Lächeln. Marian machte es ziemlich nervös, dass diese Frau offenbar genau wusste, was sie wirklich fühlte.
"Wie auch immer, ich lasse euch nun alleine. Es wird immer jemand in der Nähe sein, falls etwas sein sollte, ruft einfach", meinte Ashildr und ging. Kaum war sie fort, ließ sich Marian in den ganzen Kissen nieder. Das alles war ziemlich aufregend gewesen und nun wo sie alleine war, wurde die Erschöpfung spürbar.

Der Ragan Clan (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt