Ignatus fuhr sich mit der Zunge angewidert über die Lippen. Verstohlen musterte er den herumlungernden Abschaum der Taverne »Zur Wolfskrähe«. Ein wahrlich übler Haufen von zweifelhaften Gewohnheitstrinkern, abgehalfterten Söldnern und zwielichtigen Halsabschneidern hatte sich hier eingefunden. Viele hatten sich in die dunkleren Ecken des verwinkelten Schankraums zurückgezogen und tuschelten leise über Dinge, die einen braven Bürger verängstigt hätten.
»Und er kommt hierher?«
Seine Eskorte, ein hochgewachsener Mann mit grauen Haaren und strengem Blick nickte nur kurz. Ignatus war froh, dass ihn Favulkos, der Ordensritter begleitete. Sobald sich eine der dunklen Gestalten ihrem Tisch näherte, genügte es, wenn sein grauhaariger Begleiter böse dreinblickte und dabei die Stirn in einer bedrohlichen Art und Weise runzelte, die so manches Raubtier in die Flucht geschlagen hätte. Die meisten zogen unverrichteter Dinge von dannen und die wenigen, welche einen Moment lang taxierend verblieben, trollten sich schlussendlich auch.
Wie war ihm doch diese Zurschaustellung brachialer Körperlichkeit zuwider. Aber sie war hier, an diesem furchtbaren Ort einfach unverzichtbar. Seufzend erinnerte er sich an die stille Behaglichkeit des Ordenssitzes und die Aufgeräumtheit seines Arbeitstisches. Dort hatte alles seinen ihm fest zugeordneten Ort. Diese Schenke war das pure Chaos, ungeordnet, dreckig ... unvorhersehbar.
Er warf seinem Begleiter einen kurzen Blick zu. Sie gaben ein seltsames Pärchen ab. Favulkos, von stattlicher Figur, dem man den erfahrenen Kämpfer jederzeit abnahm und er, Ignatus vom goldenen Turm, einem eher kleingeratenen Mann mittleren Alters, dessen hervorstechendstes Merkmal ein unförmiger Buckel war.
Natürlich waren sie beide in der schlichten Gewandung eines gewöhnlichen Bürgers in diese kleine Stadt am Igelbach gereist. Ignatus lag nichts daran, dass ihn jemand hier in unmittelbarer Nähe zur Reichsstadt als Ordensabt erkannte. Schlimm genug, dass er sich in diese kakerlakenverseuchte Herberge setzen musste und den Gestank ungewaschener, verschwitzter Leiber ertrug.
Angeekelt betrachtete Ignatus den großen Krug Kräuterbier, den eine Schankmagd vor ihm abgestellt hatte. Einige Fliegen umschwirrten die gelbliche Schaumkrone. Der Ordensabt aus der Ordensburg zur göttlichen Hand hatte es bislang nicht gewagt, einen Schluck zu nehmen. Allein der Gedanke daran, davon zu kosten, löste in ihm einen üblen Würgereiz aus.
Favulkos hatte nur einmal kurz an dem Humpen genippt, das Gesicht verzogen und sich dann wieder entspannt zurückgelehnt. Wie sehr Ignatus den grauhaarigen Ritter doch um dessen stoische Ruhe beneidete. Aber das war eben das Glück eines Untergebenen. Sie waren nicht gezwungen, sich tagtäglich mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens auseinanderzusetzen.
Die massive Ulmentür öffnete sich und eine groß gewachsene Gestalt in einem weiten grauen Kapuzenmantel trat aus dem strömenden Regen hinein in den schwülwarmen Schankraum. Hinter ihm schlug die schwere, mit Eisenbändern verstärkte Tür mit einem lauten Knall zu.
An etlichen Tischen hielt man kurz inne, wägte ab, wie der Ankömmling einzuschätzen sei. Wenig später steckte das Gesindel jedoch die Köpfe wieder zusammen. Der gedämpfte Geräuschpegel hub an. Man hatte den neuen Gast begutachtet, abgehakt und vergessen.
Der Kapuzenmann sah sich im Schankraum um. Sein Blick streifte den Tisch am Ende der langen Theke, an dem er sich mit Favulkos niedergelassen hatte. Einen Moment zögerte der Neuankömmling, starrte in die dunklen Ecken der Schenke, suchte, was nicht zu finden war.
Ignatus zog die Ärmel seines Hemds glatt. Natürlich war er nur mit einer einzelnen Eskorte hier und mit keiner Garde, die versteckt darauf lauerte, zuzuschlagen. Die Vorsicht des abtrünnigen Ordensritters war also unnötig ... und beleidigend.
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasyBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...