Cyriana schreckte auf, als sie Guus Rufe hörte und wandte sich um.
Der Steuermann deutete hinaus auf das Meer. »Sie kommen!«Sie folgte seiner ausgestreckten Hand und nahm eine Vielzahl von Köpfen wahr, die immer wieder aus dem Wasser auftauchten und zu ihnen herüberblickten.
Direkt dahinter näherte sich ein gewaltiger Pflanzenteppich aus grünen Blättern und einem zentralen Stängel. Die Laichfelder hatten das Buckelriff erreicht.Widerstrebend stieß sie sich von der Reling ab, von wo aus sie die Klippen beobachtet hatte und wechselte nach Steuerbord.
Lajetan stand unvermittelt an ihrer Seite. »Ja, sie sind da, aber nähern sich nun zögerlicher.« Er winkte einem der Matrosen zu sich. »Bewaffnet die Mannschaft.«
Noch vor wenigen Tagen hatten zwei Karavellen auf das Laichblatt der Nuark-Qol geschossen. Sie werden uns für Feinde halten, durchzuckte es sie. Sie haben gar keinen Grund, etwas anderes anzunehmen.
Sie lief zu Lajetan. »Wir müssen Kontakt aufnehmen, ihnen begreiflich machen, dass wir nicht zu den Nocturnen gehören. Sehen sie die gezückten Waffen, werden sie angreifen, ohne uns angehört zu haben.«
»Oder wir gehen auf Abstand.« Guus gab einem Maat ein Zeichen, den Anker zu lichten. »Zumindest bleiben wir dann am Leben.«
Cyriana erschrak. »Nein, wir müssen auf Dairos und Valaria warten. Fliehen wir, lassen wir sie im Stich.«
Die kleine Besatzung rannte an ihr vorbei und ging hinter der Reling in Deckung. Die meisten hielten handliche Armbrüste in den Händen, zwei luden sogar eine Steinschlosspistole.
Sinnlos. Die Übermacht war erdrückend.
»Mit Valaria hätten wir eine Chance gehabt, die Nuark-Qol von unseren guten Absichten zu überzeugen. Aber leider haben wir sie ja gehen lassen.«, brachte Lajetan seine Befürchtungen auf den Punkt.
Er hatte Recht. Jeder war davon ausgegangen, die Nebelsirene würde einen Konflikt verhindern. Als sie mit Dairos aufgebrochen war, hatte keiner daran gedacht, welche Konsequenzen das haben würde. Allerdings hätte sie niemals den Ritter alleine zum Riff schwimmen lassen.
»Der Klipper sieht nicht wie ein Kriegsschiff aus. Vielleicht können wir sie von unseren friedlichen Absichten überzeugen«, hoffte sie und sah Lajetan bittend an. »Bitte, verstaut die Waffen.«
Der Großmeister sah ihr prüfend in die Augen. »Ihr glaubt, immerzu einen gewaltlosen Weg zu finden. Aber manchmal existiert der einfach nicht. Wir leben in Zeiten, in denen das Schwert der Feder vorauseilt.«
»Und dennoch sollten wir die allerkleinste Chance ergreifen.«
Lajetan nickte, stand auf und stellte sich offen an die Reling. »Ihr habt wohl Recht. Aber die Waffen bleiben. Erinnert euch daran, dass erst kürzlich zwei Karavellen das Volk der Nuark-Qol attackiert haben. Der Zorn wird ihre Hände leiten.«
Die ohnehin unruhige See zwischen ihnen und den Laichfeldern schäumte. Überall spitzen die Köpfe der Nebelsirenen aus dem Wasser hervor. Sie näherten sich in breiter Front der Drachenkrähe und zogen dabei einen Halbkreis um den Segler, bis dessen einzige Fluchtroute aufs Buckelriff zuführte.
»Nun können wir nicht einmal mehr fliehen«, murmelte der Großmeister bedrückt. »Ich fürchte, sie sind einer Unterhaltung nicht sonderlich zugeneigt.« Er gab der Mannschaft ein Zeichen und sie erhoben sich mit schussbereiten Armbrüsten, flankierten ihn.
»Sie sollen die Waffen herunternehmen, Lajetan. Wenn sich ein Schuss löst, wird uns nichts mehr retten«, riet sie und legte die Hand auf den Schaft einer Schusswaffe, drückte sie herunter. »Jedes unbedachte Wort oder übereilte Handlung wird die Kampfhandlungen eröffnen.« Der Matrose sah sie stirnrunzelnd an, trat dann zur Seite und legte die Armbrust erneut an.
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Nocturnenzorn - Die Legende der Bluthexe (Band 2)
FantasyBand 2 Nach den Ereignissen im Schattenwald hat sich Cyriana, verborgen vor den Augen des Ordens, im Norden Dryadengrüns niedergelassen. Doch auch hier kommt sie nicht zur Ruhe. Mysteriöse Träume suchen die Hexen heim und als Aratica entführt wir...